Suriname: „Lutherische Identität“ neu erkunden

23 Nov. 2021
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Rafael van Ommeren.

Rafael van Ommeren.

LWB-Stipendiat Rafael van Ommeren spricht über Kirche-Sein in einem vielfältigen Kontext

PARAMARIBO, Suriname/GENF (LWI) – Die lutherische Identität war das zentrale Thema bei einem Treffen von Studierenden im Oktober, die dank eines vom Lutherischen Weltbund (LWB) verliehenen Stipendiums Theologie studieren können. Rafael van Ommeren, der der einzige lutherische Student an einem ökumenischen Studienseminar in Jamaika ist, berichtet was es in seinem Heimatkontext in Suriname bedeutet, Kirche zu sein, gemeinsam Theologie zu treiben, Bewusstsein für das Wirken des Heiligen Geistes zu schaffen und die Gespräche über die Bewahrung von Gottes Schöpfung nicht abreißen zu lassen.

Die im vergangenen Mai ins Leben gerufenen Online-Treffen von LWB-Stipendiatinnen und ‑stipendiaten unter der Überschrift „LWF Scholars Coming Together“ bieten einen Raum, in dem die Studierenden sich gegenseitig ermutigen, inspirieren und gemeinsam neue Ideen entwickeln können, wie die Kirchen gestärkt werden können und die globale Stimme in die lokalen Kontexte gebracht werden kann.

Was studieren Sie und welche Rolle wollen Sie zukünftig in Ihrer Kirche übernehmen?

Ich bereite mich darauf vor, bald hauptberuflich in den Dienst meiner Kirche, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Suriname (ELKS), zu treten. Aktuell studiere ich im Masterprogramm „Contextual Ministry“ (Kontextueller Dienst) am United Theological College of the West Indies in Kingston, Jamaika. Ich werde meinen Abschluss im Mai 2023 machen. Dann werde ich in meine Heimat zurückkehren und ein Jahr als Vikar arbeiten. Danach folgen die Ordination und die Berufung in den Dienst an Wort und Sakrament. Ich bin Mitglied der Maarten Luther Church, einer Ortsgemeinde der ELKS. Ich war bereits als Jugendleiter, Laienprediger, Musiker und Chorleiter, Hausmeister der Kirche und Direktor eines Seniorenheims tätig.

Sie haben das erste Mal an den Treffen der LWB-Stipendiatinnen und -Stipendiaten teilgenommen. Welche Eindrücke haben Sie gewonnen?

Ich bin sehr dankbar, dass ich endlich an einem solchen Treffen und dem theologischen Austausch teilnehmen konnte. Ein befreundeter Pastor hat einmal zu mir gesagt: „Theologie kannst du nicht allein treiben.“ Ich studiere an einem ökumenischen College und bin dort im Moment der einzige lutherische Studierende. So sehr ich die ökumenischen Beziehungen an diesem College schätze, ist es auch schön, sich mit anderen Lutheranerinnen und Lutheranern auszutauschen. Ich bin sehr dankbar, zu hören, wie andere ihre lutherische Identität erleben – und aus den Unterschieden zu lernen und über Gemeinsamkeiten nachzudenken. Diese Gemeinsamkeiten sind bereichernd, weil sie aufzeigen, dass wir miteinander verbunden sind, auch wenn Ozeane und Landesgrenzen zwischen uns liegen.

Welche Rolle spielt es in Ihrem Kontext, lutherischer Christ zu sein?

Die lutherische Kirche hat eine ausgesprochen ökumenische Geschichte und deshalb enge ökumenische Beziehungen mit vielen anderen Konfessionen. Aber gleichzeitig hat das dazu geführt, dass wir das Gefühl dafür verloren haben, was genau es bedeutet, lutherisch zu sein. Ich glaube, dass wir als lutherische Kirche in Suriname dabei sind, neu zu erkunden, was genau unsere lutherische Identität ist und welche Bedeutung das in unserem Kontext hat. In dem multikonfessionellen und multireligiösen Kontext in Suriname ist es zum Beispiel ein sehr wichtiger Aspekt, dass wir vertreten, dass wir unsere Erlösung nicht durch unser Tun erreichen können. Auch wenn das in anderen Kontexten nicht ganz genau so gepredigt wird, findet man die Vorstellung, durch gute Werke erlöst zu werden, wenn Jesus wiederkommt, in vielen christlichen Kontexten. Das führt zu sehr viel Angst und Verzweiflung.

In welchen Bereichen engagiert sich die lutherische Kirche aktiv in Ihrem Land?

Ein Bereich, in dem wir uns als lutherische Kirche aktuell aktiv engagieren, sind die Gespräche über die Bewahrung der Schöpfung Gottes. Wir versuchen, den Austausch hierüber nicht abreißen zu lassen und denken gemeinsam darüber nach, was wir tun können, damit die Schöpfung als Ganzes profitiert. Eines der Projekte, die aus diesen Gesprächen erwachsen sind, sind die ELKS-Einkaufstaschen. Bei uns werden in den Geschäften meistens Plastiktüten benutzt, die nicht biologisch abbaubar sind. Wir produzieren wiederverwendbare Einkaufstaschen und ermutigen die Menschen in unseren Gemeinden, aber auch viele andere Menschen, in eine solche Tasche zu investieren, anstatt Plastiktüten zu benutzen.

