LWB-Ratstagung 2013: Eröffnungsansprache von LWB-Präsident Younan
(LWI) – Der Präsident des Lutherischen Weltbundes (LWB), Bischof Dr. Munib A. Younan hat die Mitgliedskirchen der weltweiten lutherischen Gemeinschaft daran erinnert, dass Gott sie zu Gleichberechtigten in der Nachfolge berufen hat und sie einander in ihren jeweiligen Kontexten begleiten und der Welt dienen sollen.
In seiner Eröffnungsansprache der diesjährigen Tagung des LWB-Rates sagte Younan an die VertreterInnen der LWB-Mitgliedskirchen gerichtet: „Ich bin überzeugt, dass wir uns das Konzept der Nachfolge wieder zu eigen machen müssen, wenn wir einander in unserer Teilhabe an Gottes erlösender und versöhnender Mission begleiten wollen.“
Der LWB-Rat tagt vom 13. bis 18. Juni 2013 im Ökumenischen Zentrum in Genf (Schweiz) unter dem Thema „Zur Nachfolge in der heutigen Welt berufen“. Unter den 167 Teilnehmenden sind die Mitglieder und BeraterInnen des Rates, geladene Gäste und Mitarbeitende des LWB.
In seiner Rede sprach Younan über das biblische und lutherische Verständnis von Nachfolge und darüber, wie der Aufruf, Christus zu folgen (Matthäus 28,19) im Kontext der wirtschaftlichen Ungleichheiten, der unterschiedlichen Auslegungen der Bibel und der Lebensumstände vieler Menschen, in denen Religionsfreiheit nicht gegeben ist und in denen die Kirchen dennoch bemüht sind, Zeugnis abzulegen, praktisch gelebt wird.
Zu dem Thema, wer Jünger oder Jüngerin Christi sein kann, betonte Younan, der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELKJHL) ist, dass die Gläubigkeit eines Menschen nicht von einzelnen Taten oder Entscheidungen abhängig ist, sondern von der Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft der Gläubigen. Er forderte die Mitgliedskirchen der weltweiten lutherischen Gemeinschaft auf, „jeden Versuch zu behaupten, dass eine Person oder Gruppe von Menschen bessere Jüngerinnen und Jünger Christi sind, als andere, abzulehnen. [...] Mission und Diakonie sind eine Gemeinschaftsaufgabe.“ Die lutherische Auffassung, dass ChristInnen immer „Sünder und Gerechte zugleich“ (simul iustus et peccator) sind, betone vor Gott alle gleichermassen, so Younan.
Das Engagement in der Nachfolge Christi kann nicht bemessen werden an der Fähigkeit, in materieller Hinsicht auf die Bedürfnisse der Menschen in aller Welt reagieren zu können, sagte Younen. In ihren Beziehungen zueinander müssten die Kirchen sichergehen, dass die Ressourcen der lutherischen Gemeinschaft als Ganzes auf eine Art und Weise genutzt werden, dass sie das Gedeihen der menschlichen Gemeinschaften nachhaltig fördern. Wohlstand dürfe niemals als Zeichen für treue Nachfolge verherrlicht werden.
Die Vorbereitungen auf das 500-jährige Reformationsjubiläum 2017 seien eine gute Möglichkeit, sich auf die grundlegenden lutherischen Verpflichtungen zu besinnen – als Jüngerinnen und Jünger Christi im Geiste der Reformation zu leben, einschliesslich der ökumenischen Verpflichtung allen christlichen Glaubensfamilien gegenüber. „Die lutherische Erkenntnis, dass wir eine ecclesia semper reformanda, eine Kirche sind, die beständig Reformation erfährt, ist ein Zeichen unserer Demut, die uns zur Nachfolge aufruft“, erklärte er.
