Engagiert an vorderster Front

04 Juni 2019
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Patricia Davenport ist Bischöfin der Southeastern Pennsylvania Synod in der ELKA. Foto: Bob Fisher-SEPAComm

Patricia Davenport ist Bischöfin der Southeastern Pennsylvania Synod in der ELKA. Foto: Bob Fisher-SEPAComm

Interview mit Patricia Davenport, der ersten schwarzen Bischöfin der ELKA

Philadelphia, USA/Genf (LWI) – Vor einem Jahr wurde Pfarrerin Patricia Davenport als erste afroamerikanische Frau zur Bischöfin der 3,5 Millionen Mitglieder zählenden Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika (ELKA) gewählt. Als Oberhaupt der Southeastern Pennsylvania Synod (Synode von Südost-Pennsylvania) ist sie zuständig für ein fünf Landkreise umfassendes Gebiet in der Umgebung von Philadelphia, in dem es ganz unterschiedliche ländlich, vorstädtisch und städtisch geprägte Gemeinden gibt.  „Unsere Synode gehört zu den buntesten Synoden der ELKA“, erzählt sie der Lutherischen Welt-Information (LWI) in ihrem Rückblick auf die ersten Monate ihrer Amtszeit.

Demnächst jährt sich ihr Amtsantritt als Bischöfin – erzählen Sie uns ein etwas über die Mitglieder der ELKA in Ihrem Teil der USA.

Bei uns gibt es liberianische, hispanoamerikanische, überwiegend weiße oder überwiegend afroamerikanische und sehr viele multikulturelle Gemeinden. Das gleiche gilt für unsere Pfarrerinnen und Pfarrer – wir haben 28 Pfarrerinnen und Pfarrer mit afrikanischen Wurzeln, das sind fast 10 Prozent. Fast genauso viele sind unter 40 Jahre alt und fast 40 Prozent unserer Geistlichen sind Frauen. Für diese Vielfalt sind wir sehr dankbar!

Eine solche ethnische Vielfalt ist in der ELKA ansonsten eher ungewöhnlich, oder?

Die Pew Foundation sagt, dass wir – die ELKA – zu 96 Prozent weiß sind. Nach Angaben unserer einzelnen Gemeinden haben 7 Prozent unserer Gottesdienstbesucherinnen und -besucher afrikanische Vorfahren und 91 Prozent sind weiß. Ich sage daher immer, die Southeastern Pennsylvania Synod ist einzigartig – und das nicht wegen mir!

Ist Rassismus auch heute noch ein Problem in der Kirche?

Ja, auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Als großes Ganzes ist es eine Kirche, deren Mitglieder zu 96 Prozent weißer Hautfarbe sind, nicht gewohnt, auch die Stimmen und Sichtweisen von Menschen mit einer anderen Hautfarbe wahrzunehmen und zu beachten. Viele unserer Gottesdienstbesucherinnen und -besucher, die nicht weiß sind, sind Mitglieder von Gemeinden in sehr armen Gegenden. Einige unserer angestellten afroamerikanischen Pfarrerinnen und Pfarrer werden nicht angemessen entlohnt.

Rassismus zu überwinden ist einer unserer zentralen Arbeitsschwerpunkte. Wir haben ein Anti-Rassismus-Team ins Leben gerufen, das Kirchen auf diesem Gebiet schulen soll. Wir wollen Schranken niederreißen, die Menschen von umfassender Teilhabe abhalten.

Wir versuchen dies durch Wissensvermittlung und Bildung, weil wir überzeugt sind, dass Menschen „besser handeln“, wenn sie „mehr wissen“. Wenn ich große Gemeinden besuche, in denen die allermeisten Menschen weiß sind, sage ich immer: Schauen Sie sich einmal genau an Ihrer Arbeitsstelle um, wer welchen Job hat. Sie werden erkennen, dass Sie die Macht haben, Veränderungen herbeizuführen.

Welche Arbeitsschwerpunkte haben Sie sich für Ihre Amtszeit gewählt?

Gerade erst ist meine erste Vollversammlung der Southeastern Pennsylvania Synod zu Ende gegangen und wir sind uns einig, dass der Kampf gegen den Rassismus ein zentraler Arbeitsschwerpunkt sein soll. Weil wir überzeugt sind, dass wir die Themen, die uns am Herzen liegen, auch finanziell gut ausstatten sollten, werden wir 10.000 US-Dollar für Anti-Rassismus-Trainings und für die Entwicklung von Führungskapazitäten bereitstellen.

Das Thema unserer Vollversammlung war der „Aufbau einer geliebten Gemeinschaft“ (building beloved community). Dabei geht es nicht nur um rassische Zugehörigkeit, sondern auch um die Themen Armut und Obdachlosigkeit. Sehr viele unserer Mitglieder leiden unter Ernährungsunsicherheit. Wir sind mit einem ernsten Drogenproblem konfrontiert, was dazu führt, dass Menschen ihre Jobs verlieren, ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, ihre Familien verlieren und manchmal auch ihr Leben. Wir müssen uns als Teil unseres Dienstes auch drogensüchtigen Menschen und ihren Angehörigen zuwenden und widmen. Die Gruppe der LGBTQIA+ ist in unserer Synode ebenfalls sehr groß und wir müssen uns weiterhin mit der Aufgabe auseinandersetzen, alle unsere Schwestern und Brüder in unserer Gemeinschaft willkommen zu heißen, denn wir wissen, dass alle aufgerufen sind, die frohe Botschaft von Jesus Christus zu verkündigen.

