Online-Unterstützung für Gebet in schwieriger Zeit

06 Nov. 2020
Image
Pfr. Dr. Grétar Halldór Gunnarsson ist Gemeindepfarrer in einem Vorort von Reykjavik und Initiator des Websiten-Projekts Amen.is. Foto: Birgir Ísleifur Gunnarsson

Pfr. Dr. Grétar Halldór Gunnarsson ist Gemeindepfarrer in einem Vorort von Reykjavik und Initiator des Websiten-Projekts Amen.is. Foto: Birgir Ísleifur Gunnarsson

Interview mit Grétar Halldór Gunnarsson, Evangelisch-Lutherische Kirche Islands

REYKJAVÍK, Island/GENF (LWI) – Als die jüngste Welle der Corona (COVID-19)-Pandemie über Island hereinbricht, stellt die Evangelisch-Lutherische Kirche Islands als eine ihrer Antworten auf die Pandemie eine neue Internet-Plattform mit dem Namen Amen.is online. Initiator des Projekts war Grétar Halldór Gunnarsson, ein Gemeindepfarrer aus einem Vorort Reykjavíks; er wollte damit auf das zunehmende Bedürfnis der Menschen reagieren, in der aktuellen von Unsicherheit und Bedrohungen geprägten Zeit zu beten. Im Interview beschreibt er, wie seine Idee Form annahm und welche Wirkung sie in der isländischen Gesellschaft entfaltete.

Gibt es in der Pandemie eine größere Notwendigkeit für Gebete und wollen die Menschen mehr beten?

In Zeiten der Gefahr und der Ungewissheit ist es nicht ungewöhnlich, dass die Menschen mehr beten, selbst Menschen, die normalerweise nicht regelmäßig beten. Die durch die Pandemie verursachte Situation hat also sicher dazu beigetragen, dass die Menschen mehr beten, ja. Aber viele Menschen wissen gar nicht, wie sie beten sollen, oder wollen auf ganz neue Art und Weise beten und suchen deshalb nach Anleitung und Wegweisung. 

Inwiefern hilft Amen.is ihnen dabei?

Amen.is ist eine Internetplattform für Gebet und kontemplative Momente, die ganz ähnlich funktioniert wie viele andere Quellen für Meditations- und Achtsamkeitsübungen. Sie bietet eine Anleitung für Menschen, die vielleicht das erste Mal beten, aber auch für Menschen, die ihre Gebetspraxis erweitern wollen. Amen.is stellt Gebete in sieben unterschiedlichen Kategorien und für alle Wochentage zur Verfügung. Die sieben Kategorien sind: christliche Meditation, Bibelmeditation, Tagzeitengebet, freies Gebet, Gebete für Kinder, liturgische Gesänge am Morgen und Vespergesänge.

Wie sind Sie auf die Idee für Amen.is gekommen?

Die Idee schwirrt mir schon seit einiger Zeit im Kopf herum. Und seit einer Weile beobachte ich, dass sich die Menschen in Scharen angeleiteten Meditationen nach fernöstlichem Vorbild zuwenden. Allerdings habe ich festgestellt, dass es keine wirklich zweckdienlichen ähnlichen christlichen Ressourcen und Hilfsmittel gibt – zumindest nicht auf Isländisch. Während der ersten Welle der COVID-19-Pandemie wurde mir dann bewusst, dass die Umsetzung meiner Idee immer wichtiger und dringlicher wurde. Es wurde schnell sehr deutlich, dass die Menschen begannen, online nach Ressourcen und Hilfsmitteln zu suchen, als die Kirchen geschlossen wurden.

Durch Zufall habe ich dann gehört, dass dem Büro der Bischöfin eine ganz ähnliche Idee vorgestellt worden war. Ich habe also angeboten, ein Projekt aus der Taufe zu heben, das versuchsweise genau diesen Bedarf an Material und Ressourcen fürs Beten zur Verfügung stellt. Dann habe ich eine Budget erhalten und mit der Umsetzung begonnen. Nach sechs Monaten, als uns gerade die dritte Welle der COVID-19-Pandemie in Island heimsuchte, konnte das Projekt online gestellt werden.

Seit dem 9. Oktober ist die Website jetzt online. Unser Ziel ist es, Menschen zu unterstützen, die anfangen wollen, regelmäßig zu beten, oder die ihre Gebetspraxis erweitern wollen. Ich hoffe, dass die Website dabei auch die Vielfalt der christlichen Gebetspraxis aufzeigen kann.

Wie hat die isländische Gesellschaft auf Amen.is reagiert?

Die Reaktionen waren viel besser, als ich erwartet hatte. In den Nachrichten wurde viel über die Website berichtet, und viele Menschen teilten sie in den sozialen Medien. Ich bin überzeugt, dass Gebetsmaterial und -ressourcen, die online zur Verfügung gestellt werden, einen großen Beitrag leisten, die Menschen beim Beten zu unterstützen. Aber es wird immer nur ein Hilfsmittel sein. Denn Beten ist und bleibt in erster Linie eine Form der Beziehung und keine Technik oder Vorgehensweise.

Wer arbeitet in Ihrem Team? Und wie arbeiten Sie zusammen?

An den Inhalten und dem Erstellen der Website haben fast 30 Personen mitgewirkt. Ich brauchte Menschen, die an den Skripten arbeiten, an der Musik, den Aufnahmen und der Nachbearbeitung, den Fotos, dem Desgin der Website und den Liedern und dem Gesang. An jeder Kategorie für die Gebete haben verschiedene Menschen gearbeitet, wobei es hier und da Überschneidungen der Teams gab. Die meisten Menschen haben das alles ehrenamtlich gemacht.

Wie hat die isländische Kirche ansonsten mit Online-Tools auf die Pandemie reagiert?

Die Gemeinden haben ihre Gottesdienste im Internet übertragen und versucht, den Kontakt mit ihren Mitgliedern über die sozialen Medien zu halten. Auch die Zusammenarbeit mit den Mainstream-Medien zum Streamen der Inhalte über deren Plattformen war gut, und es haben alle davon profitiert.

Zu welchen Erkenntnissen sind Sie durch die Arbeit an diesem Projekt gelangt, die auch für andere Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes nützlich und hilfreich sein könnten?

Die Website ist erst seit weniger als einem Monat online. Aber derzeit scheint die klassische Bibelmeditation – die lectio divina – die beliebteste Kategorie zu sein. Das hatte ich im Vorfeld nicht erwartet. Vielleicht möchten andere Mitgliedskirchen diese alte, auf das Wort fokussierte, Form des Gebets und der Meditation neu zu entdecken.

 

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.

 

LWF/OCS