Religionsfreiheit, Extremismus und Verfolgung
Zum Thema Nachfolge und Religionsfreiheit erklärte der Bischof der ELKJHL, dass die Beziehung zwischen religiösen und zivilgesellschaftlichen Autoritäten für viele LWB-Mitgliedskirchen sowohl in Gesellschaften, in denen ChristInnen die Mehrheit, wie auch in Gesellschaften, in denen sie eine Minderheit ausmachten, von grosser Bedeutung seien. Die christliche Nachfolge finde in der Öffentlichkeit statt und wir seien aufgerufen, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten, mit den gleichen Rechten, aber auch der gleichen Verantwortung, erläuterte Younan.
Und dennoch müsse die lutherische Gemeinschaft aufgrund ihrer Verpflichtung zur Nachfolge über ihre Reaktion mit Blick auf das Thema Religionsfreiheit, die Verfolgung von Christinnen und Christen, die Frage der Mission und das Engagement bei den Regierungen der Welt nachdenken.
In seinen Ausführungen zur Situation der christlichen Minderheiten in der arabischen und muslimischen Welt erklärte der palästinensische Bischof, dass das Thema der geschützten autonomen Minderheiten kein Thema sei, das nur Christinnen und Christen angehe, sondern zum Beispiel auch für die Musliminnen und Muslime gelte, die in Europa und anderen Teilen der Welt lebten. Das Engagement der LutheranerInnen, sich nicht nur für die Freiheit der Religionsausübung, sondern auch die Glaubensfreiheit einzusetzen, umfasse neben dem Engagement gegen religiösen Extremismus auch das Engagement gegen extremen Säkularismus. „Wir müssen untersuchen, was Religionsfreiheit für uns und für andere bedeutet“, so der LWB-Präsident.
Younan forderte den LWB auf, sich für Kirchen, die aufgrund neuer Bewegungen in muslimischen Gemeinschaften in Ländern wie Ägypten, Bangladesch, Indonesien, Iran, Nigeria und Pakistan leiden, zu engagieren und Solidarität mit ihnen zu zeigen. Er hob den Nahen Osten als eine Region hervor, in der das Christentum in seiner Existenz bedroht sei. Dies gelte insbesondere für Syrien. Er forderte die LWB-Mitgliedskirchen auf, sich an die Seite der Kirchen der Region zu stellen und sie auf ihrem Weg zu begleiten.
Das Thema Nachfolge stehe in direkter Verbindung mit dem Thema Mission, sagte der LWB-Präsident. Kontextbezogene Nachfolge fordere von den Kirchen eine Rückkehr zu kontextbezogener Mission in ihrer Antwort auf den Ruf des Evangeliums, „den Extremismus in unserer Welt in Mässigung“ zu verwandeln.
Schutz verbessern
Hinsichtlich der Zusammenarbeit des LWB mit zivilen Regierungen beim Schutz und der Wahrung der Rechte von schutzbedürftigen Personen, empfahl Younan dem Rat das Dokument „Welcoming the Stranger: Affirmations for Faith Leaders“ (Den Fremden willkommen heissen: Bekräftigungen für religiöse Führungspersonen), das am 12. Juni vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) und religiösen Nichregierungsorganisationen, darunter der LWB, offiziell angenommen wurde. Erstmalig in der Geschichte der weltweiten humanitären Hilfe legt die Erklärung eine Reihe von Grundsätzen fest, die religiösen Führungspersonen Leitfaden sein sollen bei der Verbesserung des Schutzes von weltweit mehr als 40 Millionen Flüchtlingen, Binnenvertriebenen und Staatenlosen.
Zum Abschluss seiner Ansprache erinnerte Younen die weltweite lutherische Gemeinschaft daran, dass der Aufruf zur Nachfolge Christi kein einfacher Weg sei, sondern ein Weg, der zum Kreuz führe. „Die Jüngerinnen und Jünger Christi sind kein abgeschotteter Club, sie wurden entsandt in die Welt von dem einen, der sich entschied, in diese Welt zu kommen“, schloss Younan.