Großbritannien: Polnische Bischöfin für Migrantenkirche

Paulina Hlawiczka-Trotman, Bischöfin der Lutherischen Kirche in Großbritannien, spricht über ihre Leidenschaft für Musik und ihre Berufung in den Dienst der Kirche. 

11 Okt. 2024
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Bischöfin Paulina Hlawiczka-Trotman von der Lutherischen Kirche in Großbritannien. Foto: LWB/S. Gallay

Bischöfin Paulina Hlawiczka-Trotman von der Lutherischen Kirche in Großbritannien. Foto: LWB/S. Gallay

Bischöfin Paulina Hlawiczka-Trotman über ihre Lebensgeschichte vom Opern-Studium in Polen bis zur Leitung der Kirche im Vereinigten Königreich

(LWI) – Als Immigrantin aus Ostmitteleuropa trat Bischöfin Paulina Hlawiczka-Trotman in die Fußstapfen vieler lutherischer Flüchtlinge aus ebendieser Region, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf der Suche nach Sicherheit und Stabilität nach England flohen. 1948 kamen viele von ihnen zusammen, um den heutigen Rat der Lutherischen Kirchen zu gründen, der als Dachorganisation von verschiedenen lutherischen Gemeinden mit einer großen sprachlichen Vielfalt und aus einer großen Bandbreite von Kulturkreisen und Gottesdienst-Traditionen fungiert. 

Als Teenagerin in Polen träumte Hlawiczka-Trotman nicht von einer Karriere in der Kirche, sondern wollte ein Opern- oder Theater-Star werden. Tatsächlich versuchte sie viele Jahre lang den Ruf ins ordinierte Amt, den sie vernommen hatte, zu ignorieren, weil sie wusste, dass die Kirche in ihrem Heimatland Frauen immer noch vom ordinierten Amt ausschloss – was sich auch erst 2021 ändern sollte. 

Aber trotz aller Anstrengungen, sich dagegen zu wehren, sagt sie, „hat die Kirche immer wieder zu mir zurückgefunden“. So verfolgte sie am Ende erfolgreich beide beruflichen Laufbahnen – als professionelle Sängerin und als lutherische Pastorin. 2014 wurde sie von der Lutherischen Kirche in Großbritannien ordiniert. Zehn Jahre später wurde sie im Januar dieses Jahres als Bischöfin eingeführt, nachdem sie zuvor als Gemeindepfarrerin in lutherischen Gemeinden in den mittelenglischen Städten Nottingham und Corby und als Pastorin der polnischen Gemeinde in London gearbeitet hatte. 

Sie sind weit entfernt von London aufgewachsen, nicht wahr? Erzählen Sie uns von Ihrer Kindheit. 

Richtig. Ich bin den Bergen im Süden von Polen aufgewachsen. Und auch wenn Polen ein überwiegend katholisches Land ist, ist meine Familie schon seit der Reformationszeit, seit vielen Generationen also, lutherisch. Meine Vorfahrinnen und Vorfahren waren vor der Gegenreformation in der tschechoslowakischen Region auf der anderen Seite der Grenze in die polnischen Berge geflohen. 

Meine Familie hat sich immer stark in der Kirche engagiert, insbesondere in den Bereichen Musik und Singen. Wir haben alle immer im Chor gesungen, und meine Eltern haben Soloparts übernommen, was uns sehr beeindruckt hat. Aber ich wollte nie für die Kirche arbeiten. Vielmehr wollte ich darstellende Kunst studieren, denn es war mein Traum, Sängerin oder Schauspielerin zu werden. 

Warum haben Sie Ihre Meinung geändert? 

Mit 18 vernahm ich eines Abends meine Berufung und mir war sofort klar, dass ich mein Leben der Kirche widmen sollte. Auch wenn Frauen in Polen damals noch nicht als ordinierte Pastorinnen wirken konnten, glaubte ich fest daran, dass sich das eines Tages ändern würde und dass ich diesen Weg ein paar Jahren später würde einschlagen können. 

Ich schrieb mich für ein Theologie-Studium an der Universität Warschau ein, aber konnte auch meinen Kindheitstraum noch nicht ganz loslassen. Am Ende des zweiten Studienjahres begann ich daher zusätzlich Oper zu studieren. Ich schaffte es, gleichzeitig auf beide Abschlüsse hinzuarbeiten – vormittags studierte ich Theologie und abends ging ich in die Opernschule 

Was war Ihr erster Job? 

Am Ende meines Theologiestudiums fragte mich der damalige Leitende Bischof, warum ich nicht verheiratet sei. Er sagte, er wüsste nicht, was er mit mir machen solle, solange ich nicht mit einem Pastor verheiratet war, und das ärgerte mich sehr. Ich beschloss daher, meine Berufung zu ignorieren und mich stattdessen der Oper zu widmen. Aber am nächsten Tag bot die Armeeseelsorge mir die Stelle der Assistentin des Militärbischofs an. Ich wollte meiner Berufung davonlaufen, aber dann bekam ich plötzlich wie aus dem Nichts dieses Angebot und arbeitete dann vier Jahre lang auf dieser Stelle. 

