Interview mit Terry Kee, Bischof der Lutherischen Kirche in Singapur
SINGAPUR/GENF (LWI) – Schon als junger Pfarrer in Singapur hat Terry Kee festgestellt, dass er eine Gabe hat, gespaltene Gemeinden zum Dialog zu ermutigen. Über die Jahre hat er diese Gabe weiterentwickelt. In seinem Bischofsamt der Lutherischen Kirche in Singapur (LKS) und als führende Persönlichkeit im Hinblick auf die ökumenischen und interreligiösen Beziehungen in seinem Land konnte er sie wiederholt und erfolgreich einsetzen.
Die LKS wurde 1997 gegründet. Ursprünglich waren sie Teil der Lutherischen Kirche in Malaysia und zählt heute rund 3.000 Mitglieder. Kee war einer der beiden ersten Singapurer, die 1987 zu lutherischen Pfarrern ordiniert wurden.
2021 will sich Kee von seiner Führungsposition in der LKS zurückziehen. Im Interview spricht er über vergangene und aktuelle Herausforderungen, mit denen seine Kirche in dem multiethnischen und multireligiösen Kontext des Landes konfrontiert ist.
Vor fast 25 Jahren hat sich ihre Kirche von der Kirche in Malaysia losgelöst und ist unabhängig geworden – erzählen Sie uns doch bitte kurz etwas zur Geschichte Ihrer Kirche.
Die Anfänge unserer Kirche hier in der Region liegen in der Zeit, als christliche Missionare unterschiedlicher Konfessionen in den frühen 1950er Jahren aus China ausgewiesen wurden. Diese Missionare hatten viel Zeit damit verbracht, die chinesische Sprache zu erlernen und die chinesische Kultur zu verstehen, deshalb haben sie nach ihrer Ausweisung nach Möglichkeiten gesucht, mit Chinesinnen und Chinesen in der Diaspora zu arbeiten.
Etwa zur gleichen Zeit hat der Lutherische Weltbund eine Tagung für Missionare in Malaysia organisiert – die erste lutherische Konsultation in Südostasien, die sich schwerpunktmäßig mit dem kirchlichen Dienst für Chinesinnen und Chinesen außerhalb von China beschäftigte.
Ebenfalls zu dieser Zeit hatte die britische Kolonialmacht in Malaysia in den Grenzgebieten mit kommunistischen Aufständischen aus China zu kämpfen und hatte deshalb beschlossen, so genannte „neue Dörfer“ aufzubauen und die lokale Bevölkerung dorthin umzusiedeln. Für die britische Kolonialmacht galt Religion als gutes Mittel der Abwehr gegen den Kommunismus, und deshalb stellte sie kostenlos Land für den Bau von Kirchen, Schulen und Krankenhäusern zur Verfügung. Ein halbes Jahr später, 1953, kamen die ersten lutherischen Missionare nach Malaysia und begannen mit dem Aufbau von Gemeinden – sowohl in den Dörfern auf dem Land als auch in den Städten, wohin es die Menschen für Bildung und Arbeitsplätze zog.
Wann und warum hat die Kirche in Singapur dann entschieden, sich von der Kirche in Malaysia loszulösen und unabhängig sein zu wollen?
Singapur wurde 1965 unabhängig von Malaysia. Daraufhin haben viele Körperschaften in unserem Land begonnen, sich von ihrem Pendant in Malaysia loszulösen; auch einige Kirchen. Wir aber sind erst einmal weiter eine Kirche geblieben und haben als südlicher Distrikt dieser einen Kirche gewirkt.
Im Laufe der Jahre haben einige ganz praktische und konkrete Unterschiede im Bildungssystem und die zunehmende Kontrolle der Regierung über die Finanzströme in das Land und aus dem Land heraus dann aber zu immer größeren Problemen auf administrativer Ebene geführt.
