Polnische Bischöfe fordern Dialog mit Demonstrierenden

17 Nov. 2020
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Demonstration gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes in Warschau (Polen). Foto: Jakub Zabinski (CC-BY-SA)

Demonstration gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes in Warschau (Polen). Foto: Jakub Zabinski (CC-BY-SA)

Abtreibungsgesetz: Größte Protestwellen seit den 1980ern

WARSCHAU, Polen/GENF (LWI) – Der Auftrag der Kirche sei, das Evangelium zu verkünden und das Gewissen der Menschen zu formen, „nicht Druck auszuüben, den eigenen Willen aufzuzwingen oder Kontrolle auszuüben“. Diese Überzeugung steht im Mittelpunkt einer Erklärung der lutherischen Bischöfe Polens, die darin zu einem friedlichen Dialog zwischen der Regierung und den Demonstrierenden aufrufen, die derzeit gegen die vorgeschlagene Verschärfung des ohnehin schon strengen Abtreibungsgesetzes des Landes auf die Straße gehen.

Die Bischöfe der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen rufen zu „gegenseitigem Respekt“ auf und appellieren an „die Machthabenden, keine Gewalt anzuwenden und sich um einen notwendigen Kompromiss [mit den Protestierenden] zu bemühen“. Die Kirchenleitenden weisen darauf hin, dass die unterschiedlichen Ansichten über die jüngste Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts zu den größten Protesten seit dem von der Gewerkschaft Solidarność Anfang der 1980er Jahre organisierten Generalstreik geführt hätten.

Das Verfassungsgericht hatte im Oktober entschieden, dass Abtreibungen aufgrund von Fötusschäden verfassungswidrig seien, was konkret bedeutet, dass ein Schwangerschaftsabbruch nur noch im Fall von Vergewaltigung, Inzest oder bei einer Gefährdung von Gesundheit oder Leben der Mutter erlaubt ist. Nachdem viele Menschen in mehreren großen Städten des Landes zehn Tage lang demonstriert hatten, schien es am 2. November so, als wolle die Regierung die Umsetzung der Entscheidung des Verfassungsgerichts hinauszögern, indem sie sie nicht wie vorgeschrieben im offiziellen Gesetzblatt veröffentlichte. 

Herz und Gewissen ausbilden

Die Bischöfe betonen in ihrer Erklärung, dass es ihnen nicht gleichgültig sei, „was in unserer Gesellschaft vor sich geht“, und sie führen weiter aus, dass sich die Kirche „die Fragen, Klagen, Beschwerden und sogar die Schreie der Menschen anhören“ müsse. Die lutherische Theologie, unterstreichen sie weiterhin, „die auf der reformatorischen Lehre beruht, verlangt eine klare Trennung von Kirche und Staat“. Auftrag der Kirche sei es, so betonen die Bischöfe, Zeugnis abzulegen, nicht aber, „durch das Verhängen von Rechtsvorschriften im Wirkungsbereich des Staates bestimmte moralisch vertretbare Lösungen zu erzwingen“.

Die Bischöfe halten fest, dass das bestehende Abtreibungsgesetz, das vor 27 Jahren verabschiedet wurde, bereits darauf abziele, „den menschlichen Fötus zu schützen, während es gleichzeitig sicherstellt, dass das Leben, die Gesundheit und die Würde der schwangeren Frau und ihre Entscheidungsfreiheit in moralisch extrem schwierigen Situationen geschützt ist“. Die Bibel lehre, dass „uns die Freiheit der Kinder Gottes geschenkt ist“, schreiben sie, und dies beinhalte, sowohl „Entscheidungen für uns selbst treffen zu dürfen [...], als auch Verantwortung für die getroffenen Entscheidungen zu übernehmen“.

Die Erklärung der Bischöfe verweist auf eine Erklärung der Synode der lutherischen Kirche in Polen aus dem Jahr 1991, in der „die Unantastbarkeit des Lebens [unterstrichen wird], gleichzeitig aber darauf hingewiesen wird, dass es nicht Aufgabe der Kirche sei, auf den Gesetzgeber einzuwirken, dass Abtreibungen unter Strafe gestellt würden“. Die Lehre der Kirche, betonen die Bischöfe, konzentriere sich auf die „Herzens- und Gewissensbildung der Menschen“. 

Weiterhin fügten die Kirchenleitenden hinzu, dass Frauen, „die aus medizinischen Gründen, infolge eines Verbrechens oder aufgrund von lebensbedrohlicher Fehlbildungen beim Fötus einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen mussten oder müssen“, Zugang zu angemessener Seelsorge haben sollten und „unter keinen Umständen sollten Schuldgefühle entwickeln müssen“. Gleichzeitig sollten aber auch Familien umfassend unterstützt werden, so die Bischöfe, „die sich der heldenhaften Herausforderung stellen, Kinder mit genetischen Defekten großzuziehen“.

 

 

LWF/OCS