Im Interview: ILUGUA-Präsident Pfr. José Pilar Álvarez Cabrera
ZACAPA , Guatemala/Genf (LWI) – Im Januar 2019 hat die Regierung Guatemalas die Zusammenarbeit mit der Internationalen Kommission gegen Straffreiheit in Guatemala (Comisión Internacional contra la Impunidad en Guatemala – CICIG) aufgekündigt. Damit wurde die Tätigkeit der 2006 mit Unterstützung der Vereinten Nationen eingesetzten Kommission beendet. Die Lutherische Kirche Guatemalas (ILUGUA) gehört zu den zivilgesellschaftlichen Organisationen, die offen gegen diese Entscheidung der Regierung protestiert haben. Ihrer Einschätzung nach ist dies ein Rückschritt im Kampf des Landes gegen Korruption und mangelnde Strafverfolgung.
In diesem Gespräch mit der Lutherischen Welt-Information erklärt ILUGUA-Präsident Pfr. José Pilar Álvarez Cabrera, warum die CICIG ihre Arbeit wiederaufnehmen sollte. Diese Mitgliedskirche des Lutherischen Weltbundes (LWB) setzt sich konsequent für die Menschenrechte marginalisierter Gemeinschaften in dem Land ein.
Was waren Ihrer Meinung nach die wichtigsten Gründe, um das Mandat der CICIG nicht zu verlängern?
Ihr großer Erfolg. Nehmen wir zum Beispiel die Anklagen gegen einen früheren Präsidenten und Vizepräsidenten wegen Korruption – das wäre in einem Guatemala ohne CICIG unvorstellbar gewesen. Diese Internationale Kommission ist eine Bedrohung derjenigen, die in Guatemala de facto die Macht ausüben und die durch Repressalien, Despotismus, Korruption und Straffreiheit ihre eigenen Interessen gegen die Interessen und das Wohlergehen des größten Teils der Bevölkerung durchsetzen können.
Welche Erfolge kann die CICIG sonst noch vorweisen?
Die wichtigste und weitreichendste Errungenschaft der Internationalen Kommission ist ihr Einsatz für eine wirklich unabhängige Justiz und eine uneingeschränkte Rechtsstaatlichkeit.
Welche Auswirkungen hat die Beendigung des Mandats auf die Justiz und den Kampf gegen die Korruption?
Die CICIG ist eine sehr wichtige Einrichtung und unterstützt die große Mehrheit der ehrlichen Staatsbediensteten innerhalb der Justiz, einschließlich des Büros des Staatsanwalts, der nationalen Polizeikräfte und der Gerichte, die sich täglich gegen Druck und Repressionen infolge der Korruption wehren müssen.
Diese Institutionen werden seit langer Zeit durch Korruption kontrolliert und zeichnen sich durch eine intransparente Personalpolitik aus. Sie verfügen außerdem nicht über die erforderliche Unabhängigkeit, um der Rechtsstaatlichkeit zur Geltung zu verhelfen. Die Internationale Kommission hat im Kampf gegen diese Machenschaften gute Ergebnisse erzielt und musste deshalb kaltgestellt werden, damit sich an den de facto-Machtverhältnissen nichts ändert.
Werden Bedienstete in der Justiz durch die Beendigung des CICIG-Mandats gefährdet?
Die CICIG war zu einem Garanten, ja zu einem Schutzfaktor ehrlicher Staatsanwälte, Polizeikräfte und Richter geworden, ein grundlegendes Instrument gegen Druck und Repression. Die CICIG hat ebenfalls einen Beitrag zur Wahrung der erforderlichen Unabhängigkeit der Justiz als Grundlage für die Rechtsstaatlichkeit geleistet. Richter sind jetzt einem höheren Risiko ausgesetzt.
Welche Alternativen oder andere Einrichtungen haben die Richter jetzt, um ihre Arbeit ohne die CICIG fortzusetzen?
Nur sehr wenige. Die Wahrheit und die Wirklichkeit sehen so aus, dass sich Repressionen, Despotismus, Korruption und Straffreiheit im Land dauerhaft festgesetzt haben. Alle ehrlichen Menschen in Guatemala und diejenigen, die sie unterstützen, müssen sich weiter dafür einsetzen, dass die CICIG ihre Arbeit fortsetzen kann.
Es gibt eine Initiative der Regierung, das Gesetz zur Nationalen Versöhnung zu reformieren. Welche Auswirkungen könnte das auf die Opfer von Menschenrechtsverletzungen in Guatemala haben?
Die Reform des Gesetzes zur Nationalen Versöhnung fördert eine Amnestie für Verbrechen wie Völkermord, Verschwindenlassen von Personen und Folter. Dies wiederum ist für staatliche kriminelle Strukturen von Vorteil, die Teil der de facto-Macht im Land sind. Diese Reform ist ein offensichtlicher Rückschritt für die Rechte der Opfer, die immer noch die Wahrheit über das Schicksal ihrer Familienmitglieder wissen wollen, und für das Recht auf Entschädigung und auf Zugang zur Justiz zur Ahndung der schweren Menschenrechtsverletzungen während der Guerillakämpfe in Guatemala [1960 – 1996]. Aus diesem Grund sind sowohl die Opfer als auch diejenigen, die sich für ihre Rechte einsetzen, gegen diese Reform.
Welche Rolle haben die Kirchen im öffentlichen Raum in diesem Kontext gespielt?
Viele prophetische Stimmen haben sich gegen Korruption und Straffreiheit in Guatemala erhoben. Viele Kirchen in Guatemala haben in vielfacher Weise gezeigt, wogegen sie stehen, und haben auf die Korruption und die fehlende Strafverfolgung krimineller Strukturen in Guatemala hingewiesen. Außer den Kirchen fordern zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft die Fortsetzung der Arbeit der Kommission.
Warum ist es für die Kirchen wichtig, in dieser Angelegenheit Position zu beziehen?
Indem wir Jesus folgen, wird es für die Kirche zu einer Mission, sich für Gerechtigkeit als Grundlage für den Frieden einzusetzen und gleichzeitig ungerechte Strukturen, Korruption und Straffreiheit anzuprangern. Unserer Kirche beruht auf Aktionen, die im Rahmen lokaler und nationaler Partnerschaften u. a. in den Bereichen Menschenrechte, Gendergerechtigkeit, Umweltgerechtigkeit, Bürgerbeteiligung und Rechte indigener Bevölkerungsgruppen durchgeführt werden.
Je mehr Menschen auf Korruption und Straffreiheit in Guatemala hinweisen, umso wirkungsvoller ist der Kampf gegen diese Übel. Unser Ziel ist es, die Rechtsstaatlichkeit zu stärken und auf diese Weise die Justiz zu stärken.
Der Präsident der Lutherischen Kirche Guatemalas, Pfr. José Pilar Álvarez Cabrera, ist für seine dezidierte Unterstützung von Menschenrechtsgruppen in Guatemala bekannt. Diese Haltung hat bewirkt, dass er verfolgt, bedrängt und mit dem Tode bedroht wurde, hat ihm aber auch weltweite Anerkennung eingebracht. Der LWB, dem die Kirche seit 2014 angehört, setzt sich bei den Vereinten Nationen für alle diejenigen ein, die die Menschenrechte in dem Land verteidigen. Zwar hat die Regierung von Guatemala die Arbeit der CICIG im Land verboten, die Vereinten Nationen haben aber signalisiert, dass die Kommission ihr Mandat weiterhin von einem anderen Land aus wahrnehmen kann.