Im vierten und abschließenden Bibeljahr-Webinar erkunden eine prominente lutherische Theologin aus Schweden und ein führender Theologe aus Simbabwe, auf welche Weise die Bibel einerseits zu sinnvollem und prophetischem Handeln inspirieren kann, andererseits aber auch als Waffe missbraucht werden kann, um zu unterdrücken, zu diskriminieren und zu spalten.
Antje Jackelén aus Schweden und Kenneth Mtata aus Simbabwe diskutieren die Bedeutung der Schrift
(LWI) – Wie kann die Bibel uns dazu inspirieren, ein besseres und aktiveres christliches Leben zu führen? Was kann uns die Bibel über Friedensarbeit und die Heilung der tiefen Zerwürfnisse in unseren Kirchen und Gesellschaften lehren? Und wie können wir die befreiende Botschaft der Bibel effektiver einer zunehmend säkularen und oftmals skeptischen Zuhörerschaft vermitteln?
Das waren die zentralen Fragen der vierten und abschließenden Veranstaltung der Bibeljahr-Webinarreihe, organisiert vom Lutherischen Weltbund (LWB) anlässlich des 500. Jahrestages der wegweisenden Übersetzung des Neuen Testaments von Martin Luther, mit der die frohe Botschaft des Evangeliums auch für die einfachen Menschen in Deutschland verständlich wurde.
Zwei führende Theologen aus der lutherischen Gemeinschaft, Pfarrerin Dr. Antje Jackelén aus Schweden und Pfarrer Dr. Kenneth Mtata aus Simbabwe, sprachen darüber, auf welche Weise die Bibel einerseits zu sinnvollem und prophetischem Handeln inspirieren kann, andererseits aber auch als Waffe missbraucht werden kann, um Menschen zu unterdrücken, zu diskriminieren und Gräben zwischen ihnen zu vertiefen. Die Bibel kann als „ein Steinbruch missbraucht werden, aus dem man sich die Steine heraussucht, die man auf andere Menschen werfen kann“, warnte die ehemalige Erzbischöfin der Schwedischen Kirche.
Neue Sichtweisen auf biblische Erzählungen
Ausgehend von ihrem nordischen Kontext wies Jackelén darauf hin, dass biblische Texte überall in der Alltagssprache und in der Kunst und Kultur zu finden sind, dass diese Bezüge aber Menschen ohne Glauben oder religiöse Bildung immer weniger bekannt seien. Dieser weit verbreitete Verlust kirchlichen Wissens in zahlreichen europäischen Ländern, so sagte sie, stelle sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance dar.
Zwar seien die traditionellen Gebetsgruppen und Bibelarbeitsgruppen unverzichtbar, um die Botschaft der Evangelien zu verbreiten, so Jackelén, aber es gebe zahlreiche weitere innovative Möglichkeiten, Geschichten aus der Bibel für Menschen zugänglich zu machen, die immer öfter nach dem Sinn ihres Lebens suchen. Bücher, Podcasts, soziale Medien oder saisonale Aktivitäten zu Weihnachten und Ostern könnten Möglichkeiten eröffnen, neue Sichtweisen auf biblische Erzählungen zu finden und Menschen neugierig darauf zu machen, mehr über den christlichen Glauben zu erfahren, so Jackelén.
Jackelén, LWB-Vizepräsidentin für die Nordische Region, sprach ebenfalls über die prophetische Tradition der Kirche, Ungerechtigkeiten zu bekämpfen und Machtmissbrauch anzuprangern. Zwar mögen viele Menschen die Kirche für ihr politisches Engagement kritisieren, aber sowohl die Propheten des Alten Testaments als auch Jesu Worte in Matthäus 25 mit der Aufforderung, die Hungrigen zu speisen und den Fremden willkommen zu heißen, „sind wichtig für die Darstellung der kirchlichen Botschaft“ und ihr Engagement in sozialen Fragen. „Als Lutheranerinnen und Lutheraner haben wir gelernt, dass Gerechtigkeit und Rechtfertigung eng miteinander verbunden werden müssen“, sagte sie.
