Hongkong: Ökumenische Übersetzung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre

04 Juni 2014
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(v.l.n.r.) Die lutherische Bischöfin Jenny Chan, der katholische Kardinal John Tong und der methodistische Präsident Pfr. Tin-yau Yuen stellen die chinesische Einheitsübersetzung der GE vor. Foto: Francis Wong

(v.l.n.r.) Die lutherische Bischöfin Jenny Chan, der katholische Kardinal John Tong und der methodistische Präsident Pfr. Tin-yau Yuen stellen die chinesische Einheitsübersetzung der GE vor. Foto: Francis Wong

„Zeigen, dass Einheit existiert“

(LWI) – Obwohl die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GE) einen Brückenschlag zwischen katholischen und lutherischen Gläubigen darstellt, gab es bisher zwei verschiedene chinesische Übersetzungen: eine katholische und eine lutherische. Knapp 15 Jahre nach der Unterzeichnung des Dokuments bekommen chinesischsprachige ChristInnen nun eine neue ökumenische Übersetzung, die am 25. Mai 2014 in einer gemeinsamen Feier von LutheranerInnen, KatholikInnen und Methodisten in Hongkong ratifiziert wurde.

In einem Interview spricht Pfr. Dr. Nicolas Tai, Dekan am Lutherischen Theologischen Seminar und Initiator der neuen Übersetzung, über die verschiedenen Bedeutungen des Begriffs „Rechtfertigung“ im Chinesischen und den Einfluss von ChristInnen in Hongkong.

Beinahe 15 Jahre nach der Unterzeichnung der GE haben Sie beschlossen, sie ins Chinesische zu übersetzen. Wie kam es dazu?

Es gab bereits zwei Übersetzungen. Nach der Unterzeichnung der GE 1999 haben sowohl ich selbst als auch mein katholischer Kollege Pater Joy jeweils eine chinesische Übersetzung angefertigt. Da es unserer Auffassung nach aber nur eine Übersetzung geben sollte, haben wir der Katholischen Kirche diesen Vorschlag unterbreitet und die Zustimmung des Bischofs erhalten. Daraufhin haben wir eine Gruppe mit jeweils drei VertreterInnen der lutherischen und der katholischen Kirche gebildet und meine Fassung als Grundlage für eine gemeinsame Übersetzung verwendet.

Worin bestand die Schwierigkeit, zu einer gemeinsamen Übersetzung zu gelangen?

Es gab sprachliche Schwierigkeiten, die sich auch als theologische Schwierigkeiten herausstellten. Für den Begriff „Rechtfertigung“ beispielsweise gibt es im Chinesischen zwei mögliche Übersetzungen. Man kann ihn entweder mit „verkündete Rechtfertigung“ übersetzen – wofür ich mich in der lutherischen Fassung entschieden hatte – oder mit „bereits vollkommen gerechtfertigt“ im Sinne einer vollendeten Handlung, was in der katholischen Fassung verwendet worden war. Es macht natürlich einen Unterschied, welchen Begriff man wählt. Doch nun sind wir fertig. Am 25. Mai haben wir unsere gemeinsamen Bemühungen gefeiert.

Wie haben Sie das gefeiert?

Vor 15 Jahren bei der Unterzeichnung der Erklärung gab es eine gemeinsame Andacht. Wir konnten es nicht Gottesdienst nennen, da wir nicht gemeinsam Abendmahl feiern. Dieses Mal haben wir es ähnlich gehalten.

Wie sind die lutherisch-katholischen Beziehungen in Hongkong?

Unter der Ägide des Christenrats Hongkongs pflegen lutherische und katholische Christinnen und Christen sehr enge Beziehungen. Wir Lutheranerinnen und Lutheraner haben immer an dieser Beziehung gearbeitet. Jedes Jahr findet für die Mitarbeitenden ein ökumenischer Gottesdienst statt. Die Katholikinnen und Katholiken können zwar nicht am Abendmahl teilnehmen und wir müssen diesen Bruch akzeptieren. Aber wir nutzen die Gelegenheit, um zu zeigen, dass die Einheit dennoch existiert.

Dann ist da das Projekt einer gemeinsamen Bibelübersetzung. Aufgrund fehlender Mittel wurde sie nie verwirklicht, doch beide Kirchen bemühen sich weiter darum. Die katholische Übersetzung ist glaube ich 80 Jahre alt. Unsere chinesische Übersetzung wurde vor nicht ganz so langer Zeit überarbeitet, aber vielleicht sollte ich noch einmal mit dem Kardinal darüber sprechen! Wir treffen viele praktische Vorkehrungen, damit die Kirchen einander näher kommen. Ein gemeinsames Glaubensbekenntnis oder eine Bibel in einer gemeinsamen Sprache würde uns wahrscheinlich noch näher bringen.

