Polen: Populistische Politik und einwanderungsfeindliche Rhetorik bekämpfen

Im Kampf gegen populistische Narrative und für mehr Empathie mit Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, sind Medientraining und Aufklärungsarbeit ein wichtiger Bestandteil von Karol Wilczinskis Arbeit.

10 Juli 2024
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Karol Wilczinski. Photo: Private

Karol Wilczinski. Photo: Private

Living as Neighbours: Karol Wilczinski, Lehrer, Journalist, Community Organizer und Gründer von Salam Lab 

(LWI) – „Mich hat die Panikmache zutiefst erschüttert", sagt der polnische Journalist Karol Wilczinski. Er weiß noch gut, wie leichtfertig die Politik in seinem Land hasserfüllte Propaganda verbreiten konnte, die Menschen auf der Flucht dämonisierte. „Geflüchtete wurden nicht nur als Terroristen dargestellt, sondern auch als Vergewaltiger, Pädophile, die übelsten Gestalten.“

Wilczinski studierte zunächst griechische und dann islamische Philosophie und ging 2015 nach München für seine Doktorarbeit, die er drei Jahre später abschloss. In dieser Zeit erlebte er hautnah die Anfänge der so genannten Flüchtlingskrise in Europa, als mehrere hunderttausend Menschen unter anderem aus Syrien auf der Flucht vor dem Krieg in ihren Heimatländern nach Deutschland kamen.

Bei seiner Rückkehr nach Polen beobachtete er mit wachsender Besorgnis die zunehmend einwanderungsfeindliche Rhetorik, die durch Unwissenheit und Angst noch weiter angeheizt wurde. „80 Prozent der Menschen haben eine starke Meinung zum Islam, aber nur 14 Prozent haben jemals einen Muslim kennengelernt“, stellt er fest. In der sechsten Folge des Podcast 'Living as Neighbours', einer gemeinsamen Initiative des Lutherischen Weltbundes und des Netzwerks A World of Neighbours, erzählt Wilczinski von seinem Engagement für mehr Verständnis und Empathie. 

Die andere Seite der Geschichte erzählen 

Der aus einem kleinen Dorf zwischen Warschau und Krakau stammende Wilczinski, der als gläubiger Katholik aufwuchs, faszinierte das Werk der großen griechischen Philosophen wie Platon und Sokrates. Vor allem interessierte er sich dafür, wie diese Ideen nach dem Niedergang des Griechischen und Römischen Reiches von arabischen Gelehrten in der islamischen Welt des Mittelalters wiederbelebt und weiterentwickelt wurden.

Nachdem er zunächst eine akademische Laufbahn geplant hatte, brachte ihn die Erfahrung mit Flüchtlingsfamilien und ihrem Schicksal dazu, „die andere Seite der Geschichte zu erzählen“. Er sagt: „Ich fühlte mich ohnmächtig, weil es in der polnischen Politik keine Gegenstimmen gab“, die der Propaganda der rechtspopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit, die bei den Wählerinnen und Wählern schnell Zulauf erhielt, etwas entgegensetzen konnten. 

Im Jahr 2016 begann Wilczinski mit einem Blog zum Thema Islam und arabische Kultur. Er wollte damit Vorurteile bekämpfen und eine alternative Stimme zu den nationalistischen Medien bieten. „Damals wusste ich noch nicht, dass nur etwa 3 oder 4 Prozent aller Nachrichten die Stimmen von Flüchtlingen wiedergeben“, sagt er. „Ich wollte nicht nur über die Probleme schreiben, sondern auch über Lösungen für solche Krisen.“ 

Um Empathie mit Flüchtlingen zu fördern, müssen wir kultur- und generationenübergreifende Allianzen schaffen.

Der polnische Journalist und Pädagoge Karol Wilczinski

Kommunikation und Medientraining spielen weiterhin eine zentrale Rolle in seinen Bemühungen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und für mehr Verständnis der Probleme von Menschen auf der Flucht zu sorgen. 2021 gehörte er zu den Gründern von Salam Lab: Er erweiterte seinen Blog gab so marginalisierten Menschen eine Stimme, warb für seriöse Berichterstattung und baute Brücken zwischen verschiedenen nationalen und religiösen Gemeinschaften. „Journalistinnen und Journalisten sind immer auch Aktivistinnen und Aktivisten“, meint er, „denn bei wichtigen Menschenrechtsfragen kann man sich nicht einfach neutral verhalten.“ 

Gleichzeitig half er beim Aufbau der Grupa Granica („Grenzgruppe“) mit. Diese leistete Zehntausenden von Menschen, die an der Grenze zwischen Polen und Weißrussland festsaßen, praktische Hilfe. Als Philosophielehrer arbeitet er auch in einer Grundschule, wo im Ethikunterricht Kindern hilft, Einfühlungsvermögen zu entwickeln, das über das reine Faktenwissen über Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen hinausgeht.

Wenn sich Wilczinski dem Kampf gegen Hassreden und Populismus widmet, die Flüchtlingen Rechte verwehrt, fühlt er sich oft allein gelassen und hilflos. Dennoch hofft er, dass die Krise zu mehr Verständnis und Solidarität mit Menschen führen wird, die vor Konflikten und Verfolgung fliehen. „Es gehört zur Natur des Menschen, dass man sich als Teil einer Gruppe fühlen möchte und Angst hat vor allem, was außerhalb dieser Gruppe ist“, sagt er. „Aber es geht darum, kultur- und generationenübergreifende Allianzen zu schaffen – und daran müssen wir weiterhin arbeiten“, erklärt er.

Der Podcast „Living as Neighbours“ ist eine gemeinsame Initiative des Lutherischen Weltbundes und des Netzwerks „A World of Neighbours“, das Menschen unterstützt, die Migranten und Flüchtlingen auf dem gesamten europäischen Kontinent helfen. Das Projekt wird von der deutschen Regierung über die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit unterstützt. In jeder der acht Episoden geht es um ganz normale Menschen, die Außergewöhnliches leisten, um den am meisten gefährdeten Menschen zu helfen, die an einigen der entlegensten Grenzen Europas gestrandet sind.

LWB/P. Hitchen