Hilfen zur Existenzsicherung während COVID-19 nötig
GENF, Schweiz (LWI) – Die Wahl, sich mit einem potenziell tödlichen Virus anzustecken oder nichts zu essen zu haben: Die COVID-19-Pandemie bedeutet, dass viele vom Lutherischen Weltbund (LWB) betreute Gemeinschaften schwere Entscheidungen treffen müssen.
Während Regierungen weltweit versuchen, die weitere Ausbreitung von Infektionen durch Lockdowns und das Aufenthaltsverbot in öffentlichen Räumen zu stoppen, äußern sich Hilfskräfte zunehmend besorgt über die so genannten Sekundäreffekte des Virus: Die Auswirkungen der Präventionsmaßnahmen können für zahlreiche Menschen schwerwiegender sein als die gesundheitliche Bedrohung durch das Virus selbst. Der LWB und seine Partner haben den überwiegenden Teil ihrer Livelihood-Projekte auf die aktuelle Entwicklung umgestellt und unterstützen in ihren Existenzgrundlagen besonders gefährdete Gemeinschaften.
Der regionale LWB-Programmkoordinator und Livelihood-Berater Pablo Lo Moro befürchtet, dass die Pandemie die Ergebnisse jahrelanger Entwicklungshilfe zunichtemachen könnte, die die Menschen in ihrem Kampf gegen die Armut unterstützt hat. „COVID-19 bedroht Existenzen und gefährdet eine Dekade wirtschaftlichen Fortschritts, der besonders den am stärksten von Armut bedrohten Bevölkerungsgruppen genutzt hat“, sagt er. „Viele der Menschen, die wir betreuen, sind einfache Arbeiter und Arbeiterinnen. Soziale Abstandsregeln und eine Wirtschaftstätigkeit, die zum Erliegen gekommen ist, bedeutet für viele dieser Menschen der Verlust ihrer Existenzgrundlage. Sie haben keinerlei Ersparnisse, auf die sie zurückgreifen können.“
Grundversorgung sichern
In Lateinamerika und der Karibik haben rigorose Lockdowns dazu geführt, dass Millionen von Menschen ihre Arbeit verloren haben. Die gesamte Region ist außerdem Brennpunkt sozialer Unruhen und wird immer wieder von Naturkatastrophen heimgesucht. In Haiti hätten nach Aussage von Michael French, dem regionalen LWB-Programmkoordinator für Lateinamerika und die Karibik, eine unfähige Regierung, bürgerliche Unruhen und stark veränderliche Wechselkurse das Problem verschärft.
Seit Mai erlebt Mittelamerika eine besonders verheerende Hurrikansaison. Der LWB unterstützt durch seine lokalen Mitgliedskirchen die Menschen mit Nahrungsmittelhilfen und sonstigen Hilfsgütern.
Auf der anderen Seite des Globus müssen die Gemeinschaften, mit denen der LWB in Nepal zusammenarbeitet, ähnliche Herausforderungen bewältigen. Arbeitsmigrierende, die in Indien arbeiten, Lastenträger und Verladearbeiter haben ihre Jobs verloren und sind in ihre Heimatdörfer zurückgekehrt – und haben das Virus sogar manchmal dort eingeschleppt. Die Landwirte und Landwirtinnen können ihre Produkte nicht auf den Märkten verkaufen.
In Burundi, Kamerun, Angola und Ostafrika führen strikte Grenzkontrollen dazu, dass der Handel nur noch schleppend vonstattengeht und wichtige Importe von Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Produkten oder Baumaterial für Cash-for-Work-Programme nicht zügig abgefertigt werden können. Die Gemeinschaften haben nur noch eingeschränkten Zugang zu ihren Märkten und müssen steigende Preise für Güter des täglichen Bedarfs verkraften. In all diesen Ländern können die Regierungen das Überleben ihrer Bevölkerung oft nicht sicherstellen.
Tiefgreifende Rückschritte
Maßnahmen zur Existenzsicherung sollen Menschen helfen, sich selbst zu versorgen. Abgesehen von Unterweisungen, wie man werthaltige Produkte oder Dienstleistungen herstellt und anbietet, geht es auch darum, auf lokalen Märkten Abnahmemöglichkeiten zu erschließen. Die Zwangspause der Wirtschaftstätigkeit betrifft Menschen in schwierigen Lebenssituationen und kann den über Jahre erzielten Erfolg beim Aufbau eines Geschäfts auf einen Schlag zunichtemachen.
„Dass es keine Möglichkeit mehr gibt, Gemüse und Fleisch auf den Märkten zu verkaufen, hat bei vielen landwirtschaftlichen Betrieben dazu geführt, dass sie nicht mehr motiviert sind, Gemüse anzubauen und Nutzvieh zu halten oder kleine Läden zu betreiben, die das Programm früher unterstützt hat und die eine Einnahmequelle waren“, so Yagya Gautam, LWB-Projektmanager in Nepal. „Die für das Jahr geplanten Maßnahmen zur beruflichen Bildung und praxisbezogene Schulungen sind ebenfalls für fünf Monate ausgesetzt worden und laufen jetzt erst wieder an. Diejenigen, die mit Hilfe des Programms gerade dabei waren, eine eigene Existenz aufzubauen, sind jetzt erneut dem Risiko ausgesetzt, zu verarmen.“
Das LWB-Team in Nepal setzt die Livelihood-Programme fort und arbeitet jetzt, wo dies möglich ist, mit Fernlernen und mobilbasierten Schulungsangeboten. Da der größte Teil der 9.200 vor Ort eingesetzten LWB-Arbeitskräfte gemeinschaftsnah eingesetzt wird, wirken sich Reisebeschränkungen nicht so stark aus, und einige Tätigkeiten können auch weiterhin unter Beachtung der sozialen Abstandsregeln fortgesetzt werden.
