An der Schnittstelle lutherischer und indigener Kultur

10 Sep 2020
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Foto: AI/NALA

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Drittes “Being Lutheran”-Webinar zur Wechselbeziehung zwischen christlichen Werten und kulturellen Traditionen der Urvölker

GENF (LWI) – Die Tochter eines Rentierzüchters, die den samischen Kirchenrat in Nordnorwegen leitet, eine Pfarrerin vom Volk der Maasai aus dem Süden Tansanias und eine Pfarrerin der Oglala Lakota (Sioux) aus Nordamerika sprachen im Rahmen eines Webinars der Reihe „Being Lutheran“ am 2. September über ihre vielfältigen Erfahrungen als Lutheranerinnen.

Moderiert wurde der virtuelle Austausch von Pfr. Dr. Chad Rimmer, Programmreferent für Identität, Gemeinschaft und Bildung beim Lutherischen Weltbund. Es war das dritte in einer Reihe monatlicher Webinare, die sich mit der Vielfalt an Formen befassen, wie Lutheranerinnen und Lutheraner ihren Glauben in unterschiedlichen Ländern und Kulturen leben.

Diesmal ging es darum, wie Menschen an der Schnittstelle indigener Kultur und lutherischer Tradition ihre religiöse Identität erfahren. Die drei Frauen sprachen über Möglichkeiten, wie die traditionelle kreative Weisheit Hilfestellung geben kann, Rassismus, Ungleichheit, Neokolonialismus und der Umweltkrise, die Welt und Kirche gegenwärtig vor große Herausforderungen stellen.

Referentinnen des Webinars (v.l.): Risten Turi Aleksandersen, Generalsekretärin des samischen Kirchenrats, Pfarrerin Rebecca Maduli Kurubai vom Volk der Maasai und Pfarrerin Joann Conroy, Präsidentin der American Indian and Alaska Native Lutheran Association. Fotos: NRK; privat; AI/NALA

Risten Turi Aleksandersen ist Generalsekretärin des samischen Kirchenrats. Sie beschrieb, wie sie ihren lutherischen Glauben, genauso wie die Sprache und Lebensweise ihres Volkes durch das Mitleben des von der Rentierzucht bestimmten Alltags ihrer Familie erwarb. „Unsere Eltern und Großeltern vermittelten uns die enge Verknüpfung von Glauben und alltäglichem Leben“, erinnerte sie sich. „Sie lehrten uns, vor jeglichem Tun einen Segen zu sprechen bzw. zu beten, die Schöpfung Gottes zu achten und Dank zu sagen für die Rentiere, die uns Nahrung, Kleidung und alles geben, was wir sonst brauchen.“

Die Maasai Rebecca Maduli Kurubai ist Pfarrerin und Doktorandin an der Tumaini University Makumira in Arusha. Sie sprach über die Herausforderungen, vor die sie ihre Arbeit mit ihrem Volk in Tansania stellt. Viele Maasai praktizierten nach wie vor ihre traditionelle Religion, andere gehörten unterschiedlichen christlichen Kirchen an. Starken Zulauf habe unter anderem die lutherische Kirche. „Die Mehrheit sind Frauen und Kinder, denn die Männer wollen die Tradition der Polygamie nicht aufgeben“, erläuterte Kurubai.

Fest im Glauben stehen, trotz der Herausforderungen

Viele dieser Frauen würden „aufgrund ihrer Glaubensüberzeugungen drangsaliert und verfolgt“, besonders in den sehr abgelegenen ländlichen Gebieten. Kurubai stellte fest, viele alttestamentliche Texte ermutigten die Frauen, trotz der höchst widrigen Umständen fest im Glauben zu stehen. Sie verwies auf Hanna, die Mutter des Samuel und eine der beiden Frauen des Elkana, sowie auf Ester, die jüdische Königin, die ihr Volk vor der Verfolgung durch die Perser bewahrt.

Als dritte Referentin kam Pfarrerin Joann Conroy zu Wort. Als erste weibliche Lakota Sioux wurde sie in der South Dakota-Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika (ELKA) ordiniert und ist aktuell Präsidentin der American Indian and Alaska Native Lutheran Association. „Die Zugehörigkeit zur lutherischen Kirche eröffnet unserem Volk eine spannende Perspektive“, stellte sie fest und verwies auf die etwa 30 Gemeinden der US-amerikanischen Urbevölkerung in der ELKA, denen etwa zur Hälfte auch indigene Geistliche vorstehen.

Traditionelle Kulturen, christliche Werte

„Als Indigene haben wir einen besonders starken Bezug zum Alten Testament“, betonte Conroy, „denn wir wissen um unsere direkte Beziehung zu unserem Gott und Schöpfer.“ Weiter führte sie aus: „Im Gegensatz zu den Vorstellungen vieler Menschen hat unser Volk nicht zahlreiche Götter, aber wir sind uns der vielen Geister bewusst, die uns ebenfalls umgeben, und die andere Engel nennen.“ Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen bemühten sich nach Kräften, für den Dienst im ordinierten Amt unter den indigenen US-Amerikanerinnen und -Amerikanern zu werben.

Conroy erinnerte auch an das generationenübergreifende Trauma der Indigenen, die bis heute unter den Folgen von Kolonialismus und Assimilationsmaßnahmen leiden, die auch von den christlichen Kirchen ausgingen. „Kolonisiert zu werden bedeutet, dass mir meine Identität genommen wird, dass ich immer mit Übergriffen rechnen muss, […] und man hat es schwer, sich Gehör zu verschaffen.“ Die Kirche unternehme große Anstrengungen, „unsere Gemeinden aufzuklären“, aber das Machtgefälle habe zur Folge, „dass unser Beitrag und unsere Meinung nur bis zu einem gewissen Punkt wirklich interessieren, soweit das den anderen nämlich nützt.“

Alle drei Referentinnen betonten, ihre jeweilige traditionelle Kultur habe einen direkten Bezug zu den christlichen Grundwerten der Gastfreundschaft, des Respekts, des Mitgefühls, der Dankbarkeit und Großzügigkeit. „Nach der Maasai-Tradition müssen wir ein geschlachtetes Tier mit den anderen teilen und dafür sorgen, dass jedes Mitglied der Gemeinschaft einen bestimmten Teil vom Fleisch bekommt“, erläuterte Pfarrerin Kurubai.

„Da wir in so engem Kontakt mit der Natur leben, wissen wir, dass wir nicht zu viel nehmen dürfen, sondern immer genug übrig lassen müssen für unsere Nächsten und die zukünftigen Generationen“, schloss die Generalsekretärin des samischen Kirchenrates.

 

LWF/OCS