Aber dann passierte etwas Schreckliches, nicht wahr? 

Ja. 2010 verunglückte ein Flugzeug mit dem polnischen Präsidenten und den meisten leitenden Militär- und Regierungsbeamten an Bord. Sehr viele Menschen starben und wir, die wir zu Hause die Stellung hatten halten sollen, mussten eine Antwort auf diese Krise finden, die Leichen nach Hause holen und 96 Beerdigungen organisieren. Das habe ich zehn Monate lang getan und dann wurde uns allen geraten, das Land zu verlassen, um das zu verarbeiten, was passiert war. 

Viele von uns haben also nicht nur Kollegen verloren, sondern auch enge Freunde und Familienangehörige. Das war eine sehr bittere Erfahrung, aber gleichzeitig habe ich viel über Seelsorge gelernt und ich habe auch sehr eng mit dem Premierminister und seinem Büro zusammengearbeitet. Das war sehr hilfreich war, als ich kurze Zeit später während der polnischen EU-Ratspräsidentschaft Mitglied im Polnischen Ökumenischen Rat war. Aber zunächst war es traumatisch, weil ich mein Heimatland verließ und die Kirche verließ, weil ich dort keine Perspektive für mich sah. 

Wohin gingen Sie? 

Erst einmal ging ich nach Deutschland, denn dort lebten Verwandte von mir. Ein paar Monate später wurde in Polen wieder nach mir verlangt, um im Ökumenischen Rat zu arbeiten. Aber das war nicht einfach, denn die Bischöfe wussten, dass ich mich in der Kampagne für die Ordination von Frauen engagierte. Im Rahmen meiner Arbeit reiste ich für Konferenzen in verschiedene Orte, unter anderem das Vereinigte Königreich. Und als mein Projekt auslief, bin ich in England geblieben, um mich auszuruhen und mich meinen musikalischen Interessen zu widmen. Aber auch dort fand mich die Kirche und ich begann 2012 die Ausbildung für das Pfarramt in der Lutherischen Kirche in Großbritannien. 

Wie schwierig war es, sich an das neue Leben dort zu gewöhnen? 

Die ersten fünf Jahre waren wegen der Sprache, wegen des Kulturschocks und weil ich meine Freunde und meine Familie und mein Leben in Warschau so vermisste, sehr schwer. Es war nicht einfach, neue Freunde zu finden, und es war schwierig Jobs zu finden, die nichts mit Klempnerei oder Putzen zu tun hatten, weil das die Art Jobs war, die Menschen aus Polen damals angeboten wurden. Zudem ist es immer schwierig, einen Job an der Oper zu bekommen, nicht nur in London, sondern überall. 

Sich an die andere Art Gottesdienst zu gewöhnen, war auch nicht so einfach für mich. Ich fand es sehr schwer, in einer anderen Sprache zu beten und zu predigen. Die meisten Lieder hatte ich noch nie gehört und es fühlte sich einfach nicht an, als entspringe der Gottesdienst meinem Herzen. Aber dann wurde mir auf einmal klar, dass die Mitglieder der Kirche alle Migrantinnen und Migranten waren, die in ihren verschiedenen Muttersprachen Gottesdienst feiern wollten, und da erkannte ich plötzlich das größere Ganze, an dem ich teilhaben konnte. Als ich das einmal verstanden hatte, fühlte ich mich nicht mehr als Außenseiterin, und ich kann sogar mit Überzeugung sagen, dass ich hier erwachsen geworden bin – erwachsen in dem Sinn, dass ich Gottes Wirken in den vielen verschiedenen Kulturen und Glaubenstraditionen erkennen kann. 

Sie haben dann auch irgendwann geheiratet, nicht wahr? 

Ja! Mein Mann ist ein methodistischer Pastor und war Direktor der Abteilung für Gerechtigkeit für rassistisch Diskriminierte bei „Churches Together in Britain and Ireland“. Ich habe viel von ihm gelernt. Durch ihn kam ich zum Engagement für Gerechtigkeit für rassistisch Diskriminierte in der Lutherischen Kirche in Großbritannien, wo viele Menschen aus allen Ecken der Welt mit genau diesem Thema ringen. 

Heute kann ich sagen, dass ich aufgehört habe, vor meiner Berufung in die verschiedenen Dienste der Kirche wegzulaufen. Auch wenn in Polen inzwischen Frauen ordiniert werden, fühlt es sich für mich nicht an, als sei der Moment gekommen, zurückzukehren. Ich folge einfach meiner Berufung. Auch wenn ich weiß, dass es Menschen gab, die aufgrund meines Alters Einwände gegen meine Kandidatur für das bischöfliche Amt hatten, und obwohl ich zwischendurch versucht war, aufzugeben, wusste ich immer, dass meine Kolleginnen und Kollegen mich unterstützten und deshalb habe ich es durchgezogen. 