Es gab keine Konflikte zwischen den Kirchenleitenden in Malaysia und Singapur, aber die zunehmende Anzahl an Rechtsvorschriften und Verordnungen haben es uns immer schwieriger gemacht, als eine Einheit aufzutreten. Also sind wir zu der Überzeugung gekommen, dass es vielleicht an der Zeit sei, uns parallel zu den Landesgrenzen in zwei Kirchen aufzuteilen. Wir wollten aber in enger Partnerschaft bleiben und uns gegenseitig unterstützen so gut es geht und wann immer es möglich ist.
Wie sieht die Kirche in Singapur heute, fast ein Vierteljahrhundert später, aus?
Wir haben 24 ordinierte Pfarrpersonen und sechs Gemeinden – fünf singapurische und eine thailändische Gemeinde. Als ich 2009 Bischof der Kirche wurde, gab es noch sieben Gemeinden, weil Spannungen innerhalb einer der Gemeinde zu einer Abspaltung geführt hatten. Ich fand es wichtig, diesen Konflikt aus der Welt zu schaffen und habe viele Gespräche mit den Leitenden der Gemeinden geführt. Gott sei Dank hat der Gemeinderat der Gemeinde, die sich abgespalten hatte, vor einigen Jahren beschlossen, sich ihrer Muttergemeinde wieder anzuschließen. Wir haben also sozusagen eine Gemeinde verloren, nicht aber ihre Mitglieder!
Jede Gemeinde hat mindestens zwei Zweige – einen englischsprachigen und einen chinesischsprachigen. In einigen Kirchen wird zudem der vorherrschende chinesische Dialekt, Hokkien, gesprochen, aber das meistens nur von den älteren Menschen, die kein Mandarin oder Englisch gelernt haben. Die verschiedensprachigen Zweige haben jeweils ihre eigenen Pastoren und Gemeinderäte, arbeiten aber in einem gemeinsamen Gemeinderat zusammen.
Wachsen diese Gemeinden derzeit oder verlieren sie Mitglieder?
Die Größe der Gemeinden ist relativ stabil. Wenn man sich die letzten vier oder fünf Jahre anschaut, sieht man, dass wir ein paar Mitglieder an andere Kirchen verloren haben, aber auch, dass wir einige Taufen feiern konnten und somit insgesamt einen kleinen Zuwachs bei den Mitgliederzahlen verzeichnen konnten.
Sie waren zwei Amtszeiten lang Vorsitzender des Nationalen Kirchenrates von Singapur (NCCS), in dem viele verschiedene christliche Gruppierungen vertreten sind. Wie eng arbeiten die verschiedenen Konfessionen in Singapur zusammen?
Dass Singapur eine Stadt auf einer kleinen Insel ist, hat auch Vorteile. Die führenden Persönlichkeiten der verschiedenen Konfessionen kommen nicht nur regelmäßig im Präsidium des Trinity Theological College und im Exekutivrat des Nationalen Kirchenrates zusammen, sondern treffen sich auch einmal im Monat für eine gemeinsame Andacht.
Wir haben auch schon viele Veranstaltungen gemeinsam organisiert. Am ehesten im Gedächtnis geblieben sind vielleicht das Dankfest zum Staatsjubiläum und die große Kundgebung im Nationalstadion, das Fest der Hoffnung.
Singapur ist ein mehrheitlich buddhistisches Land, aber gleichzeitig auch das Land mit der größten religiösen Vielfalt auf der Welt. Wie würden Sie Ihre Beziehungen zu den anderen Religionsgemeinschaften beschreiben?
Sie werden besser, aber es gibt noch einiges zu tun, würde ich sagen. Ich gehöre einer interreligiösen Organisation an, die Verständigung und Freundschaft zwischen Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit fördern will.
Die Organisation ist aus einer Basisbewegung entstanden, die ein weiser und weitsichtiger Muslim, Abdul Aleem Siqqique, ins Leben gerufen hatte. Er hatte Führungspersonen anderer Religionen zusammengerufen, um auf die Spannungen in der Bevölkerung zu reagieren. Die Organisation heißt Inter-Religious Organization (IRO). Anfangs waren fünf Religionsgemeinschaften vertreten, heute sind es offiziell schon zehn.
Welche Auswirkungen hatte die Covid-19-Pandemie in diesem Jahr für Sie?
