Kreuzestheologie im asiatischen Kontext
Manila (Philippinen)/Genf, 17. Dezember 2015 (LWI) – Wenn es keine einheitliche asiatische lutherische Identität auf dem vielgestaltigen Kontinent gibt, was ist das das verbindende Element der unterschiedlichen Ausprägungen des Luthertums in Asien?
Mit dieser Ausgangslage starteten die Gespräche von 30 Kirchenleitenden, TheologInnen, Frauen- und JugendvertreterInnen im Rahmen einer vom Lutherischen Weltbund (LWB) veranstalteten Konsultation. Sie setzte sich mit Fragen der lutherischen Identität und des lutherischen Selbstverständnisses in Asien auseinander. Gastgeberin der Konsultation, die in Manila stattfand, war die Lutherische Kirche auf den Philippinen. Vertreten waren LWB-Mitgliedskirchen aus Australien (einschliesslich Neuseelands), Indien, Indonesien, Japan, Malaysia, Myanmar, Singapur und Taiwan.
Die asiatischen TheologInnen stimmen darin überein, dass die zentralen Aspekte der lutherischen Lehre das Zeugnis in der heutigen Welt prägen sollten. Wegweisend sollten die Liebe Gottes und die Kreuzestheologie sein. Die Diskussion ist jedoch noch in vollem Gange.
Der australische Theologe Pfr. Dr. Stephen Haar gehört zu jenen, die die Gastfreundschaft als zentrale Tugend lutherischer Theologie im komplexen asiatischen Kontext betrachten.
„Die Gastfreundschaft bietet eine angemessene Metapher für die Identität und Mission der asiatischen lutherischen Kirchen in einer religiös pluralistischen und postmodernen Kultur, denn sie umfasst Einladung, Antwort und den Austausch miteinander“, so Haar, der am Australian Lutheran College lehrt.
Haar lud die lutherischen Kirchen in Asien ein, über ihren Umgang mit Andersartigkeit – von Menschen, Kulturen, Glaubensrichtungen, Religionen und Weltanschauungen – nachzudenken und so ihre jeweilige Identität und das Wesen ihrer Mission zu entdecken. Auch im weltweiten Kontext und auf der lokalen Ebene sei dieser Ansatz hilfreich, da die Postmoderne sich, auf verschiedene Weise, in allen diesen Bereichen auswirkt.
Erfahrungen von Frauen
In Manila forderte Pfarrerin Dr. Adlin Reginabai, die asiatischen lutherischen Kirchen müssten Position beziehen gegen die Gewalt, die Frauen in Kirche und Gesellschaft erleiden. Niemand sollte aufgrund der Sexualität diskriminiert werden. Beide Geschlechter sollten gleiche Chancen haben und die gleiche Verantwortung wahrnehmen.
Diese Forderung unterstützte die indonesische Pfarrerin Rospita Siahaan: „In unserem Mühen um die Gleichstellung der Geschlechter gilt die Mahnung, dass die Unterdrückten nicht zu Unterdrückenden werden dürfen. Nehmen wir Männer nicht als Feinde war, die es zu besiegen gilt, sondern als gleichberechtigte Partner in Familie, Kirche und Gesellschaft.“
Dr. Pauline Simonsen (Neuseeland) stellte fest, zu den positiven Aspekten der Postmoderne gehöre, dass die Erfahrungen und Stimmen von Frauen Gehör finden. Sie verändere die Wahrnehmung der Rolle und Fähigkeiten von Frauen.
„Ein konstruktives konfessionelles Luthertum bestimmt die Selbstwahrnehmung vieler Frauen in der Lutherischen Kirche Australiens und der Lutherischen Kirche Neuseelands – als Christinnen, die geprägt sind vom lutherischen Evangeliumsverständnis und die einen liebenden, wirksamen Dienst in der Welt tun“, so Simonsen weiter.
Der japanische Theologe Pfr. Dr. Arata Miyamoto stellte den Zusammenhang her zwischen der christlichen Tradition der Kreuzestheologie und dem ostasiatischen Konzept dhukka (Leiden). Dazu gehören, so Miyamoto, der leidende Gott, das Leiden Christi am Kreuz um der Sünde des Menschen willen – ein Leiden, das alles menschliche Leid transzendiere.
Mitwirkung am öffentlichen Leben
Pfr. Dr. Kenneth Mtata, Studienreferent des LWB für lutherische Theologie und Praxis, ermutigte die Kirchen in Asien, die theologische und spirituelle Bildung so zu konzipieren, dass sie die Kirchenglieder zur Mitwirkung am öffentlichen Leben in ihren Gesellschaften zurüste, die von einer rasanten Säkularisierung gekennzeichnet seien.
Pfr. Dr. Wilfred John Samuel, Rektor des Sabah Theological Seminary in Malaysia, erklärte, die asiatische lutherische Identität müsse der Vielfalt der LutheranerInnen offen und positiv begegnen. Damit einhergehen müsse allerdings auch das Mühen um Gegenseitigkeit und Kooperation. Nach seiner Ansicht müssten bei der Neukonzeption der asiatischen Identität sechs zentrale Bereiche bedacht werden – die Identität als Kirchengemeinschaft, die konfessionelle, liturgische, reformatorische Identität, die auf gesellschaftlichen Wandel ausgerichtete sowie die von ihrem Kontext geprägte Identität.
Es wurde deutlich, dass der Auseinandersetzung mit Fragen der asiatischen lutherischen Identität grosse Bedeutung zukommt und dass sie weitergeführt wird.
„Ich freue mich, dass wir in die richtige Richtung unterwegs sind. Ich bin froh, hier sein zu können. Es ist eine Ehre für mich, Zeuge zu werden, wie asiatische lutherische Identität Gestalt annimmt“, erklärte Prof. Dr. Frank Lin, China Lutheran Seminary.
Pfarrerin Selma Chen (Taiwan) ist seit 2012 an den Gesprächen zur asiatischen lutherischen Identität beteiligt. Sie stellte fest, der Prozess zur Klärung der lutherischen Identität und des lutherischen Selbstverständnisses in Asien schreite voran. Er sei von entscheidender Bedeutung.
Die Teilnehmenden der Konsultation erarbeiteten ein Dokument, das die asiatische lutherische Identität und das asiatische lutherische Selbstverständnis darlegen und Anfang nächsten Jahres vorgelegt werden soll.
Weiterhin wollen die LutheranerInnen in Asien ein Dokument zum Verlauf des Prozesses veröffentlichen. Es soll 2017 zum 500. Reformationsjubiläum erscheinen.
(Ein Beitrag von Steven Lawrence, Leiter des LWB-Regionalbüros Asien.)