Haben Sie nicht im zeitlichen Zusammenhang mit Ihrer Einführung auch Morddrohungen erhalten? 

Richtig. Mit einem gewissen Widerstand aus der Kirche hatte ich gerechnet, aber mit einer solchen Drohung, die sehr ernst genommen und für die die Polizei eingeschaltet wurde, hatte ich nicht gerechnet. Obwohl der Gottesdienst, in dem ich zur Bischöfin eingesegnet wurde, eine geschlossene Veranstaltung sein musste und nicht so offen sein konnte, wie ich es mir gewünscht hatte, bin ich all jenen sehr dankbar, die sich um meine Sicherheit gekümmert haben. Es konnte trotz allem eine ökumenische Veranstaltung sein, an der viele verschiedene Kirchenleitende aus dem Großraum Nottingham teilnahmen. So sprach beispielsweise der katholische Bischof einige der Gebete und das war großartig. 

Sie haben nun den Vorsitz der vierten Arbeitsgruppe von Churches Together in England (CTE) übernommen, richtig? 

Ganz genau. Ich freue mich über diese Gelegenheit und unsere Liste von Themen ist lang, aber sehr interessant. Es ist wichtig, dass wir als CTE-Präsidentinnen und -Präsidenten gemeinsam mit der Regierung sprechen und ihnen konkrete Vorschläge für Veränderungen vorlegen können. Ich will nicht nur weitere Sitzungen, Ausschüsse und Berichte, die dann im Regal verstauben. 

Sie haben bereits über Gerechtigkeit für rassistisch Diskriminierte und ökumenische Beziehungen gesprochen. Wo wollen Sie in Ihrer Zeit als Bischöfin weitere Schwerpunkte setzen? 

Im Vereinigten Königreich sind wir derzeit mit immer mehr rechtsradikalen Meinungen und Verhaltensweisen konfrontiert, wie wir beispielsweise in den jüngsten Ausschreitungen in verschiedenen Städten und Orten sehen konnten, in denen Flüchtlinge und Moscheen angegriffen wurden. Wir haben gesehen, wie einfach es ist, Fake News zu verbreiten. Es ist erschreckend zu sehen, welches Ausmaß von Hass und Aggression diese Fake News dann heraufbeschwören können. Rassismus ist noch immer sehr real und präsent in diesem Land – als anhaltende Nachwirkungen des Kolonialismus und der Sklaverei. 

Das ist ein drängendes Problem. Es ist wichtig für mich und in Bezug auf meine Arbeit zu Migration und Flüchtlingen, die Menschen daran zu erinnern, dass es ein grundlegendes Menschenrecht ist, Asyl zu beantragen. Das Land braucht Arbeitskräfte, nachdem so viele Menschen – auch tausende polnische Menschen – nach dem Brexit-Referendum das Land verlassen haben. Außerdem wollen wir eine inklusive Kirche sein und haben daher ein Dokument formuliert, das sich nachdrücklich gegen die Gewalt in den Heimatländern einiger unserer Gemeindemitglieder ausspricht. 

Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt wird sein, unsere Lehren und Gespräche zum Thema Hoffnung weiterzuentwickeln. Ich habe viel zu diesem Thema und darüber geschrieben, dass Hoffnung, die in Gott wurzelt, viel mehr ist als reiner Optimismus. Darüber hinaus wird es viele weitere Arbeitsschwerpunkte geben, aber diese sind mir persönlich sehr wichtig. 

Was bedeutet es für Sie und Ihre Kirche, Teil der weltweiten LWB-Familie zu sein? 

Oft wird gesagt, dass wir eine der kleinsten Kirchen in der Welt sind, aber ich finde, wir sind eine der größten, wenn man sich die Vielfalt der Herkunftsländer unserer Mitglieder anschaut. Es gibt fast kein Land, das in der Lutherischen Kirche in Großbritannien oder dem Rat der lutherischen Kirchen, wo ich im Leitungsgremium sitze, nicht vertreten ist. Ich finde, das ist ein großes Privileg: Manchmal fühlt es sich an, als sei man schon im Himmel und würde die vielgestaltige Schöpfung Gottes mit all ihren verschiedenen Sichtweisen und Vorgeschichten kennenlernen. 

Ich habe an vielen verschiedenen Schulungen und Seminaren und Veranstaltungen des LWB teilgenommen und mir war es immer sehr wichtig, Kontakte zu knüpfen und neue theologische Erkenntnisse mitzunehmen. Bei der Vollversammlung im vergangenen Jahr beispielsweise habe ich einen tansanischen Bischof kennengelernt. Nun sprechen wir über neue Wege für unsere Suaheli-Mission hier im Vereinigten Königreich. Das ist eine großartige Chance und ich bin sehr dankbar dafür, dass sich der LWB so gut um seine Mitgliedskirchen kümmert. 

LWB/P. Hitchen