Pfarrerin Amy Reumann spricht über ihr leidenschaftliches Engagement für Gerechtigkeit und ihre Arbeit als Gärtnerin, die Orte schafft, an denen Menschen in Kontakt treten und Gemeinschaft schaffen können.
Interview mit Pfarrerin Amy Reumann, Leiterin der Advocacy-Abteilung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika
(LWI) – Amy Reumann wuchs als Tochter eines Pastors und Professors an einem Theologie-Seminar in den USA auf, verbrachte Sabbatjahre mit der Familie aber auch in Deutschland, Großbritannien, Israel/Palästina und Indien. Dadurch entwickelte sie „schon früh ein Gefühl dafür, dass die Kirche die ganze Welt umspannt“.
Es war jedoch eine Reihe von Begegnungen mit christlichen Gläubigen in der ehemaligen DDR, die sie dazu brachten, ihren Glauben in einem ganz neuen Licht zu sehen und, wie sie sagt, zu verstehen, „dass ich von einem unerschütterlichen Glauben überzeugt bin, der mich an Orte führt, die Mut und ein klares Verständnis davon erfordern, wer Gott ist und was wir unserer Berufung nach tun und sein sollen“.
Heute, vierzig Jahre später, engagiert sie sich durch ihre Arbeit als leitende Direktorin der Abteilung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika (ELKA) für das kirchliche Zeugnis in der Gesellschaft leidenschaftlich für Gerechtigkeit, leitet die Fürsprachearbeit für eine große Bandbreite an Themen rund um Migration, Frieden, Menschenrechte, Armut und Klimagerechtigkeit und leitet auch das Programm für die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. Zudem setzt sie ihr gärtnerisches Können und Wissen ein, um Gemeinschaften zu pflegen, die auf den biblischen Werten einer radikalen Willkommenskultur und Inklusion beruhen.
Können Sie sich zunächst kurz vorstellen?
Gerne. Sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits gibt es unter meinen Vorfahren seit vielen Generationen immer lutherische Pastoren, wobei ich die erste Frau bin, die ordiniert ist. Der Urgroßvater meines Vaters ist als Missionar zu den deutschsprachigen lutherischen Gläubigen nach New York State und Pennsylvania gekommen. Mein Vater war Pastor und Professor für Neues Testament am theologischen Seminar in Philadelphia und es hat mich natürlich sehr geprägt, in einer Gemeinschaft von Theologie-Fachleuten und Studierenden mit ihren Fragen und ihrem Wissensdurst aufzuwachsen.
Auch meine Mutter stammt aus einer Pastorenfamilie. Ihre Identität war von den Lebenserfahrungen in einer kleinen landwirtschaftlichen Gemeinschaft geprägt, die ihr auch ein Verständnis von Dienst vermittelt hat, das im Dienst an den Menschen vor Ort verankert ist. Meine Mutter engagierte sich darüber hinaus sehr stark für verschiedene Themen im Bereich soziale Gerechtigkeit wie Kriegsgegnerschaft, Frieden und Menschenrechte, und ihr Vorbild prägte auch mein Verständnis davon, wie ein Leben aussehen kann, das vom Glauben und von öffentlichem Zeugnis geprägt ist.
Wussten Sie schon als Kind, dass Sie in der Kirche arbeiten wollen?
Ich habe zunächst Geschichte studiert, aber mein Studium Anfang der 1980er Jahre für ein Jahr unterbrochen, um als Au-pair bei einer Pastorenfamilie in München zu leben. Dort wurde ich eingeladen, an den Feierlichkeiten zum 500. Jahrestag der Geburt Luthers in der ehemaligen DDR teilzunehmen.
Außerdem habe ich einen namibischen Bischof in die Dorfgemeinden begleitet und ihm geholfen, den Menschen zu berichten, wie sich die Menschen in Namibia unter dem Apartheid-Regime für Gerechtigkeit einsetzten, während Menschen aus Ostdeutschland ihm Ähnliches von ihrem Ringen um Gerechtigkeit mithilfe des Evangeliums und der Theologie berichteten. Falls es je einen Moment gegeben hat, in dem Gott in mein Leben eingegriffen hat, um mich wachzurütteln, waren es diese Begegnungen.
Nach dem Jahr kehrte ich nach Hause zurück und änderte meine Studienfach – internationale Beziehungen und Religion –, denn ich hatte verstanden, dass ich von einem unerschütterlichen Glauben überzeugt war, der mich an Orte führte, die Mut und ein klares Verständnis davon erforderten, wer Gott ist und was wir unserer Berufung nach tun und sein sollen.
Etwa zur selben Zeit haben Sie auch an der LWB-Vollversammlung in Budapest teilgenommen, richtig?
Ganz genau. Ich habe an der vorbereitenden Tagung junger Menschen teilgenommen und dann als Steward an der Vollversammlung selbst. Es war eine elektrisierende Zeit, Teil der weltweiten Kirchengemeinschaft zu sein! Meine Erfahrungen mit und durch den LWB haben mein Verständnis davon sehr stark geprägt, was es heißt, eine Gemeinschaft zu sein und einander in Weggemeinschaft zu begleiten, was es insbesondere für uns als Kirchen in den USA bedeutet, einander zuzuhören und voneinander zu lernen.
