Interview mit Fernando Arucha, Salvadorianische Lutherische Kirche
SANTA ANA, El Salvador/GENF (LWI) – Fernando Arucha ist schon sein Leben lang Lutheraner und Mitglied der Salvadorianischen Lutherischen Kirche, er ist Marketingspezialist und ausgebildeter Fachmann für Kommunikation und Journalismus und er unterstützt seine Kirche regelmäßig mit seiner professionellen Erzählkunst.
Im folgenden Interview berichtet Arucha über seine Arbeit im Bereich der audiovisuellen Kommunikation und erzählt, was er persönlich erlebt hat, als er Menschen auf der Flucht von El Salvador in die USA begleitete und das Leid, aber auch die Hoffnung sehen und spüren konnte, die diese Menschen auf der Flucht vor der Gewalt und der Armut in ihrer Heimat immer im Gepäck haben.
Warum ist die Kommunikationsarbeit für Kirchen und Glaubensgemeinschaften Ihrer Ansicht nach so wichtig?
Kommunikation ist in jeder Gesellschaft ein wichtiges Grundprinzip. Auch bei uns, innerhalb unserer Organisation und unter unseren Geistlichen muss Kommunikation ein wichtiges Grundprinzip sein, damit wir überhaupt bestehen und uns gesellschaftlich und als Kirche weiterentwickeln können. Informationen müssen immer aus erster Hand kommen, und die Kirche muss auf unterschiedliche Art und Weise immer aktiv beteiligt sein an der Begleitung der Menschen und der eigenen Glaubensgemeinschaft – und Kommunikation ist da eine Möglichkeit.
Wir leben heute in einem Zeitalter der neuen Technologien und können mit unseren Handys immer und überall ganz einfach kommunizieren; aber mit den sozialen Medien geht eine neue Art der Verantwortung einher. Im Internet können wir derzeit viele falsche Informationen hören und lesen, aber als religiöse Institution müssen wir klar Stellung beziehen und nur wahre Informationen verbreiten. Wenn uns viele Informationsquellen zur Verfügung stehen, kann mehr als eine davon Unwahrheiten verbreiten. Es ist daher von größter Bedeutung, dass die Kirche mit einer starken Stimme spricht – mit einer Stimme, die Austausch fördert, der wiederum die Wahrheit ans Licht bringt.
Welche Bedeutung hat Ihr Glaube für Sie persönlich?
Unser Glaube treibt uns an, unser Glaube bedeutet Präsenz und aktives Engagement. Mein Glaube inspiriert und animiert mich in meinem Leben. Der christliche Glaube ist es, der mich antreibt.
Die Kirche ist ein zentraler Bestandteil meines Lebens. Sie ist die Leitschnur, die mir den richtigen Weg weist. In El Salvador kann es schnell passieren, dass man diese Leitschnur loslässt und vom rechten Weg abkommt. Ich bin aber überzeugt, dass Menschen überall auf der Welt diese Leitschnur leicht aus den Augen verlieren können, dass man sie in unterschiedlichen Kontexten nur vielleicht aus unterschiedlichen Gründen loslässt und dann vom rechten Weg abkommt.
Mein Glaube bringt mich dazu, mich darum zu bemühen, den richtigen Weg einzuschlagen, er stupst mich auf den Weg des Guten, dem ich folgen soll. Aber selbst innerhalb einer Glaubensgemeinschaft kann es schwierig sein, den Glauben nicht zu verlieren, wenn man Dinge sieht oder hört, die einem nicht gefallen. Martin Luther hat gesagt: „Wir sind durch unseren Glauben gerechtfertigt.“ Dieser Glaube muss von unserem Schöpfer kommen, der uns das Leben schenkt, und kann nicht von den Menschen kommen.
Was genau würden Sie in Ihrem Kontext als diese „Leitschnur“ verstehen?
In El Salvador leben etwas mehr als sechs Millionen Menschen auf rund 24.000 Quadratkilometern. Und in jedem Winkel dieser 24.000 Quadratkilometer herrscht Gewalt. Wenn ich von einer Leitschnur spreche, denke ich an die schwierigen gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Optionen, die die Menschen an einem Ort haben, in dem so viel Gewalt herrscht.
Wenn der Glaube bei jemandem nicht fest verwurzelt ist, wenn er oder sie mit massiver Gewalt konfrontiert ist, kann es sehr schwer sein, sich trotzdem für den Glauben zu entscheiden.
Welche Art von Gewalt herrscht in El Salvador heute vornehmlich?
Die Gewalt in El Salvador geht in erste Linie von Gangs und der organisierten Kriminalität aus; das ist teilweise auf die schwache Konjunktur zurückzuführen, aber auch die zunehmende soziale Ungerechtigkeit trägt zu der Gewalt bei.
Menschen verschwinden einfach, Menschen werden bedroht und Menschen werden erpresst. Manche Menschen verlassen ihre Häuser oder Wohnungen und verkaufen ihr gesamtes Hab und Gut in der Hoffnung, das eigene Land verlassen und in ein anderes Land gelangen zu können; sie nehmen jedes Risiko auf sich, nur um in Freiheit leben zu können. Wenn es ihnen nicht gelingt, die Grenze zu einem anderen Land zu überqueren, kehren sie als Gescheiterte nach El Salvador zurück und haben nichts mehr, nicht einmal mehr viel Vertrauen oder Glauben.
Diese Situation besteht schon seit einigen Jahren. Was fühlen Sie und welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf, wenn Menschen auswandern?