Was bedeutet die lutherische Botschaft der Rechtfertigung im Kontext der asiatischen Leistungsgesellschaft?

Das Wichtigste sind meiner Ansicht nach Humanismus, Ethik und gute Taten vollbringen. Chinesinnen und Chinesen wissen, dass sie vor Gott noch lange nicht gut sind, nur weil sie arbeiten und versuchen, gute Menschen zu sein. Es ist wie Luther sagte: Bin ich jemals gut genug? In der buddhistischen Tradition wird gebetet, gefastet, vegetarisch gegessen, und doch kann man sich über das kommende Leben nie sicher sein. Der lutherische Gnadenbegriff bildet einen Gegensatz zu allen menschlichen Bemühungen in Glaubensangelegenheiten. Gnade bedeutet, dass hier durch Arbeit nichts bewirkt werden kann. Für viele Chinesinnen und Chinesen ist das schwer zu akzeptieren.

Natürlich sind wir uns trotzdem sehr ähnlich. Als protestantische Kirchen sind wir seit 30 Jahren im Gespräch mit taoistischen, buddhistischen, muslimischen und konfuzianischen Gläubigen. Jedes Jahr behandeln wir ein bestimmtes Thema, wie z.B. Marktwirtschaft oder Gewalt in der Familie. Das sind Themen, von denen alle Religionen betroffen und bei denen die Lösungsansätze gar nicht so verschieden sind. Aber als Christinnen und Christen wissen wir durch Gnade, dass Gott uns hilft und uns motiviert. Anderen Religionen fehlt diese externe Kraft.

Wo soll die Übersetzung verbreitet werden?

Die Katholische Kirche und wir werden sie auf unserer Website zur Verfügung stellen. Sie soll auch unter den anderen protestantischen Denominationen verteilt werden, insbesondere bei den Methodistinnen und Methodisten, die die GE 2006 ebenfalls unterzeichnet haben.

Kann sie auch in China verteilt werden?

Ich habe viele Studierende aus China, die sie in ihr Land mit zurücknehmen können, und werde sie auch  den Kirchenleitenden geben. Religionsfreiheit gibt es, das ist also kein Problem. Die Regierung dort geht auf andere Weise gegen Christinnen und Christen vor.

In Hongkong sind lutherische und katholische Christinnen und Christen in der Minderheit. Laut jüngsten Angaben ist die Hälfte der Bevölkerung atheistisch, während der Buddhismus und der Taoismus die Hauptreligionen darstellen. Wie gehen Sie als Kirche damit um?

Ich glaube, die Zahl der Atheistinnen und Atheisten liegt sogar noch höher, wahrscheinlich bei etwa 90 Prozent – wie in Europa. Viele bezeichnen sich zwar als Christinnen und Christen, gehen aber nie in die Kirche. Um mit Luther zu sprechen: Ein echter Christ ist immer in der Minderheit. Aber in Hongkong haben Lutheranerinnen und Lutheraner immer noch viel Einfluss. Das geht noch auf die Kolonialzeit zurück, damals hatten wir das Privileg, Schulen und Krankenhäuser betreiben zu dürfen, weshalb der christliche Einfluss nach wie vor sehr stark ist. Ich glaube, dass viele leitende Regierungsämter von Christinnen und Christen bekleidet werden und die christlichen Kirchen gut repräsentiert sind. Hongkong ist fast wie eine christliche Gesellschaft. Es gibt gute Dienstleistungen und die Hälfte der Bildungseinrichtungen ist in christlicher Hand. Auch der Begriff des Bürgertums ist etwas sehr Christliches. Obwohl wir Christinnen und Christen in der Minderheit sind, üben wir grossen Einfluss aus.

In den lutherischen Kirchen Hongkongs sind viele Mitglieder jünger als 30. Was macht ihre Gemeinden für junge Menschen so attraktiv?

Theologie ist sicher nicht der Grund. Junge Menschen werden meistens Christinnen und Christen, weil sie das Christentum als etwas Positives wahrnehmen. Viele von ihnen haben christliche Schulen besucht. Auch ist die Evangelisation recht weit verbreitet und ein sehr starkes und mächtiges Zeugnis. Die Jugendlichen bringen ihre nicht-christlichen Freunde zu Jugendnachmittagen mit. Viele junge Menschen kommen durch ihre Freunde zum Christentum.

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