Singapur war nach China eines der ersten Länder, in denen die Pandemie ausgebrochen ist; bei uns gab es die ersten Fälle schon am 19. Januar. Die Regierung hat große Anstrengungen unternommen, um eine Ausbreitung vor Ort durch einen kompletten Lockdown zu verhindern. Aber Singapur ist eine geschäftige und wichtige Handelsroute, so dass wir unsere Grenzen nicht einfach schließen können. Viele Bürgerinnen und Bürger sind aus dem Ausland zurückgekommen und mussten sich selbst isolieren. Aber das Virus hat sich trotzdem ausgebreitet.
In Singapur gibt es rund eine halbe Million Arbeitsmigrantinnen und -migranten. Viele von ihnen leben in Siedlungen mit großen Wohnheimen, die extra für sie und mit Platz für bis zu 25.000 Menschen gebaut wurden. Aufgrund der engen Verhältnisse dort hatte das Virus leichtes Spiel und hat sich schnell ausgebreitet. Und obwohl die Regierung kostenlose Tests und medizinische Versorgung bereitgestellt hat, waren die hohen Infektionszahlen der zweiten Welle vor allem auf diese Siedlungen zurückzuführen. Dank der guten Gesundheitsversorgung in Singapur hatten wir bei 59.000 Infizierten insgesamt nur 29 Todesfälle zu verzeichnen. Aktuell gehen die Infektionszahlen zurück und es gelten strikte Quarantäne-Regeln für Einreisende. Stand vor zwei Wochen hatten wir keine Ansteckungen hier bei uns vor Ort mehr.
Wie hat die Kirche auf diese Herausforderung und die neuen Gegebenheiten reagiert?
Als der so genannte „Code Orange“ verhängt wurde, durfte noch eine begrenzte Anzahl Menschen in der Kirche zusammenkommen, aber uns war schnell klar, dass es weitere Beschränkungen geben könnte oder dass Gottesdienste komplett verboten werden würden. Einige Kirchen – vor allem die großen Megachurches – waren sehr gut ausgestattet mit der notwendigen Technologie und hatten das Know-how. Sie haben kostenlos beraten, welches Equipment man kaufen sollte, wie man Gottesdienste aufzeichnet und bearbeitet oder live überträgt – all das war sehr hilfreich für uns. Nach 10 Tagen nahmen dann die Infektionszahlen zu und es wurden verschiedene strenge Maßnahmen umgesetzt, um die Infektionsketten zu unterbrechen, darunter auch ein vorübergehendes Verbot aller Aktivitäten der Religionsausübung vor Ort für alle Religionsgemeinschaften.
Die Lutherische Kirche in Singapur hat daraufhin beschlossen, im April einen gemeinsamen Gottesdienst für alle live im Internet zu übertragen und den einzelnen Gemeinden damit ausreichend Vorlauf- und Vorbereitungszeit zu geben, um ab Mai ihre eigenen Gottesdienste übertragen zu können.
Wir haben den Gemeinden außerdem geraten, QR-Codes zu beantragen, um Möglichkeiten für digitales Banking zur Verfügung zu haben, aber viele ältere Kirchenmitglieder sind technisch nicht sehr visiert und haben keine Smartphones. Einer unserer Pfarrer hat auch Tonaufzeichnungen von Gottesdiensten gemacht und diese Dateien an die älteren Kirchenmitglieder geschickt, um auch sie einzubinden. Wir haben die Menschen ermutigt, für die Kollekte während der Gottesdienste entweder die QR-Codes zu benutzen oder einfach Geld in einen Umschlag zu tun und diesen vorerst sicher zu verwahren. Einer unserer Pfarrer hat erzählt, dass, als Gottesdienste vor Ort mit einer begrenzten Anzahl von Teilnehmenden wieder erlaubt waren, in einer Gemeinde mit weniger als 50 Seniorinnen und Senioren unter den Mitgliedern insgesamt mehr als 10.000 Dollar für die Kollekte in solchen Umschlägen zusammengekommen waren!
