Kirchenpräsident José Pilar Álvarez Cabrera über Menschenrechtsverletzungen und Morddrohungen in Zentralamerika
(LWI) – Weder Todesdrohungen, noch falsche Anklagen vor Gericht oder andere Einschüchterungsversuche werden seine Kirche davon abhalten, für die Rechte der Landbevölkerung einzutreten, bekräftigte der Präsident der Lutherischen Kirche Guatemalas (ILUGUA), Pfr. José Pilar Álvarez Cabrera. Er werde weiterhin für deren Zugang zu Land und natürlichen Ressourcen eintreten, sowie für diejenigen, die sich in dem lateinamerikanischen Land für den Schutz der Menschenrechte engagieren.
In einem Interview mit der Lutherischen Welt-Information (LWI) sprach der guatemaltekische Kirchenleiter über die Arbeit seiner Kirche und darüber, wie wichtig es ist, dass die weltweite Kirchenfamilie und die Staatengemeinschaft MenschenrechtsaktivistInnen in einer Gesellschaft unterstützen, die im Begriff ist, hinter die bei der Überwindung der Straflosigkeit errungenen, erheblichen Fortschritte zurückzufallen.
Warum engagiert sich die lutherische Kirche im Ringen des Landes um Menschenrechte?
Die Lutherische Kirche Guatemalas ist Mitglied des Ökumenischen Christenrats Guatemalas, in dem sich ausserdem Kirchen der katholischen, anglikanischen, evangelikalen und reformierten Tradition zusammengeschlossen haben. Sie kooperieren in verschiedenen Bereichen, einschliesslich der Menschenrechtsarbeit auf regionaler und internationaler Ebene.
Seit zehn Jahren begleitet die ILUGUA die Menschen in Zacapa und Chiquimula, die im Gebiet der Granadillas-Berge leben. Das Gebiet ist ihre Existenzgrundlage, es versorgt etwa 300.000 Menschen mit Trinkwasser und Nahrung, und ist jetzt von Entwaldung und zerstörerischer Ausbeutung seiner Ressourcen betroffen. Die Menschen in Zacapa und Chiquimula kämpfen dagegen an. Obwohl die Einheimischen für den Schutz der Umwelt demonstrieren, holzen auswärtige Unternehmen weiter ab. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die lokalen Behörden in ihrem Vorgehen nicht vertrauenswürdig sind. Die lutherische Kirche und das ökumenische Bündnis engagieren sich an der Seite der einheimischen Bevölkerung in diesem Kampf gegen Unternehmen, die die Wälder und Flüsse ausbeuten wollen.
Mit welchen Drohungen und Einschüchterungsversuchen sind Sie konfrontiert?
In Chiquimula und Zacapa werden Einzelpersonen und ganze Gemeinschaften bedroht, ganz besonders MenschenrechtsaktivistInnen. Menschen sind getötet worden, weil sie das Land und die Artenvielfalt der Granadillas schützen wollten. Zu nennen ist hier besonders der Mord an dem Menschenrechtsaktivisten Carlos Hernández Mendoza im März 2013.
Ich persönlich habe Morddrohungen erhalten und bin Straftaten bezichtigt worden, die ich nicht begangen habe. Unlängst wurden wir [die ILUGUA] beschuldigt, einen mit Langholz beladenen Laster von einem öffentlichen Platz gestohlen zu haben, aber an dem betreffenden Ort stand nie ein LKW. Das sind nur einige Beispiele für die grundlosen Anschuldigungen, denen wir ausgesetzt sind, aber wir werden nicht schweigen.
Wie reagieren die Behörden vor Ort auf solche Drohungen?
Die Verfassung legitimiert unsere Arbeit, aber die örtlichen Behörden unterstützen die grossen Unternehmen, die das nötige Geld haben, um unsere Naturschätze auszubeuten. Die Drohungen gegen Menschenrechtsaktivistinnen und –aktivisten in unserem Land gefährden die Fortschritte, die bei der Reform des Justizsystems erreicht worden sind. Während der Amtszeit der aktuellen Generalstaatsanwältin, Dr. Paz y Paz, hat sich seine Wirksamkeit erhöht. Dass wir in Guatemala das Büro der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte haben, ist ebenfalls wichtig.
Nun hat aber das Verfassungsgericht das Mandat der Generalstaatsanwältin in Frage gestellt und sie muss im Mai 2014, sieben Monate vor dem Ende ihrer Amtszeit, von ihrem Amt zurücktreten. Dabei hat sie lediglich auf der Grundlage der Verfassung diejenigen strafrechtlich verfolgt, die in den dunklen Jahren des bewaffneten Konflikts in schwere Menschenrechtsverletzungen und den Genozid verwickelt waren. Sie hat das Gesetz zur Anwendung gebracht, um Verbrechen von bewaffneten Banden sowie am Drogenhandel Beteiligten juristisch aufzuarbeiten, und sie unterstützt die Arbeit von denen, die sich wie wir für die Menschenrechte einsetzen.
Wie kann es Ihrer Meinung nach weitergehen?
Es ist wichtig, kontinuierlich und konzertiert für die Wahrung der Verfassung einzutreten. Wir müssen diejenigen schützen, deren Rechte beschnitten werden für wirtschaftliche Interessen und die Ausbeutung unserer Naturschätze – das Abholzen der Wälder den Abbau der Rohstoffe usw.
Unsere jüngste ökumenische Reise durch Europa (5. bis 24. März 2014) ist Teil dieser Anstrengungen. Wir sind mit Vertreterinnen und Vertretern von Kirchen und Regierungen in Deutschland, Norwegen und Schweden sowie von internationalen Menschenrechtsorganisationen zusammengetroffen. Wir haben sie über die schweren Rückschläge informiert, die wir beim Schutz der Menschenrechte erleben, und haben um ihre Unterstützung mithilfe der entsprechenden Mechanismen bei der Europäischen Union und den Vereinten Nationen gebeten.
Bei Treffen mit Führungsverantwortlichen verschiedener weltweiter kirchlicher Organisationen im Ökumenischen Zentrum, darunter Pfr. Martin Junge, Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes, haben wir die weltweite ökumenische Familie zu Solidarität und Weggemeinschaft mit den Christinnen und Christen, den Menschenrechtsaktivisten und ‑aktivistinnen Guatemalas aufgerufen.
Wir brauchen die Unterstützung der Kirchen weltweit, damit wir die Kraft finden, Bevölkerungsgruppen, die für den Schutz ihres Lebens und ihrer natürlichen Lebensgrundlagen kämpfen, auch weiterhin pastoral zu begleiten.
Pfr. José Pilar Álvarez Cabrera wurde bei seinem Besuch im Ökumenischen Zentrum am 21. März begleitet von Omar Jéronimo, Koordinator der indigenen Gemeinwesenorganisation Central Peasant Chorti New Day, und Claudia Samayoa Pineda, Koordinatorin der Menschenrechtsgruppe Unit for Human Rights Defenders in Guatemala.