Madagaskar: Nachhaltigkeit für eine wachsende Kirche

07 Jan. 2022
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Pfr. Dr. Denis Rakotozafy, Präsident der Madagassischen Lutherischen Kirche. Foto: LWB

Pfr. Dr. Denis Rakotozafy, Präsident der Madagassischen Lutherischen Kirche. Foto: LWB

Interview mit Denis Rakotozafy, Präsident der Madagassischen Lutherischen Kirche  

ANTANANARIVO, Madagaskar/GENF (LWI) – Vor etwas mehr als einem Jahr wurde Pfr. Dr. Denis Rakotozafy zum Präsidenten der Madagassischen Lutherischen Kirche (MLK) gewählt. Er schaut auf eine „schwere Zeit voller Schmerz und großer Verluste für die Kirche“ in Madagaskar und auf die Herausforderungen durch eine verheerende Dürre im Land zurück und erklärt, warum die Kirche so viel Wert auf Nachhaltigkeit legt.

In unserem Gespräch beschreibt er auch, warum ein LWB-Stipendienfonds, der nach einer prominenten Theologin der MLK benannt wurde, eine Ehre für die Kirche und die Familie dieser Frau ist.

Sie haben Ihr Amt während einer für die Kirche schwierigen Zeit übernommen. Wie ist es Ihnen seither ergangen?

Im Vorfeld meiner Wahl hat das Land eine sehr schwierige Zeit durchlebt. Am 6. Dezember 2020 erfolgte die Amtsübergabe. Das Coronavirus hat sich bei uns sehr schnell verbreitet, viele Menschen sind gestorben, darunter auch der ehemalige Kirchenpräsident David Rakotonirina und mehrere Geistliche und Kirchenangestellte.  Es war eine harte Zeit, viele Menschen betrauerten die unerwarteten und hohen Verluste innerhalb ihrer Familien und der Kirche. Auf dem Höhepunkt der COVID-19-Pandemie im März 2020 haben wir unsere Kirchen über mehrere Monate geschlossen und uns an die Vorschriften der Regierung zur Eindämmung der weiteren Verbreitung des Virus gehalten. Wir mussten eine Vielzahl von Problemen lösen, dazu gehörten auch Schwierigkeiten bei der finanziellen Unterstützung von Geistlichen, Religionslehrkräften und Predigerinnen und Predigern.

Wir haben Sie den Kontakt zu den Gemeinden in dieser Zeit gehalten?

Da wir in unserer Reisetätigkeit stark eingeschränkt waren, haben wir zunächst unsere Mobiltelefone genutzt, um unsere Gemeindemitglieder zu erreichen. Wir haben außerdem unsere Sonntagsgottesdienste über öffentliche und private Fernseh- und Radiosender übertragen. Wir mussten diese unterschiedlichen Strategien miteinander kombinieren, um so viele Menschen wie möglich und besonders diejenigen im ländlichen Raum zu erreichen, da diese Menschen nur begrenzten Zugang zu modernen Kommunikationsmitteln haben. Die Menschen haben aber den traditionellen sonntäglichen Kirchenbesuch vermisst, das gemeinschaftliche Erlebnis mit anderen Menschen, das gemeinsame Singen und Beten – all das ist sehr wichtig.

Die COVID-19-bedingten Einschränkungen sind wieder gelockert worden. Wie macht sich das in Ihrer Kirche bemerkbar? 

Wir haben unsere Kirchen im Juli 2021 wieder vollständig geöffnet. Wir befolgen weiterhin die für die öffentliche Gesundheit wichtigen Vorgaben wie Einschränkung sozialer Kontakte, Maskentragen und Handdesinfektion. Unsere Kirchen sind wieder stark besucht. Viele Gemeinden, besonders in den städtischen Ballungsgebieten, führen sonntags bis zu vier Gottesdienste durch. Andernorts versammeln sich die Menschen draußen im Freien unter Bäumen. Wir kehren also langsam zu normalen Verhältnissen zurück. Andererseits breitet sich COVID-19 weiter aus, und wir müssen deshalb darauf achten, dass diejenigen, die in die Kirche gehen wollen, die vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen auch beachten. 

Was sich geändert hat, ist die Austeilung des Abendmahls. Das ist kein Problem bei der Gabe des Brotes, aber gar nicht so einfach, wenn es um den Wein geht. Früher haben wir einen einzigen Kelch für viele Menschen verwendet. Während der Pandemie haben wir es mit kleinen Bechern versucht, aber das war für die Kirchen zu teuer. Wir haben und also mit unseren Mitgliedern beraten, und sie haben vorgeschlagen, eigene Becher von zu Hause mitzubringen. Das ist keine dauerhafte Lösung, und sie ist sicherlich auch nicht ideal, aber auf diese Weise können Menschen am Abendmahl teilnehmen. In unserem Kontext ist das eine praktische Lösung.

Welche langfristigen Prioritäten können Sie für Ihre Kirche benennen? 