Wie in den meisten großen Kirchen im globalen Norden sind auch die Mitgliederzahlen der lutherischen Kirche in den USA zurückgegangen – wie gehen Sie damit um?

Wir erleben überall eine rückläufige Beteiligung und der Ressourcen, das ist richtig. Ganz oben auf unserer Prioritätenliste steht daher die Unterstützung von Gemeinden dabei, herauszufinden und zu verstehen, was eine lebendige Glaubensgemeinschaft wirklich ausmacht. Dass es dabei nicht um möglichst viele Mitglieder, Mittel und Gebäude geht, auch wenn dies in der Vergangenheit gerne die Maßstäbe waren, anhand derer das Wachstum einer Kirche gemessen wurde. Heute stellt sich vielmehr die Frage: Was bewirken Sie in Ihrem jeweiligen Kontext und Lebensumfeld?

Bei uns gibt es zum Beispiel eine ganz kleine Gemeinde mit nur 15 Mitgliedern. Aber in dieser Gemeinde gibt es eine Tafel, es finden Treffen der Anonymen Alkoholiker statt, es gibt Kunst- und Musikprogramme für Kinder – es würde in diesem Umfeld also sehr viel fehlen, wenn es die Kirche nicht mehr geben würde. Andere Kirchen haben vielleicht 1.500 Mitglieder und können nach den oben genannten Maßstäben jeden Sonntag vieles abhaken, und sie leisten wahrscheinlich sogar einen wertvollen Dienst, aber würde der Gemeinschaft als Ganzes etwas fehlen, wenn es die Kirche nicht mehr geben würde?

Kurz nach Ihrer Wahl gab es ein Attentat auf eine Synagoge in Pittsburgh mit elf Toten. Wie würden Sie die Beziehungen Ihrer Kirche zu anderen Glaubens- und Religionsgemeinschaften beschreiben?

Ich bin sehr dankbar, dass sich schon meine Vorgänger in dem interreligiösen Netzwerk „Interfaith Philadelphia“ engagiert haben, in dem christliche, muslimische und jüdische Gläubige, Angehörige der Baha‘i Sikh und vieler anderer Religionen zusammenarbeiten. Wir arbeiten ganzheitlich zusammen, schaffen Möglichkeiten, uns gegenseitig etwas beizubringen, miteinander ins Gespräch zu kommen, gemeinsame Aufgaben wahrzunehmen und den sozialen Frieden zu fördern.

Am Abend des Attentats auf die „Tree of Life“-Synagoge zum Beispiel sind wir alle in einer Synagoge zusammengekommen, auch mit Regierungsvertreterinnen und -vertretern. Die Synagoge war vollbesetzt und wir standen eng beieinander, haben das Geschehene verurteilt. Wir haben nicht nur gemeinsam gebetet, sondern uns dazu verpflichtet, unsere Anstrengungen im Engagement gegen diese Art von Hass nochmals zu verstärken.

Wie können gläubige Menschen sich noch effektiver gegen Narrative des Hasses, der Angst und der Exklusion stellen?

Als Kirche müssen wir Vorbild einer solchen „geliebten Gemeinschaft“ sein, nicht nur innerhalb unserer Ortsgemeinden, sondern darüber hinaus in unserem jeweiligen Kontext. Wir müssen zeigen und vorleben, was es heißt, nicht nur auf die Hautfarbe und den Glauben eines Menschen zu schauen, sondern den Menschen in ihm oder ihr zu erkennen und so in der Lage zu sein, solidarisch zusammenzustehen, damit keiner von uns leiden muss. Wir haben uns mit dem Bürgermeister, mit dem Polizeichef und dem Bezirksstaatsanwalt getroffen, um herauszufinden, wie wir mit ihnen zusammenarbeiten können, um die Kriminalität in Philadelphia zu bekämpfen. Sie haben uns gesagt, die Kirche als „Ersthelferin“ für die Bedürftigen müsse ihre Stimme und Aufgabe wieder für sich einfordern.

Unsere Türen müssen wieder offen sein und das sieben Tage in der Woche, damit es einen Ort gibt, an den die Menschen kommen können. Es geht nicht nur darum, dass wir unseren Glauben ausüben können, sondern auch darum, auf die Bedürfnisse der Anderen einzugehen. Der Leitspruch der lutherischen Kirche ist: „Vom Kreuz Christi gezeichnet, berufen, versammelt und ausgesandt zum Wohl der Welt“. Und jedes Mal, wenn wir das Kreuzeszeichen machen, werden wir daran erinnert, dass unsere Beziehung zu Gott zu guten Beziehungen mit unseren bedürftigen Nächsten führen sollte.

Was waren für Sie ganz persönlich die größten Herausforderungen in diesem neuen Amt?

Wenn ich vor eine neue Aufgabe gestellt werde, verstehe ich diese gerne als Gelegenheit, im öffentlichen Raum Zeugnis abzulegen. Daher gehe ich mit der „Welcome Church“ den Benjamin Franklin Parkway entlang, um den Obdachlosen zu begegnen, denn wir müssen auf unsere Worte Taten folgen lassen. Mit den hispanoamerikanischen Gemeinden in Hope Park verteile ich Pflegesets an Drogenabhängige und versuche Kontakt aufzunehmen mit jugendlichen Ausreißerinnen und Ausreißern. Ich will nicht nur Almosen und Pflegesets verteilen, sondern mit den Menschen beten und ihnen Nähe bieten. Ich bin so dankbar für die Möglichkeit, nicht nur administrative und Büroarbeit machen zu müssen, sondern tatsächlich auch an vorderster Front aktiv zu sein.

 

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.

 

LWF/OCS