Bei ihren Reflexionen über die wichtige Aufgabe, die polarisierenden Trennungen sowohl in den Kirchen als auch in der Gesellschaft zu heilen, stellte Jackelén fest, „dass wir umso unversöhnlicher und unsicherer werden können, je näher uns etwas am Herzen liegt.“ Die Kirche, so insistierte sie, „hat die Aufgabe, Kontroversen auszuloten […] und gesunde Lösungen für Konflikte zu unterstützen, bei denen wir uns gegenseitig vertrauen und zuhören können.“ Jesus habe „es geliebt, Fragen zu stellen“, sagte sie, „und doch sind wir oft versucht, Antworten zu geben“, anstatt zuzugeben, dass wir „besser zuhören und von anderen lernen würden.“
Frieden durch Gerechtigkeit fördern
Der Programmdirektor des Ökumenischen Rates der Kirchen für öffentliches Zeugnis und Diakonie, Kenneth Mtata, sprach über seine Sicht auf die Art und Weise, wie „unsere „Begegnung mit der Bibel immer durch hermeneutische oder kulturelle Perspektiven vermittelt wird.“ In seinen Ausführungen über den Missbrauch der Bibel erinnerte er daran, wie Bibelzitate benutzt wurden, um die Apartheid zu rechtfertigen, und bezeichnete „das südliche Afrika als das gelobte Land für Menschen weißer Hautfarbe.“ Wie sehr wir auch von einer bestimmten Sichtweise überzeugt sein mögen, so Mtata, so sehr muss uns doch die Notwendigkeit einer „Hermeneutik der Liebe“ bewusst sein, damit wir andere nicht verletzten und unsere Passion nicht eine Form von Götzendienst werde.
Im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zur Bedeutung der Bibel für die Herausforderungen unserer heutigen Zeit im Hinblick auf Friedensarbeit und Versöhnung erklärte Mtata, ehemaliger Generalsekretär des Kirchenrates von Simbabwe, dass sowohl das Alte als auch das Neue Testament zahlreiche Hinweise auf Frieden und den hebräischen Begriff „shalom“ enthielten. Allerdings, so stellte er fest, „ist es oftmals schwieriger, Menschen für Gerechtigkeit als für Friedensarbeit zu mobilisieren“, und er wies darauf hin, dass beide Konzepte ineinandergreifen müssten, sonst sei es ein „billiger Frieden“.
Mtata erinnerte an die Jahre 1983 bis 1987 und an den Völkermord in seinem Land, als mindestens 20.000 Menschen von der Armee der Regierung getötet wurden, und sagte, dass „die Kirche einen Beitrag zu Gesprächen“ über Amnestie und Versöhnung leisten könne, indem sie „dem Schmerz der Opfer und den Ängsten der Täter zuhört.“ Die biblische Geschichte über die beiden verfeindeten Brüder Jakob und Esau sei wichtig, weil sie zeige, „dass Versöhnung möglich ist.“
Schließlich wies der Theologe aus Simbabwe auf die Bedeutung der Ökumene im Kontext der Bibelübersetzung und der Förderung des Evangeliums hin, um „Ängsten vor Unterschieden und Vielfalt“ entgegenzuwirken. Die Bibel selbst, so Mtata, „bekräftigt die Vielfalt innerhalb der Ökonomie von Gottes Schöpfung“, wie die zahlreichen unterschiedlichen Gruppen verdeutlichen, die bei der Geburt der Kirche zu Pfingsten anwesend waren. „Innerhalb der Dynamik der ökumenischen Familie“, sagte Mtata abschließend, „können Totengebeine wieder zum Leben erweckt werden [...], und wir können Gottes Wort auf neue und frische Weise hören.“
Die vierteilige Bibeljahr-Webinarreihe wurde von Szabolcs Nagy von der Evangelisch-Lutherischen Theologischen Universität in Budapest koordiniert und ausgerichtet.