Zwischen Glauben und Fake News

29 Okt. 2020
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Foto: Unsplash

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LWB-Webinar über Wahrheit und Desinformation

GENF, Schweiz (LWI) – Ein besseres Verständnis von Social Media-Tools und eine engere Zusammenarbeit zwischen Glaubensgemeinschaften und der Zivilgesellschaft sei nötig, um der Flut von Fake News und der darauf folgenden Polarisierung des öffentlichen Diskurses zu begegnen. So lautet das Fazit eines Webinars zum Thema „Truth-Telling and Resisting ‚Disinfodemic‘“ (Das Aussprechen von Wahrheiten und die Pandemie der Desinformation) am 27. Oktober.

Sivin Kit, Programmreferent für Öffentliche Theologie und Interreligiöse Beziehungen beim Lutherischen Weltbund (LWB), hatte die Moderation des Webinars übernommen. Christliche Theologinnen und Theologen sowie eine Journalistin analysierten die Herausforderungen, die die sozialen Medien derzeit für den öffentlichen Diskurs darstellen, sowie die Verantwortung und die Möglichkeiten von Glaubensgemeinschaften, dem entgegenzuwirken.

Unsinn bekommt die meisten Klicks

„Wir müssen die Logik der Algorithmen verstehen, die die digitale Welt beherrschen“, sagte Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die Social Media-Unternehmen würden Geld verdienen wollen und könnten ihre Algorithmen so einstellen, dass sie „Einnahmen generieren“. Weil „Unsinn, Hass und extreme Inhalte“ online am meisten angeschaut würden, würden Menschen beginnen, „in einer Parallelwelt zu leben“, erklärte Bedford-Strohm.

Anita L. Cloete, Professorin an der Stellenbosch University in Südafrika, beschäftigte sich mit dem Thema Entscheidungsgewalt. „Wir sind online nicht die gleichen Menschen, wie im wahren Leben“, sagte sie. „Im Internet ist nicht wichtig, was wahr ist, sondern was populär ist.“   

Dina Zaman, Journalistin und Wissenschaftlerin bei der Organisation IMAN Research in Malaysia, berichtete, wie soziale Medien genutzt würden, um die Agenda von Regierungen voranzutreiben und Ressentiments gegenüber Minderheiten zu schüren. Sie sagte, durch die COVID-19-Pandemie hätten Hass und Fake News im Internet stark zugenommen: „Wir alle waren gestresst, wir alle haben gelitten und wir waren alle online.“

Unterscheidungskompetenz entwickeln

Alle Diskussionsteilnehmenden waren sich einig, dass die derzeitigen Verhältnisse den öffentlichen Diskurs schwächen und untergraben würden, und dass die virtuelle Welt der extremen Inhalte und Fake News Auswirkungen auf das wirkliche Leben habe. Das eindrucksvollste Beispiel hierzu konnte Zaman beitragen, die als ehemalige Journalistin persönliche Einblicke in die Medienlandschaft Malaysias hat. 

Extremistischen Botschaften entgegenzuwirken sei sehr schwierig gewesen, berichtete sie, vor allem bei jungen Menschen. „Wir müssen lesen“, sagte sie, „aber Bücher sind in Malaysia sehr teuer. Deshalb informieren sich die Menschen dann bei Quellen, die kostenlos im Internet zur Verfügung stehen.“

Auch die schiere Menge an verfügbaren Informationen sei Teil des Problems, erklärte Anita Cloete aus Südafrika. „Wie können wir in einer Welt, die mit Informationen überschwemmt wird, zwischen Inhalten differenzieren und unsere Unterscheidungskompetenz schulen?“, fragte sie. Weil zunehmend weniger Menschen die traditionellen Medien nutzen würden, müssten alle jeweils für sich selbst in der Lage sein, die angeschauten Inhalte zu beurteilen. Darüber hinaus rief sie dazu auf, bei einer Generation, die nicht regelmäßig Nachrichten schaue, für die klassischen Medien zu werben.

Landesbischof Bedford-Strohm trat dafür ein, dass die Kirche Qualitätsjournalismus fördern sollte. „Wir müssen Wächterinnen und Wächter sein, die Informationen vorsortieren. Wir brauchen Journalistinnen und Journalisten, die uns verlässliche Informationen liefern“, sagte er und rief dazu auf, dass die Kirche „als Teil ihrer öffentlichen Theologie“ in Qualitätsjournalismus investieren müsse.

Weltweites Bündnis eingehen

Organisationen, die aus dem Glauben heraus handeln, und Glaubensgemeinschaften hätten eine Verantwortung, einer Polarisierung von Informationen entgegenzuwirken, und auch vielfältige Möglichkeiten dafür, waren sich die Diskussionsteilnehmenden einig. Dafür sei ein besseres Verständnis der verschiedenen Kanäle und Tools vonnöten. Eine umfangreichere Auseinandersetzung mit anderen Kulturen und Bildung, in deren Zentrum Lesen, kritisches Denken und das Erkennen von sprachlicher Manipulation stünden, waren konkrete Möglichkeiten, die die Journalistin und Wissenschaftlerin Zaman im Webinar nannte.

Bedford-Strohm forderte ein globales Konzept, um „die Digitalisierung sozial verantwortlich“ zu gestalten, und rief die Kirchen auf, „vorbildliche Akteurinnen einer globalen Zivilgesellschaft“ zu sein. Die Kirche müssen in den Ortsgemeinden verwurzelt und nah dran am tatsächlichen Leben der Menschen sein und eine gemeinsame Zielvorstellung haben, und sei aufgerufen, gemeinsam mit anderen Religionen und zivilgesellschaftlichen Organisationen „Bündnisse zum Wohl der ganzen Welt“ zu schließen. Das Ziel müsse sein, der Menschenwürde und den Menschenrechten als gemeinsame Werte wieder einen zentralen Stellenwert zu geben.

Wahrheit, Vertrauen und Menschlichkeit

Gilbert Filter, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Südlichen Afrika (Kapkirche) erinnerte die Teilnehmenden in seinen abschließenden Worten an die Verantwortung der Kirche, „die Wahrheit auszusprechen, die zum Leben befähigt“, und dem Vertrauen der Menschen mit Verantwortungsbewusstsein zu begegnen. 

„Der Grund, warum die Menschen dem Internet und den Fake News glauben, ist, dass sie sich vom Staat allein gelassen fühlen, und genau diesem Problem müssen wir uns stellen“, erklärte Zaman mit Blick auf den muslimischen Kontext in Malaysia. „Wir müssen den Menschen helfen, all den Wahnsinn, der in der Welt passiert, zu verstehen. Derzeit ist viel Heilung notwendig.“

 

LWF/OCS