Reiche Länder werden an „moralische Pflicht“ erinnert
GENF (LWI) – Der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes (LWB), Martin Junge, hat die reichsten Länder der Welt zusammen mit 150 weiteren religiösen Führungspersonen aus aller Welt aufgerufen, für einen gerechteren Zugang zu den lebensrettenden Impfstoffen gegen COVID-19 zu sorgen. Falls das nicht gelinge, würde das nicht nur die Würde jener Personen verletzen, „die auf der Strecke bleiben, sondern auch die Würde jener, die sie zurückgelassen haben“.
Der dringende Aufruf erfolgte in einem Brief an die Staats- und Regierungschefs der G7-Länder, die im Juni im Vereinigten Königreich tagen werden. Sie werden darin aufgefordert, „dem Impfnationalismus entgegenzuwirken und sich zu verpflichten, die Impfstoffe weltweit gerecht zu verteilen“. Die beispiellose COVID-19-Krise habe uns alle „an unsere wechselseitige Abhängigkeit und unsere Verantwortung erinnert, füreinander zu sorgen“.
Die religiösen Führungspersonen betonen, dass „wenn auch nur ein Teil der Welt weiterhin unter der Pandemie leiden müsse, auch alle anderen Teile der Welt einem immer weiter steigenden Risiko ausgesetzt sind“. Ein Zugang zu COVID-19-Impfstoffen „darf nicht vom Reichtum, dem Status oder der Nationalität der Menschen abhängig sein“, schreiben sie. „Wir können uns unserer Verantwortung gegenüber unseren Schwestern und Brüdern nicht entziehen, indem wir darauf vertrauen, dass der Markt die Krise schon entschärfen wird, oder indem wir vor uns selbst behaupten, unseren Mitmenschen gegenüber keine Verpflichtungen zu haben. Jeder Mensch ist wertvoll. Wir haben eine moralische Pflicht, jeden Menschen in jedem Land dieser Welt zu erreichen.“
Der gemeinsame Aufruf von einer Vielzahl christlicher, muslimischer, jüdischer, buddhistischer und weiterer religiöser Führungspersonen erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem die Zahl der COVID-19-Fälle in Indien weiterhin dramatisch steigt. Die Zahl der Todesopfer durch die zweite Welle im Land hat die 200.000 bereits überschritten, und das Gesundheitssystem steht kurz vor dem Zusammenbruch. Obwohl Indien eines der Länder der Welt ist, in dem große Mengen Impfstoff hergestellt werden, haben bisher weniger als 10 Prozent der Bevölkerung die erste Impfung erhalten.
Der Brief an die Staats- und Regierungschefs der G7 weist darauf hin, dass „die Menschen in vielen Teilen der Welt nicht vor 2024 geimpft sein werden“, wenn das Tempo in der Herstellung und Verteilung der Impfstoffe nicht angezogen werde. Weiterhin wird auf die verheerenden Folgen für die ärmsten Menschen, Familie und Gemeinwesen verwiesen. Die einzige Chance, die Pandemie wirklich erfolgreich zu beenden, heißt es in dem Brief, sei, sicherzustellen, dass die Impfstoffe als „globales Gemeinschaftsgut“ allen Menschen zugänglich gemacht würden.
Der gemeinsame Brief folgt auf vielerlei Bemühungen einzelner religiöser Führungspersonen, die bereits einzeln zu einer gerechteren Verteilung der COVID-19-Impfstoffe aufgerufen hatten. Die jüngste Initiative für eine gerechtere Verteilung steht unter der Federführung der „People‘s Vaccine Alliance“ (etwa: Volksbündnis für Impfstoffe), einem wachsenden Netzwerk von Gesundheitsorganisationen und humanitären Organisationen, die auch von Politikerinnen und Politikern, Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern und religiösen Führungspersonen unterstützt werden. Das Netzwerk fordert ein Ende der Monopolstellungen bei Impfstoffforschung und -entwicklung sowie eine freie und faire Verteilung in allen Weltregionen. Es betont, die Verteilung zwischen und innerhalb von Ländern dürfe nicht von der jeweiligen Solvenz der Empfänger abhängen, sondern müsse sich rein am Bedarf orientieren.