Ein anderer Bereich ist unsere Beteiligung an der öffentlichen Debatte über geschlechtsspezifische Gewalt. Ich finde, dass die christlichen Kirchen und anderen Religionen sich nicht klar genug gegen Gewalt aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit aussprechen und diese verurteilen. Ich denke, dass zum Beispiel die Seminare, die wir am 15. und 16. Oktober zum Thema häusliche Gewalt organisiert haben, und andere konkrete Projekte, in denen unser Ausschuss für Genderfragen mit der Nichtregierungsorganisation STICRIS (Stiftung Heim für Frauen in Krisensituationen) zusammenarbeitet, um Opfern von häuslicher Gewalt in Suriname ein Dach über dem Kopf zu geben, dem Lutherisch-Sein in meinem Kontext eine Bedeutung geben.

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Können Sie auch von Erfahrungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie berichten?

Unser „Megas Diakonos“-Projekt, das ich zusammen mit anderen koordinieren durfte, hat einen sehr ambitionierten Namen für ein kleines kirchliches Projekt. Aber ich glaube, dass es uns durch die Kraft des Heiligen Geistes gelungen ist, genügend Freiwillige zu finden, die regelmäßig Pakete mit Nahrungsmitteln und anderen lebensnotwendigen Gütern sammeln konnten, die die Kirche dann an viele Menschen verteilt hat, die durch die Pandemie bedürftig geworden sind. Die Kirche hat erkannt, dass der Druck enorm war, den die Pandemie auf unsere schon vorher nicht sehr stabile Wirtschaft ausgeübt hat. Die marginalisierten Menschen in unserer Gesellschaft sind diejenigen, für die die Auswirkungen einer solchen Krise am schlimmsten sind. Deshalb haben wir dieses diakonische Projekt ins Leben gerufen und der LWB hat es ebenfalls unterstützt. Es ist viel Arbeit und oftmals gibt es einfach nicht genug helfende Hände, aber Gott sorgt durch den Heiligen Geist für uns und wir können nur weiterhin unseren Beitrag zum diakonischen Wirken Gottes auf der Welt leisten.

 ELKS

Beim Treffen der Stipendiatinnen und Stipendiaten wurde auch das Verständnis vom Heiligen Geist und den spirituellen Gaben im Leben der Kirche diskutiert. Was denken Sie persönlich zu diesem Thema?

Eine Sache, die mir aus einem Gespräch mit einer anderen Person in meiner Arbeitsgruppe im Kopf geblieben ist, ist die Tatsache, dass wir abgesehen von Pfingstsonntag in unseren beiden Kontexten nicht viel über den Heiligen Geist sprechen. Ich möchte aber anmerken, dass wir in Suriname Lebenserfahrungen schon sehr spirituell wahrnehmen, auch wenn die Mitglieder unserer Kirche hier nicht unbedingt explizit von einem Werk des Heiligen Geistes sprechen würden.

Ich bin überzeugt, dass der Heilige Geist wirklich in den lutherischen Kirchen in Suriname wirkt. Wir sind eine kleine Kirche in einem religiös vielfältigen Land und wir haben schwierige Jahre erlebt, in denen wir uns wirklich Sorgen um die Zukunft der Kirche gemacht haben. Aber genauso wie der Geist Gottes in der Vergangenheit bei uns war und uns dorthin gebracht hat, wo wir heute stehen, bin ich fest davon überzeugt, dass der Heilige Geist uns auch weiterhin den Weg durch die schwierigen Zeiten weisen wird und dass die Kirche Gottes bestehen bleiben und eine Bedeutung haben wird.

Haben Sie aus dem Treffen Ideen mitgenommen, denen Sie gerne weiter nachgehen wollen?

Ich denke, wir sollten uns weiter mit dem Thema der lutherischen Identität beschäftigen, denn das ist ein Thema, das fortwährend kontextualisiert werden muss. Wir können viel von unseren jeweiligen Erfahrungen und den verschiedenen Ideen lernen, wie wir dem lutherischen Glauben in unseren verschiedene Kontexten Bedeutung geben können.

Ein weiteres Thema ist die Bewahrung der Schöpfung Gottes. Wenn sich angehende Pfarrerinnen und Pfarrer und andere Theologinnen und Theologen mit diesem Thema beschäftigen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir es auch mit an die Orte nehmen, an denen wir im Dienst der Kirche arbeiten werden. Wir hoffen und beten, dass diese Gespräche zu zweckdienlicheren Maßnahmen unserer Kirchen führen.

Der LWB begleitet und unterstützt seine Mitgliedskirchen in ihrer Berufung, das Evangelium durch ihren Dienst und die Sorge für die Nächsten praktisch zu leben. Die Stipendien für ein Theologie- oder Diakonie-Studium rüsten die Kirchen für nachhaltiges Wachstum und nachhaltige Entwicklung der Kirchen und ihrem Kontext zu.

Von LWB/P. Mumia. Deutsche Übersetzung: Andrea Hellfritz, Redaktion: LWB/A. Weyermüller