Pfarrerin Emmanuelle Seyboldt spielt seit ihrem 12. Lebensjahr Klavier und wurde die erste weibliche Präsidentin der protestantischen Kirche in Frankreich. Im folgenden Interview spricht sie über Führungsverantwortung und ihre Entscheidung, „der Bibel einen zentralen Stellenwert in meinem Leben“ zu geben.
Interview mit Emmanuelle Seyboldt, Präsidentin der Vereinigten Protestantischen Kirche Frankreichs
(LWI) – Pfarrerin Emmanuelle Seyboldt spielt seit ihrem 12. Lebensjahr in der Kirche Klavier und ist reformierte Pastorin, die die erste weibliche Präsidentin der Vereinigten Protestantischen Kirche Frankreichs wurde. Im folgenden Interview spricht sie über ihre Entscheidung, „der Bibel einen zentralen Stellenwert in meinem Leben zu geben und anderen davon zu erzählen“.
Sie erzählt von ihren Erfahrungen aus einem stark von Säkularisierung und Individualismus geprägten Kontext und unterstreicht, wie wichtig die Einheit in Vielfalt in einer Kirche sei, die sowohl lutherisch als auch reformiert ist, und wie wichtig es sei, immer wieder „Räume für aufrichtigen Dialog“ zu schaffen, um eine wirkliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern herzustellen.
Erzählen Sie uns ein bisschen was über sich.
Schon mit sieben Jahren wusste ich, dass ich Pastorin werden wollte. Die Frage nach Gott war das wichtigste Thema in meinem Leben und ich wollte diesem Thema mein Leben widmen. Meine Familie ging damals in die Gemeinde der Reformierten Kirche von Frankreich (Église réformée de France) in Saint-Etienne. Dort habe ich das Evangelium kennengelernt und das hat meinem Leben Bedeutung gegeben. Ich habe beschlossen, der Bibel einen zentralen Stellenwert in meinem Leben zu geben und anderen davon zu erzählen.
Mit 15 Jahren wollte ich mich taufen lassen. Und nächstes Jahr feiere ich mein 30-jähriges Jubiläum im ordinierten Amt.
Musik hat auf meinem Weg in der Kirche immer eine wichtige Rolle gespielt. Ich hatte schon als Kind Klavier spielen gelernt und habe seit meinem 12. Lebensjahr für die musikalische Begleitung im Gottesdienst gesorgt; und auch heute noch mache ich das mit großer Begeisterung, wenn ich den Gottesdienst nicht selbst leite! Lieder und Musik können den Glauben auch ohne Worte ganz wunderbar zum Ausdruck bringen. Sie sind ein wunderbares Hilfsmittel für das Gemeindeleben und das Engagement.
Wann haben Sie Ihren Weg im ordinierten Amt begonnen?
Von 1989 bis 1994 habe ich an den Fakultäten für Protestantische Theologie (Institut Protestant de Théologie) in Paris und Montpellier Theologie studiert. Mit 24 wurde ich zur Pastorin der Reformierten Kirche von Frankreich ordiniert und übernahm die Pfarrstelle in dem Dorf Saint-Laurent-du-Pape in der Ardèche. Später habe ich als Pastorin in Châtellerault im Westen Frankreichs und als Krankenhausseelsorgerin in Poitiers gearbeitet.
Und wann haben Sie dann weitere Aufgaben übernommen?
Als ich 2013 Pastorin in der reformierten Gemeinde in Besançon war, wurde ich zur Vorsitzenden der Kirchenleitung für die Region Ost der Kirche gewählt. Im gleichen Jahr schlossen sich die Evangelisch-Lutherische Kirche von Frankreich (Eglise évangélique luthérienne de France) und Reformierte Kirche von Frankreich zur Vereinigten Protestantischen Kirche Frankreichs (EPUdF) zusammen. 2017 wurde ich zur Präsidentin des Nationalrats dieser EPUdF gewählt.
