Webinar-Reihe zu lutherischer Identität heute
BREKLUM, Deutschland/GENF (LWI) – „Viele wünschen sich eine intensivere Auseinandersetzung mit ihrem lutherischen Glauben, der teilweise viel zu selbstverständlich hingenommen wird. Die Gelegenheit dazu gibt es leider viel zu selten“, berichtet Pastorin Nora Steen von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. Als Beitrag zum Studienprozess „Lutherische Identitäten“ des Lutherischen Weltbundes (LWB) initiierte sie eine dreiteilige Online-Veranstaltungsreihe, um Menschen einer LWB-Mitgliedskirche im Norden mit einer im Süden Deutschlands, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, ins Gespräch zu bringen.
Steen ist Leiterin des Christian Jensen Kollegs, dem ökumenischen Tagungs- und Begegnungszentrum der Nordkirche. Sie war eine der sechs Delegierten aus den elf LWB-Mitgliedskirchen Deutschlands, die im Oktober 2019 an der Auftakt-Konsultation des Studienprozesses in Addis Abeba, Äthiopien, teilgenommen hatten.
Seitdem arbeitet die Gruppe der Delegierten zusammen mit dem zuständigen Referenten für ökumenische Grundsatzfragen vom Deutschen Nationalkomitee des Lutherischen Weltbundes (DNK/LWB), Oberkirchenrat Dr. Oliver Schuegraf, an dem Thema weiter. Die dreiteilige Veranstaltungsreihe ist ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit.
„Wir merkten im Gespräch immer wieder, dass es nicht nur international, sondern bereits innerhalb Deutschlands Unterschiede gibt im Verständnis, was eigentlich lutherisch ist“, so Steen. Durch die COVID-19-Pandemie hätten sich digitale Veranstaltungsformate etabliert, die auch genutzt werden konnten, „um den Norden und den Süden Deutschlands darüber ins Gespräch zu bringen“.
Gespräch zwischen Nord und Süd
Bei der ersten Veranstaltung stand die Auseinandersetzung mit der eigenen lutherischen Identität im Mittelpunkt, „also die Einladung zum gegenseitigen Storytelling“, so Steen. „Um die Teilnehmenden zu ermutigen, ihre eigene Geschichte einzubringen, hatten wir vier Menschen gebeten, in Form eines Poetry Slams ihre eigene Position zur lutherischen Identität darzulegen.“
In der zweiten Veranstaltung ging es um die theologische Vertiefung des eigentlichen Themas der Konsultation in Addis Abeba: „We Believe in the Holy Spirit: Global Perspectives on Lutheran Identities“ (Wir glauben an den Heiligen Geist: Lutherische Identitäten aus weltweiter Perspektive).
„Die große Diversität hinsichtlich der Bedeutung des Heiligen Geistes in den verschiedenen Mitgliedskirchen weltweit hat mich beeindruckt“, erinnert sich Steen an die Tagung. „Weniger theologische als kulturelle Unterschiede scheinen diesbezüglich stark ins Gewicht zu fallen.“
Einen Impulsvortrag zur Frage, wie in den deutschen Mitgliedskirchen Bedeutung und Wirken des Heiligen Geistes eingeschätzt wird, brachte Sr. Dr. Nicole Grochowina ein, die für die Bayrische Landeskirche mit in Addis Abeba gewesen ist. Sie betonte, dass der Heilige Geist in seiner Kraft in der lutherischen Kirche durchaus ein Nischendasein führte. Nicht eine Schrift hätte Luther ihm gewidmet, sondern stattdessen seine Zeitgenossen beschimpft, die er im Verdacht sah, den Heiligen Geist über das biblische Wort und damit auch über Christus zu stellen.
„Hier hat sich eine Tradition entfaltet, die das Wirken des Geistes mit sehr vielen Vorbehalten fast schon eingebremst hat“, erklärte Sr. Nicole und verwies darauf, dass diese Vorbehalte auch gegenwärtig zu finden seien. Anregend sei es deshalb, nach einer lutherischen Theologie der Charismen zu fragen, denn nicht zuletzt Luther lege in seinen Aussagen im Kleinen und Großen Katechismus (1529) nahe, dass die Trias von Glaube, Schrift und Christus ihre Wirkmächtigkeit erst dann entfalten könne, wenn das Wirken des Heiligen Geistes ernstgenommen werde. „Hier haben wir noch viel nachzudenken – und viele Vorbehalte dürfen noch losgelassen werden“, befand Sr. Nicole abschließend.
„Am letzten Abend haben wir unseren Blick in das weltweite Luthertum geweitet“, berichtet Steen. Eingeladen waren verschiedene Pfarrerinnen und Pfarrer lutherischer Kirchen, die in Deutschland arbeiten. Dies habe ein sehr buntes und differenziertes Bild ergeben, das zeigt, wie vielfältig das Leben lutherischer Gemeinden in Deutschland aussehe.
Lutherisch in Deutschland: ein Fazit
Wenn sie Menschen im Ausland die Besonderheiten des Luthertums in Deutschlands erklären soll, merkt Steen oft, dass „wir als Mutterland des Luthertums in einer besonderen geschichtlichen Tradition stehen.“ Außerdem bildeten lutherische Christinnen und Christen in großen Teilen Deutschlands die Mehrheit bei den christlichen Konfessionen. Das unterscheide sie von den „vielen eher kleinen lutherischen Kirchen in anderen Ländern.“ Dies bedeute, „dass wir möglicherweise viel weniger über unsere Konfession reflektieren und darüber auskunftsfähig sind, als das in anderen Teilen dieser Welt der Fall ist“, so Steen.
Jedoch seien auch in Deutschland die Antworten, was genau das Lutherisch-Sein ausmacht, vielfältig. Es gebe dennoch große gemeinsame Nenner. „Das Bewusstsein, gerechtfertigt zu sein, allein aus Glauben, und die daraus erwachsende Freiheit, diese Welt verantwortlich mitgestalten zu können, waren für die meisten Teilnehmenden an unserer Veranstaltungsreihe prägend“, so das Fazit von Steen.
Mit Blick auf nächste Schritte für die Arbeitsgruppe zum Studienprozess erwarten die Beteiligten die Auswertung der Befragung, die der LWB in seinen Mitgliedkirchen durchführt. „Möglicherweise könnte es spannend sein, mit den Teilnehmenden unserer Veranstaltungsreihe darüber auch noch einmal ins Gespräch zu kommen“, so Steen.
Die Ergebnisse des Studienprozesses werden zu den Themen gehören, die auf der Dreizehnten LWB-Vollversammlung 2023 in Krakau, Polen, diskutiert werden.
Von LWB/A. Weyermüller