Identität ist der Schlüssel zur Beendigung geschlechtsspezifischer Gewalt

08 Dez. 2017
Image
Pfarrerin Dr. Faith Kokubelwa Lugazia aus Tansania fordert die Kirchen heraus, geschlechtsspezifische Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Foto: LWB

Pfarrerin Dr. Faith Kokubelwa Lugazia aus Tansania fordert die Kirchen heraus, geschlechtsspezifische Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Foto: LWB

Pfarrerin Dr. Faith Kokubelwa Lugazia über die 16 Aktionstage gegen geschlechtsspezifische Gewalt

GENF (LWI) – Die tansanische Theologin Pfarrerin Dr. Faith Kokubelwa Lugazia sagt, dass Kirchen, die sich nicht zu dem Thema geschlechtsspezifische Ungerechtigkeit äußerten, ihre prophetische Rolle verleugneten. Ihrer Meinung nach ist das 21. Jahrhundert die richtige Zeit (kairos), um sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen.

„Ich bin davon überzeugt, dass immer mehr gläubige Frauen heute wissen, wer sie wirklich sind, und die Kirchen herausfordern, in ihren Analysen weiterzugehen und Gewalt und Diskriminierung als ein Problem anzusehen, das die gesamte Gemeinschaft der Gläubigen angeht und nicht nur Frauen“, sagte Lugazia.

Sie rief die Kirchen auf, gemeinsam für den Frieden in der Welt zu arbeiten und zu beten, und forderte nachdrücklich, seelsorgerische Betreuung und Strukturen als konkrete Möglichkeit zu sehen, die unausgewogene Machtverteilung als Kernproblem der geschlechtsspezifischen Gewalt offenzulegen.

Als aktives Mitglied des Frauennetzwerks „Frauen in Kirche und Gesellschaft“ (Women in Church and Society – WICAS) des Lutherischen Weltbundes (LWB) hat Dr. Lugazia die Geschlechtergerechtigkeit zu einem zentralen Thema ihres persönlichen Weges gemacht.

Sie war eine der ersten zwei Frauen, die 2006 in der nordwestlichen Diözese der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania ordiniert wurden. Sie hat am Luther Seminary, St. Paul, Minnesota in systematischer Theologie promoviert und hält Vorlesungen am Protestant Institute of Arts and Social Sciences in Ruanda.

Umfassende Teilhabe von Frauen an Kirche und Gesellschaft

Diese Erfahrungen haben dazu geführt, dass sie sich kompromisslos für die umfassende Beteiligung von Frauen am kirchlichen und gesellschaftlichen Leben engagiert.

„Zu erkennen, wer ich bin, hat mich stark gemacht. Ich bin in meiner Familie und in der weiteren Gemeinschaft als Bürgerin zweiter Klasse aufgewachsen mit einem ‚gehorsamen Glauben‘, der nach und nach zu einem ‚in Frage stellenden Glauben‘ geworden ist.“

„Der Moment, in dem man in der Lage ist zu fragen ‚Warum?‘, führt zu einem weiteren entscheidenden Schritt: Aufzustehen und laut und deutlich ‚Nein!‘ zu sagen zu jeder Ungerechtigkeit.“

Nachdem sie „Nein“ zur Geschlechterungerechtigkeit gesagt hatte, verbrachte die Theologin aus Tansania die drei nächsten drei Jahre damit, das Buch Naweza („Ich kann das“) zu schreiben, um damit Brücken zwischen gebildeten Frauen und denjenigen Frauen zu bauen, die wenig Chancen auf Bildung haben.

In einem Interview zu den 16 Aktionstagen gegen geschlechtsspezifische Gewalt sagte Dr. Lugazia, dass die Kirche Praktiken überprüfen müsse, in denen die typische Doppelmoral erkennbar wird. Sie müsse ebenfalls offen über Gewalt und sexuellen Missbrauch reden, die nach wie vor als Tabuthemen behandelt werden.

In einigen afrikanischen Ländern sei es zum Beispiel üblich, dass im Falle einer außerehelichen Schwangerschaft die Kirche grundsätzlich die Frauen bestrafe.  Die Angst halte Frauen davon ab, über die Verantwortung des Mannes in solchen Fällen zu sprechen.

Genderdiskriminierende hierarchische Strukturen benachteiligen Frauen und erhöhen ihr Risiko, missbraucht zu werden. Die Frauen, die der Bann der Kirche trifft, dürfen nicht mehr am Abendmahl teilnehmen, im Chor singen oder christlich bestattet werden. Die meisten betroffenen Männer hingegen bleiben von all dem unbehelligt.

„In Fällen von sexuellem Missbrauch sorgt die Angst davor, nach einer Anzeige vom Täter getötet zu werden, immer wieder für Straffreiheit. Selbst wenn es sich nur um eine Drohung handelt, die kaum wahrgemacht wird, werden die meisten Opfer nicht aussagen“, berichtet Dr. Lugazia.

Die Kirchen müssen ihre prophetische Stimme zu Themen wie Vergewaltigung erheben und dürfen sich nicht darauf zurückziehen, dass dies ein Problem sei, mit dem sich die Regierung befassen müsse. Wählt sie diesen einfachen Weg, verpasst sie die Chance, selbst etwas zu bewirken.

„Es sollte mehr Reflexion und Gebet zu diesem Thema geben. Sind nicht viele der Vergewaltiger getaufte Christen?“, fragte sie.

Frauen in den Kirchen müssen sich mehr Wissen über die Rechte und die Verantwortung der Frauen aneignen und ihre Kirchen ermutigen, gemeinsam mit den Akteuren der Zivilgesellschaft und den Regierungen so missliche Themen wie Kinderehen und andere Formen des Missbrauchs anzusprechen.

Sie sollten genau auf die Sprache männlicher Kirchenleitender achten, die den Mann in seiner gebenden, aktiven und offerierenden Rolle beschreibt, während die Frauen als passive Empfängerinnen oder Nutznießerinnen der großzügigen Gaben des Mannes beschrieben werden.

„Das Patriarchat muss mit einer Genderanalyse herausgefordert werden. Aufmerksamkeit gegenüber der Art und Weise, wie wir reden, ist ein wichtiger Teil dessen, was wir tun können“, fügte sie hinzu.

Dr. Lugazia forderte Frauen nachdrücklich zur Entwicklung von Werkzeugen auf, die sich zum gegenseitigen Mentoring eignen und es ihnen ermöglichen, konkrete Beiträge zur Geschlechtergerechtigkeit in den Kirchen und in der Gesellschaft zu leisten. Dabei lassen sich die Frauen in der Bibel als geeignete Vorbilder für Widerstand und Wandel darstellen.

„Das Augenmerk auf starke weibliche Charaktere in Bibeltexten zu lenken wie z. B. Zelophehads Töchter, die das Erbrecht in Frage stellten, kann Frauen in ähnlichen Situationen auch heute noch inspirieren“, sagte sie abschließend.

 

 

LWF/OCS