„Die Pandemie hat die Widerstandskraft der Flüchtlinge und der ohnehin instabilen Aufnahmegemeinschaften überstrapaziert“, sagt Philbert Habonimana, LWB-Länderrepräsentant in Kamerun. „Ihre Ersparnisse werden immer weniger im Kampf gegen die Auswirkungen der Pandemie, gleichzeitig verdienen sie kaum noch etwas aufgrund des eingeschränkten Zugangs zu den Märkten.“
Überall haben die Mitarbeitenden des LWB schädliche Überlebensstrategien beobachtet. „Die Menschen in den Städten sehen sich gezwungen, in ihre Dörfer zurückzukehren und tragen dort zur weiteren Verbreitung des Virus bei“, so Lo Moro. „Unsere Teams müssen immer öfter feststellen, dass Menschen Mahlzeiten ausfallen lassen und weniger vollwertige Nahrung zu sich nehmen.“ In Lateinamerika verlassen immer mehr Studierende die Universitäten und geben ihr Studium für schlecht bezahlte Jobs auf, damit sie das Geld für ihre alltäglichen Lebensbedürfnisse verdienen können.
Soforthilfe anstatt langfristiger Perspektiven
In vielen Orten musste die eigentlich langfristig geplante Entwicklungshilfe zunächst zurückgestellt werden, damit kurzfristig Soforthilfe geleistet werden konnte. Der LWB hat Cash-for-Work-Programme ins Leben gerufen und die Menschen, die ihre Einkommensquelle verloren haben, mit finanziellen Zuschüssen unterstützt.
Im Irak hat der LWB Lebensmittelpakete an besonders hilfsbedürftige Vertriebenengemeinschaften verteilt. In Nepal hat der LWB Lebensmittelhilfe geleistet und mit der örtlichen Bevölkerung zusammengearbeitet, um über COVID-19 aufzuklären oder um kleinere Bauprojekte zu unterstützen. In Angola und im Rahmen zahlreicher anderer Programme hat der LWB in Schulen und auf öffentlichen Plätzen zusätzliche Handwaschstellen eingerichtet. In Lateinamerika hat der LWB ebenfalls Lebensmittelpakete für die in Not geratene Bevölkerung ausgegeben.
„Die Menschen müssen weiterhin in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Wir haben einen großen Teil unserer Programmarbeit umgestellt und helfen jetzt Familien mit Unterstützung unserer Partner und Geldgeber, ihre Lebensgrundlagen zu sichern und die Krise zu überleben“, sagt Michael French, regionaler LWB-Programmkoordinator für Lateinamerika.
Neben den Lebensmittelhilfen verteilt der LWB auch persönliche Schutzausrüstungen, Seife und Handdesinfizierer. In vielen Gemeinschaften hat der LWB auch die Aufgabe übernommen, regierungsseitige Informationen durch Aufklärungskampagnen über die Gefahren von COVID-19 und wirkungsvolle persönliche Schutzmaßnahmen zu ergänzen.
Startschuss für lokale Märkte
Trotz aller Schwierigkeiten, mit denen die vom LWB betreuten Gemeinschaften konfrontiert werden, zeichnen sie sich bei der Suche nach Lösungen durch großen Einfallsreichtum aus. In den Flüchtlingslagern Zaatari und Kakuma haben die Nähereien die Herstellung von Bekleidung zunächst eingestellt und produzieren stattdessen Alltagsmasken, die danach an die lokale Bevölkerung verkauft oder verschenkt werden. Auf diese Weise erwirtschaften die Frauen auch in diesen schwierigen Zeiten ein sicheres Einkommen.
Finanzmittel für berufliche Bildung wurden in Kamerun für die Produktion von Gesichtsmasken umgewidmet, so dass Absolventen und Absolventinnen früherer Jahre jetzt die Gelegenheit haben, mit der Produktion von Schutzausrüstungen für Flüchtlinge aus den Regionen Est, Nord und Adamaoua Geld zu verdienen.
Allerdings muss noch mehr unternommen werden, um denjenigen zu helfen, die von der Krise am härtesten getroffen wurden. Der für das LWB-Livelihood-Programm zuständige Ansprechpartner Pablo Lo Moro fordert mehr Finanzhilfen in Form von Bargeldauszahlungen, die schnelle Einrichtung lokaler Märkte und ein besonderes Augenmerk auf die Würde der Menschen. „Uns geht es darum, die Lebensmittelproduktion und die Wertschöpfungsketten trotz aller Schwierigkeiten aufrechtzuerhalten“, sagt Lo Moro abschließend.