Die EPUdF hat 2023 ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert. Erzählen Sie uns dazu kurz etwas?
Lutherische und reformierte Pastorinnen und Pastoren witzeln gerne: „Einen reformierten Pastor oder eine reformierte Pastorin erkennst du daran, dass er oder sie nach spätestens drei Worten das Wort ‚Gerechtigkeit‘ in den Mund nimmt, bei lutherischen Pastorinnen und Pastoren ist es ‚Jesus Christus‘.“ Und auch wenn das nur ein Witz ist, sagt er viel aus über die einander ergänzenden Beiträge der beiden Konfessionen. Seit jetzt zehn Jahren lernen sich lutherische und reformierte Gläubige in der Vereinigten Protestantischen Kirche immer besser kennen und bereichern die Glaubenstradition der jeweils anderen; aber natürlich gibt es noch viel, was wir voneinander lernen können.
Welche Bedeutung hat diese Kirchenunion Ihrer Ansicht nach?
Für mich ist sie der erfolgreiche Abschluss und Höhepunkt einer wunderbaren Reise, eines Prozesses, der 2007 begann. Als 1973 die Leuenberger Konkordie unterzeichnet wurde, haben die lutherischen und reformierten Kirchen in Europa bekräftigt, dass sie im Grunde nichts mehr trennte. Deshalb arbeiten die reformierten und lutherischen Kirchen in Frankreich schon seit mehr als 50 Jahren eng zusammen. Die Pastorinnen und Pastoren werden schon lange in dem gleichen theologischen Institut ausgebildet, an dem auch ich studiert habe. Manchmal wechseln sie sogar von einer Kirche in die andere. Aber es stand noch ein letzter Schritt aus, um die Einigung, die in der Leuenberger Konkordie besiegelt war, auch wirklich deutlich zu machen: Eine Kirche zu werden. Und diesen Schritt haben wir 2013 schließlich gemacht.
Ich freue mich, dass wir in dieser Union für größere Einheit sorgen konnten. Wenn wir gespalten sind, ist unser Zeugnis für das Evangelium nicht glaubwürdig.
Sie sind die erste Frau an der Spitze der EPUdF. Erzählen Sie uns, wie es für Sie ist, diese Funktion auszufüllen?
Als ich 2017 gewählt wurde, war die Reaktion in den Medien überwältigend. Die Wahl hatte eine große Bedeutung in der französischen Gesellschaft: Eine Kirche, an deren Spitze eine Frau steht, war in dem historisch mehrheitlich katholischen Land etwas Besonderes.
Tatsächlich aber war es der nächste logische Schritt, denn in meiner Kirche werden Frauen schon seit 1966 ordiniert. Die Tatsache, dass 50 Jahre später dann die erste Frau zur Präsidentin gewählt wird, war also nur konsequent. Trotzdem waren die Mitgliedskirchen sehr stolz, dass ihre Kirche die erste Kirche in Frankreich mit einer Frau als Präsidentin war, und ich glaube, das hat vielen Mut gemacht. Viele Pastorinnen in der EPUdF und anderen Kirchen fühlten sich in ihrem Wirken ermutigt.
Wie erleben Sie Männlichkeit als Frau im kirchenleitenden Amt?
Das ist ein schwieriges Thema, vor allem bei Zusammenkünften von Kirchenleitenden. Es nicht immer einfach, die einzige Frau unter vielen Männern zu sein. Denn am Ende wird einem in genau so einem Setting bewusst, dass der Stimme der Frau nicht im gleichen Maße Beachtung geschenkt wird wie den Stimmen der Männer. Es ist schwer, sich damit abzufinden. Zudem sind sich die Männer dessen auch nicht bewusst. Sie merken nicht, dass sie auf mich herabschauen und mich nicht als ihresgleichen sehen. Aber das dürfen wir nicht zulassen! So etwas sollte es nicht geben. Auf dem Weg hin zu wirklicher Gleichberechtigung von Männern und Frauen in leitenden Positionen müssen wir Räume für aufrichtigen Dialog schaffen.
