Khadijah Islam, LWB-Ratsmitglied aus der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika
(LWI) – Als Tochter einer lutherischen Mutter und eines muslimischen Vaters wuchs Khadijah Islam in der US-amerikanischen Stadt La Crosse, Wisconsin, am Ufer des Mississippi auf. Nach der Schule verbrachte sie mit Anfang 20 im Rahmen des Weltmissionsprogramms der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika ein Jahr als Freiwillige in Ruanda und lebte dort mit einem Pastor und seiner Familie.
Die Erfahrungen aus diesem Jahr haben ihr Leben, ihre Arbeit und ihren Glauben maßgeblich geprägt und ihr „ein umfassenderes Verständnis von Religion“ vermittelt. Nachdem sie die letzten Jahre als Heilpädagogin mit Kindern gearbeitet hat, wird sie nun eine Stelle bei „Global Refuge“, dem ehemaligen lutherischen Immigrations- und Flüchtlingsdienst, übernehmen, der Flüchtlinge und Asylsuchende bei der Ankunft in den USA empfängt und mit praktischer Hilfe unterstützt.
Islam (28) ist zudem ein neues Mitglied im Rat des Lutherischen Weltbundes (LWB); sie wurde von der Dreizehnten LWB-Vollversammlung in Krakau, Polen, im vergangenen September gewählt, um ihre Kirche in dem Gremium zu vertreten. Am Rande der ersten Volltagung des Rats in der Schweiz im vergangenen Monat hatte sie zwischen zwei Sitzungen Zeit, um uns von ihrem Werdegang, ihrer Arbeit und den Arbeitsschwerpunkten zu erzählen, die sie sich als Jugendmitglied im Rat gesetzt hat.
Erzählen Sie uns zunächst etwas mehr über ihre interreligiöse Familie.
Meine Mutter ist Lutheranerin. Ihre Familie hat größtenteils norwegische Wurzeln. Mein Vater ist aus Bangladesch in die USA gekommen, als er 18 Jahre alt war. Er ist mit dem muslimischen Glauben aufgewachsen, aber es gibt nicht viele muslimische Gläubige in La Crosse und für ihn war es in Ordnung, dass mein Bruder und ich in die lutherische Kirche gingen, weil beide Religionen abrahamitische Religionen sind. Immer wenn ich von der Sonntagsschule nach Hause kam, erzählte mir mein Vater aus islamischer Perspektive von den Dingen, über die wir gerade in der Sonntagsschule gesprochen hatten.
Ist Ihr Vater praktizierender Muslim?
Er ist schon sehr gläubig, aber er kam als Immigrant in die USA und musste sich aus Sicherheitsgründen assimilieren. Zuhause haben wir die islamischen Traditionen beachtet, also zum Beispiel kein Schweinefleisch gegessen. Wir haben die „Eids“, also die religiösen Feste des Islam, gefeiert und ich habe im Ramadan auch immer gefastet. Ich bin mit den Lehren beider Religionen aufgewachsen, das hat mir ein umfassenderes Verständnis von Religion vermittelt.
Inwiefern hat dies Ihre lutherische Identität geprägt?
Ich würde sagen, es macht mich demütig und sorgt dafür, dass ich anderen mit Respekt begegne. Ich weiß, dass mein Glaube an das Opfer Christi mein Handeln motiviert und dass ich berufen bin, als Antwort darauf an Gottes Werk teilzuhaben. Aber es lässt mich auch zu schätzen wissen, dass andere Menschen auf andere Art berufen sind. Die kontextabhängigen Realitäten anderer Religionen bieten eine Vielfalt und sind wunderbar – aber wie honorieren und würdigen wir das?
Wie und warum haben Sie begonnen, sich in der Jugendarbeit der ELKA zu engagieren?
Angefangen hat alles, als ich in der High School war. Meine Heimatgemeinde hatte junge Menschen aufgefordert, im Gottesdienstteam mitzumachen, um aktuellere Musik für die Gottesdienste auszusuchen. Die traditionellen Hymnen liegen mir sehr am Herzen, aber wir wünschten uns auch eine größere Vielfalt an Lobliedern. Das Singen gab mir die Chance, im gesamten Gebiet unserer Synode umherzureisen und andere junge lutherische Gläubige zu treffen.
2016 wurde ich dann gebeten, stimmberechtigte Delegierte auf unserer Jugendvollversammlung in New Orleans zu sein. Die ELKA hatte in Vorbereitung auf das Reformationsjubiläum gerade ihre ökumenische Erklärung „Declaration on the Way“ veröffentlicht. Ich habe an einem Workshop teilgenommen und viele interessante Menschen getroffen – unter anderem den ehemaligen LWB-Präsidenten Pfr. Mark Hanson. Es war großartig zu sehen, dass lutherische und katholische Gläubige zusammenkommen, insbesondere weil ich die Patentante der Tochter einer sehr guten Freundin bin, die katholisch ist. Ich hoffe, dass ich etwas ähnliches eines Tages mit ihr zusammen erleben kann.
Sie haben auch eine Zeit lang als Freiwillige in der Lutherischen Kirche Ruandas gearbeitet.
