10 Jahre LWB-Grundsatzpapier zur Gendergerechtigkeit

08 Dez. 2023

LWB-Generalsekretärin Anne Burghardt spricht über die theologischen Grundlagen des Grundsatzpapiers der Gemeinschaft zur Gendergerechtigkeit und über seine Auswirkungen auf die Mitgliedskirchen weltweit. 

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Eine Teilnehmerin liest das Grundsatzpapier zur Gendergerechtigkeit

Eine Teilnehmerin liest das Grundsatzpapier zur Gendergerechtigkeit während der vorbereitenden Frauenkonferenz in Breslau. Foto: LWB/A. Hillert 

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ war der Titel eines Webinars, das sich mit den erreichten Fortschritten und den noch bestehenden Problemen befasst hat. 

(LWI) – Die theologischen und biblischen Grundlagen des Grundsatzpapiers des Lutherischen Weltbundes (LWB) zur Gendergerechtigkeit, das vor einem Jahrzehnt in Genf vorgestellt wurde, waren das Thema eines Webinars am 7. Dezember, das sich mit den Auswirkungen dieses Papiers auf die Mitgliedskirchen sowie mit den zahlreichen Hindernissen befasst hat, die es noch bis zur vollständigen Umsetzung zu überwinden gilt. 

Die Online-Veranstaltung mit dem Titel „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ zog eine positive Bilanz der Fortschritte, die bei der Förderung des Dienstes von Frauen und ihrer Führungsfunktionen in der Kirche bisher erzielt wurden, und bekräftigte die Verpflichtung des LWB, sich für gerechte Beziehungen in einer Zeit einzusetzen, da Frauenrechte überall auf der Welt wieder eingeschränkt werden sollen. 

LWB-Generalsekretärin Anne Burghardt sprach über die „gleiche Würde und die Gleichwertigkeit“ aller Menschen, wie sie in der Schöpfungsgeschichte beschrieben wird, um uns „gegenseitig zu unterstützen und dass einer des anderen Last trage.“ Sie bestätigte nachdrücklich, dass „keine Kultur, Tradition oder Theologie dazu benutzt werden darf, andere Menschen zu versklaven. Wir legen Zeugnis für unseren Glauben ab, dass Christus uns dazu befreit hat, unsere Mitmenschen zu lieben, willkommen zu heißen und zu umarmen!“ 

Burghardt erklärte, dass Jesus durch seine Menschwerdung allen Menschen Heil gebracht habe und dass „Christus ebenfalls alle Menschen aufruft, unabhängig von ihrem Geschlecht das Evangelium zu verkünden.“ Die tief verwurzelten theologischen und biblischen Grundlagen des Grundsatzpapiers zur Gendergerechtigkeit, so sagte sie, bedeuteten, dass „gerechtfertigt zu sein durch Gottes Gnade die Befreiung von patriarchalischen Traditionen und Werten mit sich bringt und die Menschen dadurch die Befähigung erhalten, Widerstand zu leisten und Veränderungen zu bewirken.“ Theologische Vorstellungen, „die die Unterwerfung der Frauen fordern und ihre Fähigkeiten einschränken, ihre Gaben dafür einzusetzen, den Leib Christi aufzubauen, müssen in Frage gestellt werden“, forderte sie.  

Beispiele aus Brasilien, Palästina und Hongkong 

Zwei Verfechterinnen und ein Befürworter der Gendergerechtigkeit aus unterschiedlichen Weltregionen haben darüber berichtet, wie ihre Kirchen das LWB-Grundsatzpapier während der vergangenen zehn Jahre verwendet haben, um die dort beschriebenen Prinzipien und Werte innerhalb ihrer eigenen lokalen Kontexte umzusetzen. Sabrina Senger, Koordinatorin des Gender- und Religionsprogramms an der Faculdades EST in Brasilien, berichtet, wie der LWB ihre Institution inspiriert habe, ihre eigene Politik mit sieben strategischen Grundsätzen für Gendergerechtigkeit zu entwickeln 

Dazu gehören die Verwendung einer geschlechterinklusiven Sprache, die Anwendung dieser Grundsätze in allen Bereichen auch jenseits des Gender- und Religionsprogramms, die Überwindung männlicher Dominanz in Leitungsfunktionen und in der Wissensproduktion, Herstellung von Geschlechterparität, Überwindung von Gewalt, Aufklärung über Gendergerechtigkeit sowie als Schwerpunkt die Intersektionalität der Genderfrage mit anderen Themen wie ethnischer Hintergrund, Klasse, Ethnizität und Behinderung.  

Shadin Nassar, Programmkoordinatorin für Gendergerechtigkeit bei der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELKJHL), diskutierte über die „komplexen politischen und sozio-ökonomischen Herausforderungen, die signifikante Auswirkungen auf das Leben der Menschen in Palästina haben.“ Die anhaltende israelische Besetzung verstärkt in Verbindung „mit tief verwurzelten traditionellen Geschlechternormen und patriarchalen Geschlechterrollen“ bestehende Ungleichheiten und „intensiviert die Verletzlichkeit von Frauen und Mädchen“, sagte sie. Das könne dazu führen, dass Familien eine engere Schutzfunktion wahrnehmen und darauf verzichteten, Mädchen auf weiterführende Schulen oder Universitäten zu schicken und ihren Zugang zu Bildung, Arbeit und anderen essenziellen Dienstleistungen einschränken, so stellte sie fest. 

Ungleichheiten beseitigen und die Stimmen der Frauen hörbar machen 

Nassar berichtete ebenfalls über entscheidende Schritte ihrer Kirche, die von der Politik des LWB inspiriert worden seien, „um bisherige Ungleichheitsmuster zu bekämpfen, die Stimmen der Frauen und Mädchen zu verstärken und die Führungsfunktionen von Frauen in der Kirche und in der Gesellschaft zu fördern.“ Dazu gehören eine Reform des Personenstands- und Familienrechts zum Schutz von Frauenrechten, die Bestellung weiblicher Richter für Kirchengerichte, die Besetzung wichtiger Entscheidungsgremien mit Frauen, die Ordination erster Pfarrerinnen in Palästina und Mitgliedschaft in nationalen Planungsausschüssen zur Beendigung der geschlechtsspezifischen Ungleichheit. Sie fügte hinzu, dass sich die ELKJHL dazu verpflichtet habe, jungen Erwachsenen in der Kirche mehr Handlungsmacht zu geben und die Beteiligung von Männern und Jungen an Diskussionen über Gendergerechtigkeit zu fördern. 

Leon Chau, Generalsekretär der Chinesischen Rheinischen Kirche, Hongkong-Synode, berichtete über den Weg seiner Kirche zur Frauenordination und zur Übertragung von Führungsfunktionen an Frauen im Laufe der letzten vier Jahrzehnte. Er erklärte, wie traditionelle Einstellungen und falsche Dogmen hinsichtlich der Rolle der Frau in der Kirche „mit Hilfe der Auslegung der Bibel, der Theologie, der Logik und des gesunden Menschenverstandes überwunden werden müssen.“ Er hob besonders hervor, wie „die Angst vor Veränderungen und vor dem Teilen von Macht den Prozess in Richtung Gendergerechtigkeit verlangsamen kann.“ 

Chau sprach ebenfalls darüber, wie wichtig „Chancengleichheit bei der allgemeinen und beruflichen Bildung ist“, und stellte fest, dass einige Gegner der Frauenordination behaupteten, es stünden keine geeigneten Kandidatinnen für den Dienst zur Verfügung. Chau wies darauf hin, dass Frauen in seiner Kirche nach wie vor nicht für eine Laienordination als Älteste oder Presbyter gefördert werden. Er forderte Männer aber nachdrücklich auf, konsequent mit Frauen zusammenzuarbeiten und die Hindernisse zu beseitigen, die der Chancengleichheit für alle immer noch im Wege stünden. 

Wie geht es weiter? 

Mary Streufert, Leiterin des Amtes für Gendergerechtigkeit und Frauen-Empowerment der Lutherisch-Evangelischen Kirche in Amerika, sprach über die weitere Vorgehensweise und berichtete über ihre Erfahrungen in der ursprünglichen Beratungsgruppe, die die erste Fassung des Grundsatzpapiers zur Gendergerechtigkeit vor mehr als zehn Jahren verfasst hat. Sie erinnerte sich daran, wie die fünf Mitglieder der Gruppe manchmal „absolut nicht einer Meinung waren oder sich einfach gegenseitig nicht verstanden haben. Zu anderen Zeitpunkten gab es sehr schnell einen Konsens – so ist das eben in der Kirche.“ 

Allerdings, so stellte sie klar, „haben wir uns gegenseitig zutiefst respektiert, und es lagen uns auch die Anliegen der Menschen in den LWB-Mitgliedskirchen am Herzen.“ Die Diskussionen, so erinnerte sie sich, hatten die gemeinsame Grundlage, dass „Gott durch die Sakramente der Taufe und der Heiligen Kommunion wirkt“ und es nicht um Einförmigkeit gehe, sondern darum, befähigt zu werden, unsere Nächsten zu lieben „nicht nur dann, wenn Beziehungen oder Prozesse einfach sind, sondern auch dann, wenn wir nicht einer Meinung sind und wenn wir einander nicht einmal verstehen.“ 

Wichtige Erfordernisse für eine gemeinsame Zukunft 

„Während des vergangenen Jahrzehnts“, so sagte sie weiter, „haben das LWB-Gemeinschaftsbüro und die Mitgliedskirchen daran gearbeitet, sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen, sich für wirkungsvolle Gesetze engagiert und auch mit Hilfe glaubensbasierter Partnerschaften Aufklärungsarbeit in Gemeinden und in Schulen geleistet. Sie sprach darüber, dass eine vereinfachte Version dieser Grundsatzpolitik „und Dialogprozesse zur gegenseitigen Unterstützung in anderen Regionen“ und in unterschiedlichen Kirchenkontexten erforderlich seien. 

Abschließend wies Streufert auf „vier weitere grundsätzliche Erfordernisse für unsere gemeinsame Zukunft hin“, wie sie von Frauen auf den jüngsten vorbereitenden Konferenzen beschrieben wurden. Dies sind „Entwicklung, Bildung und Verkündigung des Evangeliums durch feministische und womanistische lutherische Theologien“, Werkzeuge für den Kampf gegen Fundamentalismus und irreführende Theologien, gemeinsames Zuhören und Handeln einschließlich gemeinsamer Reflexionen über Männlichkeit sowie Liturgie- und Gottesdienstmaterial aus feministischer Wissenschaft und „anderen befreienden lutherischen Theologien.“ 

LWB/P. Hitchen