Welche Herausforderungen und welche Zeichen der Hoffnung sehen Sie, wenn Sie über die Kirche in Ihrem eigenen Kontext nachdenken?
Die größte Herausforderung ist nicht nur die Säkularisierung unserer Gesellschaft, sondern auch der sehr verbreitete Individualismus. Die Menschen gehen ihren eigenen spirituellen und religiösen Weg und stellen ganz unterschiedliche Forderungen an die Kirche. Die Kirchen müssen lernen, wie sie all diesen Menschen mit ihren verschiedenen Bedürfnissen begegnen und ihnen helfen können, das Evangelium und die Geschichte der Kirche kennenzulernen.
Wir haben Schulungen konzipiert, in denen die französischen Protestantinnen und Protestanten lernen können, offen Zeugnis abzulegen, denn sie haben eine lange Geschichte der Verfolgung erlebt und haben sich deshalb immer zurückgehalten und sind eher im Verborgenen geblieben; sie haben gelernt, sich still zu verhalten, um ihren Glauben leben zu können, ohne behelligt zu werden. Heute müssen sie lernen, die Stimme zu erheben und das Evangelium laut zu verkündigen.
Im Rahmen eines zweiten Programms, das wir vor drei Jahren ins Leben gerufen haben, besuchen unsere Gemeinden Kirchen im Ausland, die alternative Wege und Möglichkeiten gefunden haben, ihren Glauben zu leben und Zeugnis abzulegen. Natürlich wollen wir diese Kirchen nicht einfach 1:1 imitieren, sondern wollen vielmehr beobachten, wie sie denken, und Fragen stellen.
Darüber hinaus organisieren wir in den Sommerferien Theologie-Lager für junge Erwachsene. Diese Initiative trägt sogar schon Früchte – einige junge Menschen schreiben sich danach an den theologischen Fakultäten ein und denken darüber nach, Pastorinnen und Pastoren zu werden. Aber wir haben noch immer einen weiten Weg vor uns.
Sie haben jüngst an der RoNEL, der alljährlichen Klausurtagung des LWB für neugewählte Kirchenleitende, teilgenommen. Was ist Ihnen in Bezug auf die verschiedenen Lebensrealitäten der LWB-Mitgliedskirchen aufgefallen?
Mich hat sehr berührt, dass die Menschen in den Kirchen mit sehr unterschiedlichen Lebensrealitäten, in sehr unterschiedlichen Ländern und sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Kontexten trotzdem alle gleich sind. Die Kirchenleitenden sind mit sehr ähnlichen Herausforderungen konfrontiert: Machtkämpfen, dem Risiko der Spaltung, unüberwindbare theologische Klüfte, der Rolle von Frauen, der Schulung von Kirchenmitgliedern und der Arbeit mit jungen Menschen. Die Probleme sind die gleichen, ganz egal, ob eine Kirche reich oder arm, klein oder groß ist. Und als verantwortliche Pastorinnen und Pastoren müssen wir alle uns mit unserem Verständnis von Dienst auseinandersetzen. Ansonsten verlieren wir ganz schnell aus den Augen, dass wir berufen sind, Christus in seiner Kirche zu dienen, und gibt es ein erhebliches Risiko, abzudriften.
Welche Bedeutung hat es für Ihre Kirche, zum LWB zu gehören?
Es bedeutet, auf ganz konkrete Art Teil der Universalkirche zu sein. Im LWB arbeiten wir mit unseren Schwestern und Brüdern aus aller Welt eng zusammen. Wir wissen vom Verstand her, was die Universalkirche ist, aber im LWB leben wir sie auf ganz konkrete Art und Weise, und das ist eine große Unterstützung und Ermutigung für unseren Dienst und die Verkündigung des Evangeliums.