Wanda Deifelt: Der Weg zur Professorin und theologischen Beraterin
SAO LEOPOLDO, Brasilien/GENF (LWB) – Als Pfarrerin Dr. Wanda Deifelt von ihrem Dorf in Südbrasilien den Bus zur Schule nahm, hätte sie sich nie träumen lassen, dass sie einmal als Vorbild für den Kampf für Geschlechtergerechtigkeit in ihrer Kirche und darüber hinaus gelten würde. Als Inhaberin des ersten Lehrstuhls für feministische Theologie an der Faculdades EST, einem der führenden Bildungs- und Forschungszentren Brasiliens, über ihre internationale Arbeit für den Lutherischen Weltbund (LWB) bis hin zu ihrer jetzigen Tätigkeit als Professorin am Luther College im US-Bundesstaat Iowa hat sie Generationen von Studierenden dazu inspiriert, sich für die Einbeziehung und gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der Kirche einzusetzen.
Deifelt wuchs in einer traditionellen deutschen Einwandererfamilie in der Nähe der Stadt Estrela in der Hochburg des Luthertums in Brasilien auf. Mit 14 wurde sie auf ein kirchliches Internat geschickt. Weil sie in Lateinamerika aufwuchs, sagt sie „wurde mir deutlich bewusst, dass Frauen weniger Möglichkeiten haben, in der Gesellschaft aufzusteigen, und dass auf ihnen viel mehr soziale und kulturelle Erwartungen lasten.“ Sie fügt hinzu: „Ich erkannte auch, dass viele der Argumente zur Rechtfertigung der Unterlegenheit von Frauen auf biblischen oder theologischen Behauptungen beruhten.“
Nach dem Internat ging sie direkt ans theologische Seminar in São Leopoldo. Danach promovierte sie in den Vereinigten Staaten. Damals studierten immer mehr Frauen in Brasilien Theologie, erklärt sie. Doch es gab keine entsprechenden Dozentinnen am Seminar. Deshalb half sie bei der Gründung einer Kommission für Studierende, die sich für die Aufnahme von Themen wie „die umfassende Geschichte der Frauen in der Bibel oder die Bedeutung unserer Vormütter im Glauben“ einsetzen sollte.
Vier Jahrzehnte der Ordination von Frauen
Nach einem fünfjährigen Prozess stimmte die Leitung der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (IELCB) 1990 der Einrichtung eines Lehrstuhls für feministische Theologie zu und bat Deifelt im darauffolgenden Jahr, diesen anzunehmen. „Damit konnte ich Frauen mehr Sichtbarkeit geben, aber auch Themen wie häusliche Gewalt ansprechen, die damals noch nicht Teil des Lehrplans waren“, sagt Deifelt. Durch die Verwendung des Geschlechts als Analysekategorie war es außerdem möglich, über die extremen Auswirkungen nachzudenken, die der Machismo auch auf Männer hat und sie daran hindert, ihre Gefühle wahrzunehmen.
Lutherische Frauen studierten in Brasilien schon in den 1950-er Jahren Theologie. In den 1970-er Jahren begannen die ersten Frauen, in den Kirchgemeinden zu arbeiten. Doch erst 1982 durften sie auch ordiniert werden. Deifelt begann ihre pastorale Arbeit 1985, aber sie wurde erst 1994 ordiniert. Sie weist darauf hin, dass die IELCB dieses Jahr „den 40. Jahrestag der Frauenordination feiert, die mittlerweile weltweit in protestantischen Kirchen allgemein akzeptiert ist.“ Im vergangenen Jahr gehörte sie zu den fünf lutherischen, katholischen und methodistischen Frauen, die von der Faculdades EST die Ehrendoktorwürde für ihre Beiträge zu theologischen Studien und insbesondere zur feministischen Theologie erhielten, die die Stärkung der Rolle der Frau in Kirche und Gesellschaft fördert.
Abgesehen von ihrer Arbeit als Dozentin in Brasilien und den USA war Deifelt auch auf internationaler Ebene tätig. Sie war theologische Beraterin des Ständigen Ausschusses für ökumenische Angelegenheiten des LWB und half bei der Ausarbeitung von Dokumenten, von den Ergebnissen der Vollversammlungen in Hongkong und Winnipeg bis zur bahnbrechenden Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Zu ihrer breit gefächerten ökumenischen Erfahrung gehört auch ihre Arbeit als stellvertretende Beirats-Vorsitzende des Ökumenischen Instituts des Ökumenischen Rats der Kirchen in Bossey, Schweiz. Momentan ist sie Vorstandsmitglied des Ökumenischen Instituts des LWB in Straßburg, Frankreich.
In den letzten Jahren sei das Bewusstsein für Geschlechterungleichheiten gewachsen, sagt Deifelt, „und das Bewusstsein, wie schädlich Genderstereotypen für alle Menschen sind“. Doch ist sie sehr besorgt über die „Zunahme von rechten Politikern, die mit Hilfe der Rhetorik des christlichen Fundamentalismus versuchen, die Bibel und das Christentum als Waffe für ihre politischen Ziele einzusetzen.“ Sie sagt: „Bildung ist unsere beste Waffe – sowohl in der Kirche als auch in der Gesellschaft –, um das Verständnis für einen barmherzigen Gott zu fördern, der uns befreit, damit wir uns entfalten und Gottes Liebe in der Gemeinschaft auf andere ausdehnen.“
Vor allem junge Menschen, so Deifelt, verlangen von der Kirche mehr Relevanz und dass sie Gemeinschaften schafft, die ihren Bedürfnissen und Interessen besser entsprechen. „Die Gemeinden müssen Wege finden, um eine Kirche zu sein, die nicht mehr nur aus Sonntagmorgenaktivitäten besteht, sondern die Dinge anspricht, die ihnen am Herzen liegen oder über die sie sich Sorgen machen, wie zum Beispiel Menschenrechte und Klimawandel“, betont sie. „Vor allem für junge Frauen kann die Kirche eine Verbündete in ihren Kämpfen sein, ein Ort, an dem ihnen die Türen offenstehen und sie ihre Gaben und Talente einsetzen können, um sich selbst und auch die Gesellschaft zu verändern.“