Wie haben Sie Ihr Wirken in der ELKA begonnen?
Zunächst habe ich im Sozialdienst der Kirche in einem Ballungsgebiet in New Jersey gearbeitet und mich den Themen bezahlbarer Wohnraum und Hunger gewidmet. Im folgenden Jahr habe ich ein Praktikum im lutherischen Büro für die weltweite Gemeinschaft in New York gemacht und habe dann meine Theologie-Ausbildung am Seminar zu machen.
Nach meiner Ordination war ich Gemeindepastorin in verschiedenen Städten und ländlichen Gebieten. In diesen verschiedenen Kontexten habe ich gesehen, dass die Probleme ganz ähnliche waren – Fragen in Bezug auf Gerechtigkeit, Menschen, die nicht gehört werden und die darum ringen, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, wobei ihnen die Kirche behilflich sein könnte. Anschließend habe ich für den Bischof in Milwaukee gearbeitet und bin schließlich nach Pennsylvania zurückgekehrt, um mich in Vollzeit der Fürsprachearbeit zu widmen. Inzwischen arbeite ich seit acht Jahren hier in unserem Büro in Washington, D.C.
Was ist Ihre Hauptaufgabe?
Wir leisten politische Fürsprachearbeit auf bundesstaatlicher Ebene, schulen Führungspersonen und laden Ortsgemeinden ein, über Themen rund um Gerechtigkeit im Sinne einer Glaubenspraxis zu berichten. Unser Netzwerk besteht hauptsächlich aus lutherischen Gläubigen, aber wir arbeiten auch mit ökumenischen und interreligiösen Partnern zusammen und vergrößern damit unseren Einfluss. Unser politisches Engagement auf Bundesebene beschäftigt sich mit den Themen Migration, Frieden und Versöhnung, Menschenrechte, Armut, Klima, Naher Osten und im aktuellen Wahljahr auch Entpolarisierung und zivilgesellschaftliches Engagement. Wir unterstützen zudem die wichtige Arbeit des lutherischen Büros für die weltweite Gemeinschaft bei den Vereinten Nationen und das Programm für die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen, und wir ermutigen Kirchen und Einzelpersonen, sozial verantwortlich zu investieren.
Wir haben 19 fest angestellte Mitarbeitende, aber auch Praktikantinnen und Praktikanten wie zum Beispiel in unseren Stipendienprogrammen für die Advocacyarbeit zum Thema Hunger, wo wir sechs junge Erwachsene ein Jahr lang mit Möglichkeiten zur Übernahme von Führungsverantwortung schulen, zurüsten und unterstützen.
Ich habe gelesen, dass Sie auch als Gärtnermeisterin wirken, wenn Sie sich nicht gerade in der Fürsprachearbeit engagieren?
Ja, mit dem Gärtnern habe ich angefangen, als ich für den Bischof in Milwaukee gearbeitet habe. Dort hatten die meisten Kirchen einen Gemeinschaftsgarten und ich habe erlebt, welches Potenzial für Veränderungen zum Besseren damit einhergeht – in Bezug auf die Gesundheit des Ökosystems und gute nahrhafte Lebensmittel, aber auch, weil sie einen Raum und Ort boten, um mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen; in ihnen trafen Menschen aus ganz unterschiedlichen Lebensumfeldern aufeinander.
Ich habe mich daher zur Gärtnermeisterin ausbilden lassen und nutze mein Wissen und Können jetzt auf einem urbanen landwirtschaftlichen Betrieb in Silver Spring am Rand von Washington, D.C. Dort lehre ich zum Beispiel Bodenkunde, integrierte Schädlingsbekämpfung, Nachhaltigkeit und vermittele Wissen über lokale Nahrungsmittelsysteme.
In der Gegend gibt es viele Neuankömmlinge; es gibt zum Beispiel eine große salvadorianische Gemeinde, aber auch Menschen aus Äthiopien, Myanmar und Venezuela. Sie alle kommen in den Garten, bringen Dinge mit, die sie in ihrer Heimat angebaut haben, suchen Kontakt und zeigen uns, wir in ihrer Heimat traditionell Gemüse angebaut wird.
Letzte Frage: Was bedeutet es für Ihre Arbeit, Teil der weltweiten Gemeinschaft von Kirchen zu sein?
Ich bin sehr stolz, Teil des LWB zu sein, und ich wünsche mir, dass mehr lutherische Gläubige in den USA erleben können, dass er einen großen Reichtum und eine große Vielfalt unseres Glaubens und unseres weltweiten Zeugnisses repräsentiert, und dass sie dies schätzen lernen. In meinem Erleben spricht Gott durch ihn zu uns und hilft uns, über die eigenen Grenzen hinauszublicken und die Einheit in Christus zu sehen, die uns zu gegenseitiger Weggemeinschaft, Solidarität und mutigem Zeugnis aufruft. Wir leben in einer Zeit der Polarisierung und ich wünsche mir, dass die Menschen verstehen, dass Unterschiede nicht unheimlich sein oder Angst machen müssen, sondern ein Geschenk Gottes sind, dass unsere Identität größer ist als das, was wir allein uns vorstellen können, und sie ausdehnt auf Gottes umfassende Vision von Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung.