Interview mit Bischof Johan Tyrberg, Bistum Lund, Schweden
LUND, Schweden/GENF (LWI) – In diesem Interview schaut Johan Tyrberg, Bischof von Lund, Schweden, auf ein ökumenisches Ereignis von historischer Bedeutung zurück, das seiner Heimatstadt vor fünf Jahren globale Beachtung bescherte und die lutherisch/römisch-katholischen Beziehungen dort noch heute verändert. Er spricht über seine frühe Schulzeit, sein Interesse an den Naturwissenschaften und der Schauspielerei, seinen Weg zur theologischen Ausbildung und seinen Dienst als Gemeindepfarrer.
Tyberg war Bischof von Lund als der Dom zu Lund zum Veranstaltungsort für die gemeinsamen lutherisch/römisch-katholischen Feierlichkeiten zum Reformationsjubiläum am 31. Oktober 2016 gewählt wurde, das von Führungspersonen des Lutherischen Weltbundes (LWB) und der römisch-katholischen Kirche veranstaltet wurde.
Erzählen Sie uns von Ihrer Kindheit.
Ich bin an der Südspitze von Schweden aufgewachsen, gar nicht weit von Deutschland entfernt. Religion hatte in unserer Familie immer einen großen Stellenwert, und wir sind jeden Sonntag in die Kirche gegangen. In der Schule habe ich mich am meisten für Medizin interessiert, und für die Schauspielerei. Ich habe in den Theatergruppen mitgemacht und mochte Komödien am liebsten. Ich habe immer gerne auf der Bühne gestanden. Mein Vater war überzeugt, dass ich irgendwann eine Führungsrolle in einem Unternehmen oder in der Wirtschaft übernehmen würde, und meine Mutter dachte wahrscheinlich, ich würde Pfarrer werden. Im Rückblick lagen sie beide gar nicht so falsch.
Was hat Sie an der Kirche interessiert?
Zu Beginn meines Theologiestudiums an der Theologischen Fakultät der Universität Lund wollte ich auf jeden Fall an der Uni bleiben und Bibelwissenschaftler werden. 1987 bin ich mit einer Studierendenorganisation zu einer Missionskonferenz nach Kolumbien gereist und habe dort viele Menschen aus aller Welt getroffen. Da ist mir klar geworden, dass ich mich nicht nur in den Büchern verkriechen wollte. Ich wollte aus den Büchern lernen, aber auch Menschen treffen und an ihrem Leben teilhaben.
Mein Interesse an den Naturwissenschaften hätte mich auf den Weg zum Arztberuf bringen können; ich hätte viel mit Menschen zu tun gehabt, die entweder krank oder verletzt gewesen wären. Aber in der Kirche treffen wir Menschen, die krank oder verletzt sind, und auch Menschen, die gesund und nicht verletzt sind – kurzum: einfach alle Menschen. Das hat mich dazu bewogen, Pfarrer sein zu wollen und Theologie in der Kirche zu betreiben und nicht an der Universität.
Sie sagten, Ihr persönlicher Weg bis zur Ordination war ein ungewöhnlicher Weg. Inwiefern?
Mir ist die Neugierde und der Wissensdurst eines Wissenschaftlers nie verloren gegangen, aber ich bin ja kein Wissenschaftler geworden. Ich habe den Drang verspürt, in einer Gemeinde zu arbeiten, und hatte das Gefühl, dass theologisches Wissen keinen Nutzen hat, wenn es nicht auch in der Begegnung mit den normalen Menschen von Nutzen ist.
In meinem ersten Bewerbungsgespräch für Pfarramtsanwärterinnen und -anwärter fragte mich die zuständige Person im Büro des Bischofs: „Warum glauben Sie, dass Sie Gemeindepfarrer sein sollten?“ Meine Antwort war: „Das weiß ich nicht. Sagen Sie es mir.“ Er war ein wenig überrascht, denn normalerweise versuchten seine Gesprächspartnerinnen und -partner natürlich, ihn davon zu überzeugen, dass sie genau die richtige Wahl wären. Ich tat mit meinen 21 Jahren genau das Gegenteil. Er lachte und begann dann, mir alle möglichen Fragen zu stellen, und sagte mir schließlich: „Sie sollten es wenigstens versuchen. Ich möchte Sie gerne in Aktion sehen, ich würde Sie gerne predigen hören.“ Und also begann ich zu üben; am 14. Januar 1990 wurde ich im Dom zu Lund ordiniert, also genau in der Kirche, in der ich heute als Bischof diene.
Erzählen Sie uns, was Ihnen von diesem Tag noch in Erinnerung ist.
Es war ein sehr eindrücklicher Gottesdienst: vor dem Altar zu knien, die Hände von Bischof Per-Olov Ahrén und seines Assistenten zu spüren, die für mich beteten, ordiniert zu werden und zu verstehen, dass ich nur ein winziges Glied in einer sehr langen Kette von Menschen bin. In meiner gesamten Familie aber war meine Großmutter mütterlicherseits wohl am meisten gerührt – sie war eine sehr bescheidene Frau, die niemals in der Öffentlichkeit redete. Aber beim Empfang nach meiner Ordination hielt sie eine kurze Rede, denn es war sehr wichtig für sie, dabei gewesen zu sein. Sie lebte mit meinem Großvater, ihrem Ehemann, der Schuster war, ein ruhiges und beschauliches Leben in einem kleinen Dorf auf dem Land. Am Hauptaltar in der Kathedrale zu stehen und die Ordination ihres Enkels zu erleben, der auf ihrer Seite der Familie die erste Person war, die zum Pfarrer ordiniert wurde, hatte für meine Großmutter eine noch viel größere Bedeutung als für mich selbst.
Die erste Gemeinde, in der ich als Pfarrer tätig war, war außergewöhnlich: eine große Gemeinde in Staffanstorp. Aber ich war nicht überzeugt, dass diese Gemeinde wirklich der richtige Ort für mich ist. Also habe ich mich um eine Stelle als Pfarrer auf der Inselgruppe beworben, auf der die Stadt Karlskrona liegt, weil ich versuchen wollte, für mich eine Situation zu schaffen, in der ich keine anderen Pfarrerinnen und Pfarrer in direkter Nachbarschaft hatte, die mir helfen könnten, die althergebrachte Art des Pastorenlebens in Schweden sozusagen. Zusammen mit meiner Familie habe ich dort einige Jahre gelebt; dann sind wir nach Ronneby, nach Frankfurt/Main und schließlich nach Karlshamn gezogen.
Zurück zu Ihrem ursprünglichen Plan, Bibelwissenschaftler zu werden, und Ihrer aktuellen Rolle als Pfarrer und Kirchenleitender heute – was inspiriert Sie?
Die Bibel ist der wichtigste Gegenstand, um Gottes Willen zu erkennen und Gott zu verstehen; nicht, dass wir Gott tatsächlich verstehen können, aber die Bibel ist die Tür zur Gegenwart Gottes. 2021 habe ich ein Buch geschrieben, dessen Titel „Natten ska vika“ (Die Nacht wird weichen) aus Jesaja 9,1 abgeleitet ist. Das Leben führt uns Menschen manchmal durch dunkle Zeiten. Wir müssen wissen, dass es in dieser Dunkelheit auch Licht gibt und dass dieses Licht die tatsächliche Gegenwart Gottes ist.
Sie waren schon seit zwei Jahren Bischof von Lund, als der LWB und die Römisch-katholische Kirche am 31. Oktober 2016 gemeinsam das Reformationsgedenken gefeiert haben. Was hat sich seither verändert?
Zum einen war der Gottesdienst am Sonntag, dem 30. Oktober, fast berührender und bewegender als der eigentliche Reformationstag selbst. Die zwei Ortsgemeinden von Lund, die katholische und die lutherische, haben an diesem Tag das Ende des Sonntagsgottesdienstes im Dom zu Lund gemeinsam gefeiert. Und sehr viele Menschen sprechen seither immer wieder darüber.
Seit die katholische Gemeinde in Lund und die lutherische Domgemeinde begonnen haben, wirklich zusammenzuarbeiten, hat sich sehr viel verändert. Manchmal feiern wir gemeinsam Gottesdienst – natürlich ohne Abendmahl, aber wir feiern Abendandachten und oftmals Andachten am Samstag. Zu bestimmten Anlässen wie zum Beispiel dem Pilgerweg für das Klima haben wir begonnen, gemeinsam zu beten. Und unsere Gemeinde hat die katholische Tradition der Vespergottesdienste aufgenommen. Auch das ist eine Art, einen Schritt weiter auf unsere Nächsten zuzugehen – nicht nur zu verlangen, dass sie die Dinge machen, wie wir sie machen, sondern dass wir versuchen, zu beten, wie sie beten. Und das hat uns neue Türen geöffnet und neue Möglichkeiten gegeben.
Mancherorts – zu Beispiel in Karlskrona – hat die Schwedische Kirche einige ihrer Gebäude an die katholischen Gemeinden verkauft. So konnten die katholischen Gemeinden von den Außenbezirken in die Ortszentren umziehen. Ich glaube, das hätte es vor den gemeinsamen Reformationsfeierlichkeiten 2016 nicht gegeben. Insgesamt hat sich für unser Bistum vielleicht nicht so sehr viel verändert, aber es herrscht ein allgemein größeres Bewusstsein für die Ökumene und das ökumenische Engagement.
Andererseits haben wir auf dem Gebiet unseres Bistums auch sechs katholische Klöster. Vier von ihnen sind ausgesprochen ökumenisch eingestellt und offen für Besucherinnen und Besucher. Und ich glaube, es kommen heute mehr Menschen aus lutherischen Gemeinden als früher. Außerdem haben wir auch festgestellt, dass immer mehr junge Menschen sich für das Leben in einer Gemeinschaft entscheiden, wenigstens vorübergehend für ein halbes Jahr zum Beispiel oder für zwei oder drei Jahre. Ich weiß nicht, ob das ursächlich mit den gemeinsamen Reformationsfeierlichkeiten zusammenhängt, aber wir beobachten eine solche Entwicklung. Es zeugt von einer Sehnsucht nach Leben im Gebet und dass das Gebet ein zentrales Element für die Übernahme von Verantwortung im Gemeindeleben ist. Darüber freue ich mich sehr.
Was bedeutet es für Sie persönlich, Teil der weltweiten Gemeinschaft lutherischer Kirchen zu sein?
Ich selbst empfinde es als großartig, Teil des Lutherischen Weltbundes zu sein, und es ist wichtig, unsere Entstehungsgeschichte nicht zu vergessen. Begonnen hat alles 1947 mit der Gründung des LWB in Lund. Die Reformationsfeierlichkeiten 2016 waren ein weiteres wichtiges Ereignis. Schon viele Jahre früher wurde 1679 hier in Lund der historisch bedeutende Frieden von Lund geschlossen. Und aus diesem Grund würde ich sagen, dass wir eine besondere Verantwortung haben, die Erinnerungen lebendig zu halten, den Weg den Friedens fortzusetzen und weiterhin ökumenisch zusammenzuarbeiten.
Am diesjährigen 31. Oktober werden die katholische Gemeinde und die lutherische Gemeinde von Lund daher die ersten fünf Jahre einer neuen Freundschaft feiern. Der 31. Oktober ist zu einem Tag der Ökumene und des Friedens geworden.
Von LWB/P. Mumia. Deutsche Übersetzung: Andrea Hellfritz, Redaktion LWB/A. Weyermüller
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Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.
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