Arbeiten in Konfliktregionen

17 Aug. 2018
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Jacob Longar Aleer. Foto: LWB/S. Gallay

Jacob Longar Aleer. Foto: LWB/S. Gallay

Interview mit Jacob Aleer, LWB-Sicherheitsbeauftragter im Südsudan

Bor, Südsudan/Genf (LWI) – Für den Lutherischen Weltbund (LWB) hat sich der Südsudan im vergangenen Jahr als das Land mit der schwierigsten Sicherheitslage erwiesen. Weil der Bürgerkrieg kein Ende findet, sind insbesondere die lokalen Mitarbeitenden vor Ort zunehmend gefährdet. Der LWB hat örtliche Sicherheitsexperten engagiert und steht in engem Kontakt zu den Behörden und Gemeinschaften vor Ort, um seine humanitären Helferinnen und Helfer bestmöglich zu schützen.

Einer dieser Sicherheitsexperten ist Jacob Longar Aleer, der Sicherheitsbeauftragte für den Bundesstaat Jonglei (Südsudan). In einem Interview mit der Lutherischen Welt-Information (LWI) spricht er über die Herausforderungen, vor denen das Land im Bereich Sicherheit steht, über die Akzeptanz der Mitarbeitenden vor Ort und den Stellenwert der Arbeit des LWB.

Was macht die Arbeit im Südsudan so schwierig?

Aleer: Der Südsudan leidet unter den Folgen von 21 Jahren Bürgerkrieg. Viele Menschen sind im Sudanesischen Bürgerkrieg geflohen und kehren nun in die Heimat zurück, und sie gehören verschiedenen ethnischen Gesellschaftsgruppen an. Diese Menschen zusammenzubringen ist mit Blick auf die Sicherheit immer eine Herausforderung. Die Situation im Land insgesamt ist nicht stabil. Dazu kommt, dass wir mit stark gefährdeten Personengruppen arbeiten, die in sehr entlegenen Gebieten leben. Und das sind auch die Gebiete, in die sich die bewaffneten Gruppen zurückziehen: Sie leben im Busch.

Die Unsicherheit wird ausgelöst durch die verschiedenen Gruppen, die sich gegenseitig bekämpfen, aber auch durch die fehlende Rechtsstaatlichkeit im Land. Wir arbeiten in Gebieten, in denen es keinerlei Kommunikationsnetze gibt, oder müssen mindestens durch diese Gebiete hindurch. Es wird eingeschüchtert und es gibt Festnahmen. Viele unserer Mitarbeitenden wurden schon auf der Strasse angehalten und befragt. Und das sind Menschen, die einfach nur helfen wollen. Viele unserer Mitarbeitenden vor Ort stehen unter enormem Stress. Wenn man jeden Tag in einem gefährlichen Umfeld arbeitet, ist man wie der Frosch im warmen Wasser: die Wahrnehmung ändert sich. Man merkt vielleicht nicht mehr, wenn eine Situation zu gefährlich wird und riskiert dann, verletzt oder getötet zu werden. Es ist unsere Pflicht, unsere Mitarbeitenden in diesen Situationen besonders zu beschützen.

Wie kann man in einem solchen Kontext für Sicherheit sorgen?

Beim Thema Sicherheit geht es vor allem um Vertrauen. Wir müssen sicherstellen, dass wir einen guten Kontakt zu den Einheimischen pflegen, damit sie uns auf dem Laufenden halten können, wie sich die Situation in der Region entwickelt. Lokale Führungskräfte und Kirchenleitende, Friedenskommissionen, Freiwillige in den Gemeinschaften – sie alle sind unsere Augen und Ohren, wenn es um unsere Sicherheit geht. Es ist wichtig, dass wir den lokalen Führungspersonen und den Behörden immer genau sagen, wer wir sind und was wir in der Region tun.

Eine der größten Herausforderungen ist, dass die Milizen, die sich hier bekämpfen, nicht sehr diszipliniert sind. Ein regulärer Soldat, der weit oben in der Hierarchie steht, wird sich an Anweisungen und Befehle halten, aber die Kämpfer im Busch sind anders. Wenn wir mit Stammes- und Milizenführern in bestimmten Gebieten sprechen, verstehen diese, dass wir hier sind, um humanitäre Hilfe zu leisten. Aber sie erlauben uns dann trotzdem nicht, in diese Gebiete zu gehen, weil sie unsere Sicherheit einfach nicht gewährleisten können. Deshalb schicken wir immer Mitarbeitende, die aus genau den Regionen kommen, in denen wir helfen wollen. Das gilt auch für unsere internationalen Mitarbeitenden aus den Nachbarländern, denn einige dieser Länder werden als am Konflikt beteiligt angesehen. Ein Kollege kann an einem Ort in Sicherheit sein, aber nur 20 km weiter kann das schon ganz anders aussehen.

Hilft es, dass der LWB schon seit Langem im Land tätig ist?