Ja. 2018 war ich elf Monate lang zu Gast in der Kirche dort. Ich wohnte bei dem Pastor des Dorfes und seiner Familie in Kayonza in der östlichen Provinz des Landes. Ich habe den Kindern in der Kirche geholfen und vor allem Englisch mit einer Gruppe von Frauen gesprochen, die eine Ausbildung zu Schneiderinnen machten. Außerdem habe ich in dem örtlichen Büro des Christlichen Vereins Junger Frauen gearbeitet, Berichte lektoriert, Fotos und Videos gemacht, um ihre Programme für wirtschaftliches Wachstum, WASH (Wasser, sanitäre Grundversorgung und Hygiene) und frühkindliche Bildung zu unterstützen, die insbesondere den vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen zugutekamen.
Was können Sie uns über Ihr Studium und Ihren beruflichen Werdegang erzählen?
Ich habe einen Bachelorabschluss in Psychologie von der Universität Wisconsin-La Crosse. Aber in der COVID-Pandemie habe ich beschlossen, noch einmal an die Universität zurückzukehren und einen dualen Master in Sozialer Arbeit und Katastrophenvorsorgemanagement zu machen. Nach meinem Abschluss arbeitete ich für ein alternatives Bildungsprogramm mit Kindern und Jugendlichen vom Vorschulalter bis zur 12. Klasse, die ein schweres Trauma erlitten oder schwere Lernstörungen hatten.
War das eine Herausforderung für Sie?
Es ist kein Job für Menschen mit schwachen Nerven, aber es hat mich sehr erfüllt. An manchen Tagen machten sie Fortschritte, an anderen Tagen fühlte man sich ganz an den Anfang zurückgeworfen. Ich bin dankbar, ein Erwachsener im Leben dieser Kinder sein zu dürfen, dem sie vertrauen, jemand, der immer da ist und sie immer unterstützt. Wenn sie wissen, was auf sie zukommt, kann sich ihr Nervensystem entspannen und wir können versuchen, ihnen zu helfen, sich mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen. Seit der COVID-Pandemie gibt es immer mehr junge Menschen, die damit Schwierigkeiten haben.
In Kürze treten Sie aber nun eine neue Stelle an, richtig?
Ja, ich werde für „Global Refuge“ arbeiten, dem ehemaligen lutherischen Immigrations- und Flüchtlingsdienst, der Immigrantenfamilien in den USA mit ganzheitlicher Unterstützung zur Seite steht. „Global Refuge“ versucht Mittel zu finden, um Menschen in den ersten sechs Monaten zu unterstützen, in denen sie in temporären Unterkünften untergebracht sind, und versucht, langfristige Lösungen für Menschen zu unterstützen, die versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen.
Das ist im derzeitigen politischen Klima auch keine einfache Aufgabe.
Das stimmt. Ich finde, es fehlt den Menschen im globalen Norden an Verantwortungsgefühl dafür, dass wir zur Vertreibung der Menschen überall auf der Welt beitragen. Unsere Einwanderungspolitik ist kompliziert, aber wir gehen davon aus, dass diese Menschen, die ja in einer extrem vulnerablen Lage sind, wissen, was sie tun müssen und an wen sie sich wenden müssen, um Asyl zu beantragen. „Global Refuge“ setzt sich für einen gerechteren Umgang mit Menschen auf der Flucht ein.
Welche Schwerpunkte wollen Sie in Ihrer Zeit im LWB-Rat setzen?
Ganz oben auf meiner Liste steht die Bewältigung des Klimanotstands, insbesondere die Notwendigkeit, dass wir eintreten für die Menschen an vorderster Front. In meinen Augen geht es nicht nur um die Anpassung an den Klimawandel, sondern auch darum, die Menschen im globalen Norden zur Verantwortung zu ziehen und die Verantwortung wieder auf die Schultern der großen Energieproduzenten zu legen.
Mich interessieren die Menschen an der Basis, ich möchte gerne Kirchen dort kennenlernen, wo sie sind, um sie zu würdigen und ihnen mit Respekt zu begegnen, ich möchte mich gerne mit der gesamten LWB-Gemeinschaft über Ideen austauschen.
Was bedeutet es für die ELKA und Sie persönlich, Teil dieser weltweiten Gemeinschaft von Kirchen zu sein?
Das ist ganz wichtig, weil es mir auch helfen kann, mich in meiner eigenen Kirche für Veränderungen einzusetzen, wenn wir Fragen stellen in Bezug auf Dinge, zu denen wir uns verpflichtet haben, zu denen unsere Strategien, Grundsätze und Praktiken aber nicht passen.
Ich glaube, es macht den Menschen in Amerika bewusst, dass wir nicht nur einen finanziellen Beitrag leisten, wobei das natürlich auch wichtig ist. Aber es hilft uns, zu verstehen, dass wir aufgerufen sind, im Gespräch und Austausch mit anderen zu sein und uns ihre Sichtweisen anzuhören. Als nicht-ordinierte Jugenddelegierte kann ich dadurch mit Kirchenleitenden an einem Tisch sitzen; das bringt uns auf eine Ebene in unserem Verhältnis, damit auch meine Stimme Gehör findet.