Aufruf an Kirchen, engagiert Stellung zu beziehen gegen häusliche Gewalt
GENF (LWI) – Da neue Daten zeigen, dass häusliche Gewalt seit dem Beginn der Coronavirus-Pandemie zugenommen hat, hat die Leitung des Lutherischen Weltbundes (LWB) genau wie die Vereinten Nationen vor dieser „stillen Pandemie“ gewarnt, die bei den aktuellen Ausgangssperren insbesondere für Frauen und Kinder eine ernste Bedrohung darstellt. Lutherische Kirchen in allen Regionen der weltweiten LWB-Gemeinschaft nehmen nun Vorreiterrollen in der Unterstützung und dem Schutz von Frauen ein, die in dieser Zeit der erzwungenen Isolation zusätzlichen Gefahren ausgesetzt sind.
In einem Brief an die Mitgliedskirchen haben LWB-Präsident Erzbischof Dr. Panti Filibus Musa und LWB-Generalsekretär Pfarrer Dr. h.c. Dr. h.c. Martin Junge darauf hingewiesen, dass die Zahl der Frauenmorde „weltweit in besorgniserregendem Maße zugenommen“ habe. Sie mahnen die Kirchen „Gewalt gegen Frauen ab[zu]lehnen und ihr entgegen[zu]treten“. Sie rufen dazu auf, die Nummern von Hilfetelefonen leicht zugänglich zu machen und die Menschen weiterhin über Möglichkeiten zur Verhinderung von Gewalt und Missbrauch aufzuklären. Der LWB engagiere sich seit Langem für Gendergerechtigkeit und stelle sachdienliche und hilfreiche Materialien zu diesem Thema in vielen verschiedenen Sprachen zur Verfügung, so die beiden Kirchenleitenden.
Häusliche Gewalt steigt während Ausgangssperren an
„Schweigen und Ausgangssperren sind das Beste, was Tätern von häuslicher Gewalt passieren kann, weil sie ihre Opfer durch die Ausgangssperren gut kontrollieren und ihre Taten vor anderen Menschen gut verstecken können“, sagt Pfarrerin Judith VanOsdol, LWB-Programmreferentin für Gendergerechtigkeit und Frauenförderung. „Die Zahl der Frauen, die sich an die Hilfetelefone und Notfallhotlines wenden, ist in allen Weltregionen nach oben geschossen“, erklärt sie und führte weiter aus, dass „es Aufgabe und Pflicht von religiösen Führungspersonen [sei], sich für Gendergerechtigkeit einzusetzen und eine klare Botschaft an die Täter zu senden, die Gewalt und Zwang anwenden, dass sie für ihre Vergehen zur Rechenschaft gezogen werden“.
Sehr schnell hat zum Beispiel die Evangelisch-Lutherische Kirche in Simbabwe auf die gestiegene Gefährdung von Frauen reagiert. Sie sind durch höhere gesundheitliche und finanzielle Belastungen mit zunehmenden Spannungen konfrontiert; beengte Wohnverhältnisse stellen eine zusätzliche Bürde dar. Das Büro für Gendergerechtigkeit der Kirche hat unter der Leitung von Pfarrerin Elitha Moyo Plakate und Aushänge produziert, die häusliche Gewalt als eines der größten Probleme der COVID-19-Pandemie hervorheben und unterstreichen, dass geschlechtsspezifische Gewalt eine Straftat sei und die Täter „zur Verantwortung gezogen“ würden. Auch das Frauennetzwerk der Lutherischen Kirche Christi in Nigeria (LKCN) hat Flyer verteilt, in denen es ein Ende der Gewalt gegen Frauen und Kinder während des Lockdowns fordert.