Nach einiger Zeit weiß man, zu welcher Zeit es am gefährlichsten ist. Die Milizen greifen ja nicht einfach so für alle sichtbar an, sondern sie treiben dich in die Enge. Daher ist das Risiko in der Trockenzeit, wenn die Straßen befahrbar sind und der Busch niedergebrannt ist und man weit gucken kann, geringer. In der Regenzeit sind die Sicherheitsrisiken höher und wir passen unsere Arbeitsweise an. Wenn man Menschen sieht, die Hilfe brauchen, will man alles tun, was irgend möglich ist.

Die Tatsache, dass wir schon lange im Land präsent sind, ist natürlich ein Vorteil. Im Bundesstaat Jonglei sind wir schon seit 2004 tätig und alle Menschen in der Region kennen uns. Der LWB hat Schulen und Deiche gegen Überflutungen gebaut, wir haben Hilfsgüter verteilt und friedensfördernde Maßnahmen ergriffen. Das ist wie ein unsichtbarer Schutzschild für uns, der es uns ermöglicht, auch weiterhin in von allen Konfliktparteien kontrollierten Gebieten unsere Arbeit zu machen, auch nachdem die Kämpfe wieder aufgeflammt sind.

Die Menschen wissen, dass wir im LWB ein team mit Menschen ganz unterschiedlicher ethnischer Herkunft sind. Einige ethnische Gruppen gelten in der Öffentlichkeit als Anhänger der Opposition, andere als Anhänger der Regierung, aber die Menschen sehen uns nicht als Angehörige dieser verschiedenen ethnischen Gruppen. Sie wissen, dass wir Lutheranerinnen und Lutheraner sind und dass wir hier sind, um den Notleidenden zu helfen. Wir sind alle hier, um zu dienen. Wir treten ein für die Rechte der Armen und Unterdrückten, damit sie wieder selbst auf die Beine kommen und eigene Entscheidungen für ihr Leben treffen können.

Gibt es noch andere Möglichkeiten, die Sicherheit der Mitarbeitenden zu verbessern?

Unser Arbeitsansatz und das Ansehen unserer Mitarbeiter vor Ort, die in den Dörfern vor Ort leben und arbeiten. Ihr Ansehen und ihre Integrität färben auf uns alle ab. Wenn jemand in einer Gemeinschaft lebt und zum Beispiel etwas mit der Tochter oder der Frau von jemandem anfängt, kann er damit die ganze Organisation einem Risiko aussetzen. Aber unsere Mitarbeitenden wissen das und handeln entsprechend. Und das nicht nur, weil es dem Verhaltenskodex entspricht, sondern weil es ihre eigenen Vorstellungen von Moral und Integrität sind, und dadurch ist sichergestellt, dass wir akzeptiert werden.

Sie selbst haben eine militärische Vergangenheit –Sie wurden als Kindersoldat rekrutiert. Welchen Einfluss hat das auf Ihre Arbeit heute?

Ich wollte kein Soldat sein. Meine Eltern haben mich nach Äthiopien geschickt als ich 10 Jahre alt war, weil ihnen gesagt worden war, dass wir dort zur Schule gehen könnten. Als wir dort ankamen, stellte sich aber heraus, dass es ein militärisches Trainingscamp war. Uns wurde gesagt, wir würden für unser Land kämpfen. Mit 13 Jahren wurde ich in meinen ersten Kampfeinsatz geschickt.

Mit der Unterzeichnung des Friedensabkommens 2005 änderte sich dann alles. Das war der Punkt wo ich gesagt habe: Jetzt reicht es. Wir haben für ein unabhängiges Land gekämpft, und das haben wir jetzt. Mit Gottes Hilfe wollte ich meine Schulausbildung fortsetzen und mit den Menschen hier vor Ort arbeiten. Ich habe ein Stipendium erhalten und nachdem ich meinen Bachelorabschluss gemacht hatte, habe ich in einem Krankenhaus gearbeitet bis ich 2013 beim LWB angefangen habe. Der LWB engagiert sich im Kampf gegen die Rekrutierung von Kindersoldaten und setzt sich für Bildung ein.

Was sagen Sie zu Eltern und den Stammesführern, um sie davon abzuhalten, ihre Kinder in militärische Gruppen eintreten zu lassen?

Ich sage ihnen, wie sinnlos dieser Konflikt ist. Es ist ein Kampf zwischen mir und dir – ein Krieg zwischen Nachbarn. Und das ergibt keinen Sinn. Ich frage sie: Warum schicken Sie Ihren Jungen los, um ein Mitglied Ihres eigenen Stammes zu töten? Das ist nicht logisch.

Kinder müssen in die Schule gehen – Mädchen und Jungen. Wir sprechen mit den traditionellen Oberhäuptern, um ihnen zu erklären, dass Bildung der Schlüssel zum Leben ist. Sie können jetzt schon sehen, dass die Häuser von gebildeten Menschen anders aussehen. Ich sage Ihnen: Die Kinder, die Sie heute zur Schule schicken, könnten in zehn Jahren Ihrer Regierung angehören. Solange ich für den LWB arbeite, werde ich mich dafür einsetzen, dass jedes Mädchen und jeder Junge zur Schule gehen kann und eine Ausbildung erhält.

 

 

 

LWF/OCS