Der lange Weg zur Gleichstellung von Frauen auf Leitungsebene

13 Febr. 2019
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Paula Müller-Otfried (Bildmitte, stehend) war die erste Frau, die ab 1921 in zur Landessynodalen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers gewählt wurde. Die streitbare Frau nahm 1919 an den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung teil und erhielt 1920 einen Sitz im Reichstag. Foto im Auftrag des DEF: Kasch, A.; Th. Möller Nachf., Stralsund; AddF, Kassel, Sign.: NL-K-16, D-F1/00045.

Paula Müller-Otfried (Bildmitte, stehend) war die erste Frau, die ab 1921 in zur Landessynodalen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers gewählt wurde. Die streitbare Frau nahm 1919 an den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung teil und erhielt 1920 einen Sitz im Reichstag. Foto im Auftrag des DEF: Kasch, A.; Th. Möller Nachf., Stralsund; AddF, Kassel, Sign.: NL-K-16, D-F1/00045.

Frauenwahlrecht und -repräsentanz in lutherischen Synoden Deutschlands

Hannover, Deutschland/Genf (LWI) – 100 Jahre Wahlrecht für Frauen in Deutschland – dieses politische und gesellschaftliche Jubiläum nimmt das Studienzentrum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für Genderfragen und die Konferenz der Genderreferate und Gleichstellungsstellen in den Gliedkirchen der EKD zum Anlass, diesen Aspekt auch in den evangelischen Kirchen zu beleuchten. Im Januar wurde die Publikation „Frauenwahlrecht in der Kirche“ veröffentlicht.

Die Publikation gibt einen Überblick über die Entwicklungen in den aktuell 20 Landeskirchen in Deutschland, von denen 10 Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes (LWB) sind. „Obwohl die Wahlrechtsfrage nicht nur in der Kaiserzeit erregte Debatten und Wortmeldungen auslöste, sondern in einigen Landeskirchen noch bis in die 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts diskutiert wurde“, sei dieses Kapitel kirchlicher Gleichstellungsgeschichte bislang nicht beleuchtet, heißt es im Vorwort.

Der Band möchte somit „einen ersten Überblick über die Einführung des Frauenwahlrechts geben“, ein „Schlaglicht auf die innerkirchliche Debatte um das Frauenwahlrecht zu Beginn des 20. Jahrhunderts und ihre Verschränkung mit den politischen Entwicklungen werfen“ und „die Repräsentanz in den Landessynoden beleuchten“.

Frauen in der Gesellschaft: 1919 erste Wahlbeteiligung

Politische Entwicklungen, die gravierende Folgen sowohl für die Frauenpolitik als auch für die Kirchen hatten, ziehen sich durch das gesamte 20 Jahrhundert. Aber die Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung der Weimarer Republik vom 19. Januar 1919 war die erste, an der Frauen in ganz Deutschland als Wählerinnen und Gewählte teilnahmen. Dieses Ereignis folgte auf den Ersten Weltkrieg (1914-1918) an dessen Ende auch das Ende des Deutschen Kaiserreichs und die Geburtsstunde der Weimarer Republik (1918) stand. Erstmals bestand eine parlamentarische Demokratie in Deutschland. „Außerdem war es ein Meilenstein für die Gleichberechtigung der Geschlechter“, so Dr. Antje Buche, die die Publikation mitverantwortet.

 

Dr. Antje Buche ist Studienleiterin am Studienzentrum der EKD für Genderfragen und hat das Projekt „Frauenwahlrecht in der Kirche“ mitverantwortet. Foto: SFG/EKD

Für die Kirchen bedeutete das neue politische System auch, dass das landesherrliche Kirchenregiment sein Ende fand. Staat und Kirche wurden rechtlich getrennt: Die Kirchenleitung ging auf die Synoden über; die Verwaltung der Kirchen wurde von rein kirchlichen Behörden wahrgenommen.

Politische Umwälzungen erfordern neue Kirchenverfassungen

So wurde es notwendig, dass die Kirchen in den Folgejahren jeweils eigene Kirchenverfassungen erließen. Die staatliche Ordnung diente hierfür als Vorbild. Theologische Überlegungen spielten nur dort eine Rolle, wo über die Übernahme staatlicher Regelungen Uneinigkeit herrschte, so auch zentral bei der Frage des Wahlrechts für Frauen. Das Ergebnis: mit einer Ausnahme hatten bis 1925 die lutherischen Kirchen eine eigene Kirchenverfassung. Die meisten Kirchen nahmen die Gleichstellung von Frauen auf und ermöglichten es ihnen, auf landessynodaler Ebene zu wählen und gewählt zu werden.