In Deutschland hat Ursula Kress, Beauftragte für Chancengleichheit im Evangelischen Oberkirchenrat der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, eine Liste von lokalen Ansprechpartnern zusammengestellt, bei denen Frauen Hilfe finden können, solange Beratungsstellen möglicherweise geschlossen sind und Frauenschutzhäuser aufgrund der Quarantäneauflagen niemanden aufnehmen können. Häusliche Gewalt sei zwar „eines der größten Gesundheitsrisiken für Frauen“, erklärt Kress, die Ansprechpartnerin ihrer Kirche für alle Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt ist. Allerdings könnten auch Kinder und „auch Männer von häuslicher Gewalt betroffen sein“, sagt sie weiter. Aufgrund der Corona-Krise befürchte sie für die nächste Zeit aber vor allem einen deutlichen Anstieg von Fällen häuslicher Gewalt.
Auch andere Kirchen in Deutschland stellen Informationen, Kontaktadressen für Hilfesuchende und Unterstützung für die Opfer von häuslicher Gewalt online zur Verfügung und sind bemüht, ihre Flyer und Informationsblätter in Supermärkten, Bäckereien und Apotheken sowie in den Kirchen selbst möglichst breitflächig zu verteilen.
Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Amerika (ELKA) hat ähnliche Informationen für die Opfer von häuslicher Gewalt zusammen mit der Osterbotschaft ihrer Leitenden Bischöfin Elizabeth Eaton zur COVID-19-Pandemie verbreitet. Bischöfin Eaton, die auch LWB-Vizepräsidentin für die Region Nordamerika ist, ist Botschafterin der Kampagne „Donnerstags in Schwarz“, die sich für ein Ende von geschlechtsspezifischer Gewalt einsetzt und alle ökumenischen und interreligiösen Partner aufruft, ihre Aufklärungs-, Sensibilisierungs- und Präventionsmaßnahmen zum jetzigen Zeitpunkt noch einmal zu verstärken.
„Faith in Beijing“, ein Zusammenschluss von religiösen Netzwerken in Peking, hat dazu aufgerufen, dass alle Antworten auf die COVID-19-Krise Konzepte umfassen sollten, um sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt zu verhindern, und hat betont, dass es in der aktuellen Situation schwieriger sei, Hilfe und Unterstützung für Überlebende zugänglich zu machen. Glaubensgemeinschaften käme in der aktuellen Situation eine entscheidende Rolle dabei zu, präzise und korrekte Informationen der öffentlichen Stellen zur gesundheitlichen Aufklärung zu verbreiten, und sie müssten in der Förderung von Gendergerechtigkeit, der Bekämpfung von Stigmatisierung und anderer schädlicher Gendernormen „eine positive Rolle spielen“, verlautbarte die Gruppe.
Auch die Vereinten Nationen hatten vor den besonderen Folgen der Pandemie für Frauen gewarnt, weil viele von ihnen ihre Jobs im informellen Sektor verloren hätten und ihre unbezahlte Arbeit in der Pflege und Betreuung von Kindern, älteren Menschen und Kranken exponentiell zugenommen hätte. UN-Generalsekretär António Guterres forderte alle Regierungen auf, „es zu einem Bestandteil ihrer nationalen Reaktionspläne für COVID-19 zu machen, gegen häusliche Gewalt vorzubeugen und sie zu bekämpfen“. Dies bedeute unter anderem, verstärkt in Frauenhäuser, Hilfetelefone, Beratung und andere Hilfsangebote zu investieren. Strafverfolgungsbehörden und Justiz müssten „eine klare Botschaft [senden], dass Straffreiheit nicht toleriert werde“, sagte er.
„Die Rechte und Freiheit von Frauen sind für starke, widerstandsfähige Gesellschaften von wesentlicher Bedeutung“, so Guterres, der auch betonte, dass Frauen nicht nur Opfer oder Überlebende seien, sondern „wichtige Akteure in den Bemühungen zur Überwindung der Pandemie und den Bemühungen zum Aufbau von nachhaltigeren und gerechteren Gesellschaften für die Zukunft“.