Über Hoffnungen und Herausforderungen für Kirche und Gesellschaft
(LWI) – „Zuhören, Dienen, Stärken – Kirche sein in einem sich verändernden Europa“ (Listening, Serving, Empowering – Being Church in a Transforming Europe) war das Thema einer Konferenz der europäischen Regionen des Lutherischen Weltbundes (LWB) vom 27. bis 29. Oktober in Rom, Italien.
Die zwei Vizepräsidenten und die Vizepräsidentin der LWB-Regionen Europas sprachen über einige der Herausforderungen für das christliche und lutherische Zeugnis in ihrem jeweiligen Kontext, und über neue Impulse, welche Kirchen helfen könnten, Beziehungen aufzubauen, die sie für den Dienst in ihren Gemeinschaften stärken.
Angst vor Krieg ist real
Mittel- und Osteuropa: Der ungarische Bischof Dr. Támas Fabiny aus der Region Mittel- und Osteuropa, deren LWB-Vizepräsident er ist, unterstrich die tragischen Auswirkungen des Konflikts in der Ukraine. Die Beraterin des LWB-Rates, Anastasiya Piddubska, hatte über die Auswirkungen des bewaffneten Konflikts auf die Bevölkerung berichtet. Der Konflikt führe dazu, dass Menschen aus ihrer Heimat in andere Landesteile fliehen und er habe Traumatisierungen der Bevölkerung zur Folge, sogar bei Gesundheits- und Sozialdiensten.
„Die angrenzenden Länder haben Angst vor einer Eskalation des Kriegs. Tatsächlich ist in den baltischen Staaten die Angst vor einem Krieg in der Bevölkerung sehr real. Menschen wenden sich an die Kirche und fragen, was zu machen sei, und wie man sich im Kriegsfall verhalten solle. Leider nimmt auch das Misstrauen zwischen ethnischen Gruppen in diesen Ländern zu“, erklärte Fabiny.
Weitere Herausforderung in der Region sind die negativen demographischen Tendenzen und die Emigration. „Hunderttausende aus unseren Bevölkerungen gehen in westliche Länder, um dort zu arbeiten und leben. Und dabei sind es hauptsächlich die jungen, gut ausgebildeten, intellektuellen Teile unserer Gesellschaften, die weggehen, wie Ärzte oder Computerexperten“, führte Fabiny aus, der Bischof der Norddiözese der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn.
Auch die Migration innerhalb des Landes ist ein Problem, da junge Menschen in grössere Städte ziehen, um Arbeit zu finden. „Deshalb leeren sich Dörfer, kleine Städte und somit auch unsere Gemeinden auf dem Land“, sagt er.
In Ungarn sei zudem neuerdings staatlich vorgeschrieben, dass Ethik oder Religion als Wahlfach in den Grundschulen unterrichtet werden müsse. Dies stelle die lutherische Kirche vor eine besondere Herausforderung, da ihre PfarrerInnen und ReligionslehrerInnen das ganze Land abdecken und zahlreiche Religionskurse anbieten müssten. „Wir müssen einen Weg finden, mit dieser Herausforderung fertig zu werden. Wir wollen diese Gelegenheit zwar gerne ergreifen, wollen wir aber auch die Gemeindearbeit nicht schwächen“, so Fabiny.
Weiter erklärte Fabiny, dass alle Teilnehmenden aus der Region Mittel- und Osteuropa ein konkretes Gebetsanliegen genannt hätten. „Wir hoffen, dass ein Netzwerk von Gebeten die spirituelle Kraft der Lutheranerinnen und Lutheraner in der Region stärken kann, und dass andere Kirchen in Europa sich unserer speziellen Situation gegenüber sensibler zeigen. Dies ist in unserer Region insbesondere aufgrund der Ukraine-Krise wirklich vonnöten.“
Eine Welt mit zerbrochenen Traditionen
Mittel- und Westeuropa: Bischof Dr. Frank O. July, LWB-Vizepräsident für die Region Mittel- und Westeuropa sagte, er schätze die zunehmende Nutzung der neuen Medien und frage sich, wie diese noch besser genutzt werden könnten, um dazu beizutragen, die Beziehungen nicht nur unter Christinnen und Christen, sondern auch zwischen und unter Menschen unterschiedlicher Religionen zu verbessern.
„Einige der Herausforderungen für das heutige christliche und lutherische Zeugnis ist, dass wir in einer Welt mit zerbrochenen Traditionen leben. Das bedeutet auch, dass wir unsere Glaubensinhalte nicht mehr automatisch weitergeben und übermitteln können“, sagte July, der Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Deutschland, ist.
„Aus unseren Gesprächen wurde mir klar, dass junge Menschen die neuen Medien und sozialen Netzwerke viel besser zu nutzen wissen als ich. Ich glaube denn auch, dass es für die Kirche nötig und wichtig ist, tief in diese neue Sphäre der neuen Medien einzutauchen“, erläuterte July.
Dennoch können die neuen Medien „nie das persönliche Gespräch ersetzen, welches wichtiger wird denn je. Wir müssen den Menschen nahe sein. Wir müssen uns auch auf das ausrichten, was wir tun und was wir aktiv unterstützen. So glaube ich, dass es sehr wichtig ist, unsere italienischen Schwestern und Brüder bei den Themen Migration und Flüchtlinge zu unterstützen, die an der Küste Italiens landen“, fügte er hinzu.
Solidarität mit den ärmsten unter unseren Nächsten
Nordische Länder: Die Vorsitzende Bischöfin Helga Haugland Byfuglien, LWB-Vizepräsidentin für die Region Nordische Länder erklärte, die „sehr ernsten Herausforderungen“, denen sich Christinnen und Christen und die Kirchen heute stellen müssten, umfassten die enormen Zahlen von Flüchtlingen, insbesondere in Südeuropa, sowie den Klimawandel. Beide Themen „bedrohen unsere Zukunft mehr und mehr und verlangen Solidarität mit den ärmsten unter unseren Nächsten in der Welt.“
Byfuglien, die der Norwegischen Kirche angehört, sagte, dass in den Gruppendiskussionen Möglichkeiten erörtert wurden, wie sich die Kirchen im Gebrauch der sozialen Medien „verbessern“ und wie die Verbindungen zu Menschen im lokalen Kontext entwickelt werden können. „Wir müssen mehr denn je eine Gemeinschaft werden, die zuhört und alle mit offenen Armen aufnimmt, sowohl auf der lokalen, wie auch auf allen Ebenen. Wir müssen besser kommunizieren und in der Gesellschaft und in den verschiedenen Gruppen von Menschen, mit denen wir in Verbindung stehen, relevanter werden“, unterstrich sie.
Als „vielversprechend“ beschrieb Byfuglien den Enthusiasmus der jungen Menschen, die im Globalen Netzwerk junger Reformatorinnen und Reformatoren des LWB vernetzt sind. „Das ist gut und nötig für unsere Gemeinschaft heute und in Zukunft“, fügte sie hinzu.
Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Italien war Gastgeberein der diesjährigen Tagung, welche von 55 Teilnehmenden aus 30 LWB-Mitgliedskirchen besucht wurde.