Mein Bruder ist in die USA ausgewandert, um der Gewalt hier zu entkommen und einen sicheren Arbeitsplatz zu finden. Das war ein bittersüßer Moment für mich, denn ich habe mich natürlich einerseits gefreut, dass er an einem Ort leben würde, wo es ihm wirtschaftlich besser gehen wird. Aber als derjenige, der in El Salvador zurückbleibt, bin ich immer noch traurig, weil ich nicht weiß, welchen Weg er einschlagen wird.
Wenn ein Mensch das Land verlassen will, gibt es zwei Möglichkeiten: Er kann es allein versuchen oder über einen Vermittler. Das heißt, dass man jemanden dafür bezahlt, die Reise zu organisieren – einen so genannten „Kojoten“. Diese „Kojoten“ bringen kleine Gruppen von Menschen über die Grenze nach Guatemala und weiter über Mexiko und bis an die Grenze zu den USA.
Die Reise mit so einem „Kojoten“ zu machen, gibt der Familie in El Salvador ein besseres Gefühl, weil sie wissen, dass man sicher ist. Aber der Preis ist hoch. Der Mindestlohn in meiner Heimat liegt zum Beispiel bei etwa 300 US-Dollar im Monat. Ein „Kojote“ verlangt zwischen 9.000 und 12.000 US-Dollar pro Person.
Der finanzielle Aufwand ist also enorm. Es gibt Menschen, die ihre Häuser verkaufen, ihren Job aufgeben, ihr Auto verkaufen, alle Annehmlichkeiten aufgeben. Sie geben alles auf. Aber auch dann gibt es keine Garantie, denn manchmal werden die Menschen nach El Salvador zurückgeschickt und haben dann überhaupt nichts mehr.
In unserer von Hoffnung geprägten Arglosigkeit sagen wir uns: „Er wird ein besseres Leben haben, weil er das Problem der Gewalt nicht mehr haben wird, er wird einen Job haben und in den USA mehr verdienen.“
Man ist erleichtert, dass die Person geht, aber gleichzeitig hat man dieses Gefühl im Bauch, dass man ihn oder sie möglicherweise nie wiedersehen wird und dass man nicht weiß, was ihm oder ihr auf dem 2.677 Kilometer langen Weg hin zum amerikanischen Traum passieren wird.
Sie haben diesen Weg der Migration einmal selbst miterlebt, nicht wahr?
Ja! Vor etwa zwei Jahren hat mich die Salvadorianische Lutherische Kirche beauftragt, Landsleute auf dem Weg Richtung USA zu begleiten und ihre Reise zu fotografieren und zu dokumentieren.
Es werden Netzwerke in den sozialen Medien genutzt, um Menschen einzuladen, sich diesen Karawanen Richtung USA anzuschließen. Sie treffen sich an bestimmten Orten und gehen von dort gemeinsam in Richtung der Grenzen zu Guatemala und von dort weiter bis sie an den Fluss Suchiate kommen, den sie zu Fuß durchwaten, um nach Mexiko zu gelangen. Normalerweise treffen sie auf diesem Weg viele gutherzige Menschen.
Einige Abschnitte legen sie in Anhängern, Lastwagen oder Bussen zurück. Und im Laufe der Strecke, schließen sich ihnen weitere Menschen aus Guatemala, El Salvador und Honduras an. Das Ganze ist sehr gut organisiert.
Bedauerlicherweise gibt es auf diesen Routen auch sehr viel Drogenhandel und Kartelle, daher ist das Reisen in Gruppen und Karawanen sicherer und das Risiko von Entführungen und anderer Kriminalität sehr viel geringer.
Was waren besonders schreckliche und besonders schöne Momente auf dieser Reise?
Menschen auf der Flucht zu sehen, ist eine der schlimmsten Erfahrungen, die man machen kann; insbesondere, wenn es Kinder sind, die nichts zu essen haben, denen kalt ist, die am Straßenrand schlafen müssen und sich nur in den Armen ihrer Väter oder Mütter wärmen können. Das bewundernswerteste, was ich erlebt habe, war als eine Person, die etwas zu essen aufgetrieben hatte, es mit drei oder vier anderen geteilt hat. Es hat mich mit einem Gefühl von Freude erfüllt zu sehen, dass es auch in so einer schwierigen Situation noch Mitmenschlichkeit geben kann.
Auch die ökumenische Gemeinschaft von Christinnen und Christen heißt diese Migrierenden auf ihrer Reise immer wieder in ihrer Mitte willkommen. Viele christliche Kirchen in Guatemala – egal ob katholisch, lutherisch oder baptistisch – haben den Menschen eine Übernachtungsmöglichkeit geboten, eine Möglichkeit, sich zu waschen, einen Ort, wo sie sich ausruhen und etwas essen konnten. Das war großartig!
Was bedeutet es für Ihre Kirche, Ihre Arbeit und für Sie persönlich, Teil der weltweiten Gemeinschaft von Kirchen im zu sein?
Wir alle wünschen uns einen positiven Wandel in diesem Land und in der Welt. In der Gemeinschaft von Kirchen tragen wir alle durch Advocacyarbeit und das Berichten über konkrete Lebensgeschichten einen Teil dazu bei, dass es in der Gesellschaft und in El Salvador einen positiven Wandel geben kann. Eines unserer christlichen Kirchenlieder hier in El Salvador bringt das schön zum Ausdruck: „Wenn die Armen an die Armen glauben“, ist der Moment gekommen, dass wir „Freiheit“ rufen können. In der LWB-Gemeinschaft helfen wir einander – Brüder und Schwester, Salvadorianerinnen und Salvadorianer, Landsleute und Menschen aus anderen Ländern.
Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:
Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.
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