Ausnahmen bildeten die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, in der Frauen in der Landessynode zwar wählen, sich aber bis 1958 nicht zur Wahl stellen durften; die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Schaumburg-Lippe, die Frauen bis 1953 weder ein aktives noch ein passives Wahlrecht einräumte; und die Lippische Landeskirche (mit ihrer lutherischen Klasse), die erst 1967 die Wählbarkeit von Frauen auf allen kirchlichen Ebenen beschloss.

Frauen in der Kirche: ein steiniger Weg

Über das Wahlrecht für Frauen war bereits vor 1919 in Kirche und Gesellschaft seit Jahren gestritten worden. Erste Forderungen nach dem Frauenwahlrecht kamen in Deutschland bereits im Zusammenhang mit der 1848er Revolution auf. Während die proletarische Frauenbewegung gegen die schlimme soziale Lage der Arbeiterinnen in Werkstätten, Fabriken und Haushalten kämpfte, ging es der bürgerlichen Frauenbewegung um Bildungsmöglichkeiten und um eine eigenständige materielle Existenzmöglichkeit.

Spätestens um die Jahrhundertwende wurde das kirchliche Wahlrecht zu einen wichtigen Nebenschauplatz dieser Auseinandersetzungen. „Die Kirche war nahezu der einzige Raum jenseits des heimischen Herdes, der Frauen offenstand“, erklärt Antje Buche. „Sie stellten schon damals die Mehrheit des Gottesdienstpublikums und leisteten den größten Teil der kirchlichen Sozialarbeit.“

Die Hoffnung, dass sich das kirchliche Frauenstimmrecht schneller als das politische erringen lassen würde, ging jedoch nicht auf. Zu stark war unter den protestantischen Eliten die Bindung an den preußischen Obrigkeitsstaat und zu groß die Skepsis und Ablehnung gegenüber demokratischen Neuerungen.

Theologische Argumente für und wider das Frauenwahlrecht

Theologisch wurde diese Haltung untermauert mit dem „Paulinischen Schweigegebot“ aus 1. Korinther 14 und mit einer „Schöpfungsordnung“, die polare Geschlechtscharaktere und damit auch unterschiedliche Aufgaben von Mann und Frau unverrückbar festschreibe.

„Die Unterstützerinnen und Unterstützer des Frauenwahlrechts argumentierten mit der Gottesebenbildlichkeit beider Geschlechter nach Galater 3,28 und führten die überwiegend von Frauen geleistete diakonische Arbeit und ihrer zentralen Bedeutung für die Kirche ins Feld“, erläutert Buche die unterschiedlichen Positionen.

Stand heute: es gibt noch viel zu tun

Doch wie steht es heute um die Gleichstellung und Beteiligung von Frauen in den Landessynoden der Kirchen? „Seit den 1920er Jahren ist der Anteil der Frauen in den Landessynoden deutlich gestiegen. Waren es in den Anfängen vor allem adlige Frauen oder besonders hervorstechende Persönlichkeiten des öffentlichen und kirchlichen Lebens, sind Frauen heute in vielen Synoden besser vertreten. Dennoch ist eine paritätische Besetzung bislang in keiner Synode erreicht“, so Buche.

Wird die vom LWB – unter anderem im Grundsatzpapier: Gendergerechtigkeit im LWB – geforderte Quote von 40 Prozent Frauenanteil in Leitungsgremien als Messlatte zugrunde gelegt, wird sie in der aktuellen Wahlperiode von vier der 10 der deutschen LWB-Mitgliedskirchen erfüllt.

Die Landessynoden setzen sich aus ordinierten und nichtordinierten Mitgliedern zusammen, wobei die Laiinnen und Laien ausnahmslos die Mehrheit bilden. Bei den nichtordinierten Synodalen machen in acht der LWB-Mitgliedskirchen die Frauen 40 Prozent oder mehr der Gremienmitglieder aus. Mit 50,8 Prozent steht die Evangelische Landeskirche in Württemberg hier an der Spitze.

Im Sinne des „Priestertums aller Glaubenden“ ist der Vorsitz der Landessynode in fast allen Landeskirchen nichtordinierten Personen vorbehalten, die aus der Synode heraus gewählt werden. Aktuell haben vier Frauen dieses Leitungsamt in lutherischen Landessynoden inne.

 

LWF/OCS