Insgesamt sind unsere Einnahmen etwas geringer als vor der Pandemie, aber weil viele Aktivitäten nur noch online stattfinden, haben wir natürlich auch weniger Ausgaben. Unterm Strich ist das Ergebnis für dieses Jahr also in Ordnung. Trotz allem hat die Pandemie aber dazu geführt, dass viele Menschen ihren Job verloren haben, und die Kirche bringt sich in größerem Umfang in die Unterstützung der betroffenen Familien ein.
Kommen die Menschen jetzt wieder in die Kirche?
Wir hatten für uns die Entscheidung getroffen, kein Online-Abendmahl zu feiern, wie es einige andere Kirchen getan haben. Die Menschen sehnen sich jetzt sehr danach, dieses Sakrament zu empfangen, wenn sie nach so langer Zeit endlich wieder in die Kirche kommen können. Einige Menschen sind nach wie vor der Meinung, dass der Gottesdienstbesuch nicht sicher ist und andere vermissen das Zusammensein nach dem Gottesdienst. Aber die meisten von denen, die wieder in die Kirche gekommen sind, berichten, dass der Gottesdienstbesuch sie mehr bewegt habe, als sie erwartet hatten. Sie erzählen uns, dass sie vor der Pandemie vieles für selbstverständlich gehalten haben und dass der Gottesdienstbesuch jetzt trotz des Abstands, den wir zu anderen Menschen halten müssen, und trotz der Gesichtsschutze eine sehr bewegende Erfahrung sei.
Aber wird es uns gelingen, alle Schäfchen wieder in die Hürde zu bringen? In einigen Gemeinden haben Familienmitglieder, die vorher nie in der Kirche waren, ein Interesse für die Zoom-Gottesdienste entwickelt oder melden sich für unsere Kurse für religiöses Grundlagenwissen an. Ein Pastor, für den es vorher immer schwierig war, junge Familien in die kirchlichen Aktivitäten einzubinden, organisiert jetzt einmal in der Woche erst abends um 21:30 Uhr einen Kurs, damit die die Eltern erst ihre Kinder ins Bett bringen können. Dieser Kurs erfreut sich großer Beliebtheit. Ein anderer Pfarrer organisiert täglich kurze Online-Andachten und hat auch dazu sehr positive Rückmeldungen bekommen. Es gibt also viele Herausforderungen, aber auch viele Chancen.
Es nähert sich der Zeitpunkt, an dem Sie Ihr Bischofsamt aufgeben werden. Haben Sie schon Pläne für die Zeit danach?
In den vielen Jahren meines Dienstes in der Kirche habe ich an sehr unterschiedlichen Orten gewirkt, die alle eines gemein hatten: Es war Versöhnung notwendig. Ganz am Anfang meines Dienstes hat Gott mich eingesetzt, um Spannungen zwischen verschiedenen Ortsgemeinden einer Kirche zu schlichten. Danach wurde ich in eine Gemeinde versetzt, in der es Probleme zwischen einem charismatischen Flügel und anderen Mitgliedern gab, und dann war ich in einer Gemeinde tätig, in der große Spannungen zwischen der älteren und der jüngeren Generation herrschten. Zehn Jahre lang habe ich im Ausland – in Thailand – bei der Gründung von Kirchengemeinden geholfen bis ich 2006 zurück nach Singapur beordert und 2009 zum Bischof gewählt wurde.
Ich bin all die Jahre immer dem Ruf der Kirche gefolgt und habe mich immer nach den mir von ihr gestellten Aufgaben und ihren Bedürfnissen gerichtet. Ich kann mir auch heute noch vorstellen, in einer Gemeinde oder einem anderen Arbeitsfeld der Kirche zu arbeiten, wenn mir die Kirche eine solche Aufgabe überträgt, auch im Ausland.
Der NCCS hat extra für mich den neuen Posten eines interreligiösen Botschafters geschaffen, den ich als eine Brücke des Friedens und der Verständigung zwischen dem Christentum und anderen Religionen sehe, und die IRO hofft, dass ich dort auch weiterhin eine Führungsrolle übernehmen kann. Mir macht das alles Spaß, und ich werde auch weiterhin das machen, wozu Gott mich beruft.
Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:
Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.
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