Seit ihren Anfängen im Jahre 1894 zeichnet sich die Madagassische Lutherische Kirche durch eine sehr dynamische Erweckungsbewegung aus, die einen immensen Einfluss auf das Wachstum der Kirche hatte. Wir müssen uns aber in erster Linie stärker mit der Nachhaltigkeit der Kirche befassen. So haben wir zum Beispiel nicht genug Pfarrpersonal, das in unseren wachsenden Gemeinden Dienst tun kann. Wir verfügen über mehr als 4.000 Pfarrer, die zu 70 Prozent Menschen in ländlichen Regionen betreuen. Sie sind für sechs bis zwölf Gemeinden zuständig, die in manchen Gebieten 50 bis 100 Kilometer auseinanderliegen. Wir müssen die theologische Bildung und Ausbildung von Pfarrpersonal stärken. Wir sind eine schnell wachsende Kirche und engagieren uns umfassend in Bildung, Gesundheit, Kommunikation und Landwirtschaft. Die Stärke unseres seelsorgerlichen Dienstes und unserer diakonischen Arbeit und Entwicklungsarbeit ist für die Zukunftsfähigkeit unserer Kirche besonders wichtig. 

Wie geht die Kirche mit der Dürre im südlichen Teil des Landes um?

Während der vier Jahre, in denen es im Süden Madagaskars immer wieder zu Dürrekatastrophen gekommen ist, haben wir in sechs unserer Synoden extremes Leid erleben müssen: Flüsse sind ausgetrocknet, Sand und Staub sind allgegenwärtig, es wächst nichts auf den Feldern, und die Menschen müssen sich von Kaktusblättern ernähren. Im September haben wir mit Unterstützung unserer Partner, darunter auch der Lutherische Weltbund und die Evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in der Slowakischen Republik, den am schwersten betroffenen Menschen helfen können.  Auch die Regierung hat Hilfspakete geschnürt, so dass sich die Lage inzwischen verbessert hat. Es hat auch geregnet.

Das bringt mich zurück zum Thema Nachhaltigkeit. Unser Kirchenteam konnte nur den wenigen Menschen helfen, die die Dorfältesten als besonders unterstützungsbedürftig bezeichnet haben. Es ist nicht leicht, so viele Menschen leiden zu sehen, wenn man nur 200 bis maximal 600 Menschen helfen kann. Eine unserer Prioritäten besteht deshalb darin, in eine nachhaltige Landwirtschaft zu investieren, indem wir Saatgutbanken für diversifizierte Feldfrüchte einrichten, darunter dürreresistente Sorten zum Anbau auf kircheneigenen Ländereien. Wir werden sechs Anbauflächen für dieses Saatgut zur Verfügung stellen und die Gemeinschaften mit Geld unterstützen, die diese Feldfrüchte anbauen.  

Meine Priorität sehe ich darin, ein die gesamte Kirche umfassendes Projekt für Selbstnachhaltigkeit durchzuführen. Es geht um die Selbstversorgung mit Lebensmitteln und um die Frage, wie wir in das Eigentum der Kirche investieren können. Oftmals schauen wir auf unsere Partner im Ausland, aber wir verfügen selbst über eine Menge an Besitztümern. Wir müssen es außerdem hinbekommen, dass alle unsere Geistlichen in Madagaskar ihr Gehalt aus einem einzigen „Topf“ beziehen. Das Leben ist für diejenigen, die in ländlichen Gebieten tätig sind, in der derzeitigen Situation schwierig. Die Mitglieder der Gemeinden arbeiten sehr hart, aber das Land bringt nur sehr wenig oder nichts hervor, und deshalb haben die Menschen nicht genug für sich selbst und für die Kirche. Deshalb wollen wir ein Mindestgehalt für alle Geistlichen einführen. 

Im Juni 2021 hat der LWB den Hélène Ralivao-Stiftung zum Andenken an die Pionierarbeit dieser Theologin in Madagaskar eingerichtet. Was bedeutet das für Sie?

Ralivao gehört zu den bekanntesten Frauen Madagaskars. Sie hat ihr gesamtes Leben der Aufgabe gewidmet, sich für andere Menschen einzusetzen und ihnen zu helfen. Ihr Tod im Februar 2020 ist ein Ereignis, das wir niemals vergessen werden. Die Stiftung wurde zu Ehren ihrer Familie und der Madagassischen Lutherischen Kirche gegründet. Ich bedanke mich deshalb besonders beim LWB für die Vergabe von Stipendien in Ralivaos Namen, damit unsere Frauen und die junge Generation das Rüstzeug bekommen, um allen Menschen das Evangelium zu verkünden.

Was bedeutet es für Sie und für Ihre Kirche, der LWB-Gemeinschaft anzugehören?  

Die Zugehörigkeit zum LWB ist für uns ein Segen. Der LWB hat für uns in vielerlei Hinsicht eine große Bedeutung, dazu gehört auch die diakonische Unterstützung über inzwischen sehr viele Jahre. So haben wir zum Beispiel während der Pandemie Hilfen über den COVID-19-Soforthilfefonds erhalten, zusätzlich zur Unterstützung anderer langfristig laufender Projekte. Wir werden weiterhin in jeder denkbaren Weise innerhalb der lutherischen Gemeinschaft zusammenarbeiten, um den Menschen das Evangelium zu verkünden.

 

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.

Von LWB/P. Mumia. Deutsche Übersetzung: Detlef Höffken, Redaktion: LWB/A. Weyermüller