Marina Dölker und Allan Calma zu den LWB-Leitlinien für die Zusammenarbeit zwischen Mitgliedskirchen und Weltdienst
GENF, Schweiz (LWI) – Der Lutherische Weltbund (LWB) hat neue Leitlinien für die Zusammenarbeit seiner Mitgliedskirchen mit der für humanitäre und Entwicklungshilfe zuständigen internationalen Abteilung für Weltdienst vorgestellt. Die Leitlinien: Gemeinsames Engagement der Weltdienstprogramme und der Mitgliedskirchen (Guidance Note - Joint Engagement of World Service Programs and Member Churches) zeigen Wege und Möglichkeiten für ein intensiveres Engagement und eine stärkere Netzwerkarbeit auf lokaler Ebene. Diese Leitlinie ist ebenfalls als eine Handreichung für andere Kirchen und aus dem Glauben handelnde Organisationen gedacht.
Marina Dölker, LWB-Programmreferentin für Diakonie und Entwicklung in der Abteilung für Theologie, Mission und Gerechtigkeit, und Allan Calma, Koordinator für die humanitäre Hilfe des LWB weltweit in der Abteilung für Weltdienst, haben den Leitfaden gemeinsam entwickelt. Das Gespräch erklärt den Zweck der Publikation, ihre Zielgruppen, wie der Leitfaden benutzt werden soll und wie er innerhalb des LWB verbreitet wird.
Die Zusammenarbeit zwischen den LWB-Mitgliedskirchen und den Weltdienstprogrammen ist nicht neu. Warum war es erforderlich, den Leitfaden zu entwickeln?
Dölker: In der Tat ist die Zusammenarbeit zwischen den LWB-Mitgliedskirchen und den Weltdienstprogrammen nicht neu. Bisher wurde dies durch eine Stärkung des gemeinsamen Engagements unterstützt, zum Beispiel im Kontext der Initiative Churches and Emergencies (Kirchen und Katastrophen). Gleichzeitig haben Vertreter und Vertreterinnen des Weltdienstes und der Kirchen ihr Interesse an einer generellen Orientierung in der Frage bekundet, wie man gemeinsam arbeiten und die Zusammenarbeit vertiefen könnte.
Calma: Richtig, das ist nicht neu, und in den meisten Fällen wird der Weltdienst auf Anfrage einer Mitgliedskirche in einer Notsituation tätig. Die erste Antwort beinhaltet typischerweise eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden Einrichtungen, unterscheidet sich aber in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext. In dieser Hinsicht ist der Leitfaden eine Sammlung bewährter Praktiken, die eine Anregung für neue Wege des Engagements sein kann, und das ist genau der Sinn und Zweck dieser Veröffentlichung. Wann immer es zweckmäßig ist, bietet die stärkere und konsistentere Zusammenarbeit zwischen Mitgliedskirchen und den Nothilfe- und Länderprogrammen des Weltdienstes eine konkrete Möglichkeit für positive Veränderungen und eine bessere Wirkung.
Was ist für die Zusammenarbeit besonders förderlich?
Dölker: Die LWB-Mitgliedskirchen und der Weltdienst sind unterschiedliche Teile derselben Gemeinschaft. Als solche teilen sie dieselben christlichen Werte, die den Kern des LWB ausmachen: Würde und Gerechtigkeit, Mitgefühl und Verpflichtung, Respekt gegenüber Diversität, Inklusion und Partizipation, Transparenz und Rechenschaftspflicht. Letztlich ist sowohl dem Weltdienst als auch den Mitgliedskirchen daran gelegen, eine gerechtere, friedlichere und versöhnte Welt zu vollenden.
Calma: Beide wollen ein praktisches Zeugnis ablegen für Gottes Liebe gegenüber denjenigen, die leiden und an den Rand gedrängt werden, und das lässt sich eindeutig an der Arbeit festmachen, die von beiden geleistet wird. Zwar sind die Mitgliedskirchen in einer größeren Anzahl von Ländern präsent (99 Länder) als der Weltdienst (25 Länder), aber dort, wo beide anwesend sind, gibt es ganz offensichtliche Überschneidungen und Ähnlichkeiten und damit ein Potenzial für eine umfassendere Zusammenarbeit. Wenn wir also beide im selben öffentlichen Raum präsent sind, dann werden wir mit identischen Kontexten und Herausforderungen konfrontiert. In solchen Fällen ist es für uns von Nutzen, zusammenzuarbeiten und hoffentlich Lösungen für unsere gemeinsamen Anliegen zu finden.
Worin unterscheidet sich die Arbeit der Mitgliedskirchen von der des Weltdienstes?
Dölker: Der Weltdienst und die Mitgliedskirchen haben unterschiedliche Mandate. Die Mitgliedskirchen leisten diakonische Arbeit als Teil ihrer ganzheitlichen Mission, während das Mandat, das die Kirchen dem Weltdienst erteilt haben, in erster Linie internationale Diakonie und Advocacy-Arbeit beinhaltet. Im Ergebnis können die Arbeitsmodalitäten und die Sprache, die jeder zur Beschreibung seiner Arbeit verwendet, sehr unterschiedlich sein. Das Personal des Weltdienstes verwendet eher humanitäre Terminologie, um über seine Arbeit zu reden.
Die Kirchen erklären ihre diakonische Arbeit anhand von Bibelstellen und theologischen Konzepten. Es gibt aber auch Unterschiede zwischen den einzelnen Kirchen: Einige Kirchen unterhalten große diakonische Institutionen, deren Arbeitsweise stark der Funktionsweise der Weltdienstprogramme ähneln kann.
Calma: Die voneinander abweichenden Mandate sind definitiv der wichtigste Unterschied, aber zu Missverständnissen kommt es oft aufgrund des fehlenden Verständnisses für diese Unterschiede. Ich empfehle nachdrücklich, dass die Weltdienstprogramme und die Mitgliedskirchen mehr Zeit und Arbeit darauf verwenden, den Kontext des jeweils anderen zu verstehen. Ein offener Dialog über unsere jeweiligen Mandate und der damit verbundenen Konsequenzen würde schon viel bewirken, um unsere Beziehungen zu stärken und ebenfalls dazu beitragen, voneinander zu lernen.
Welche der existierenden Modelle und bewährten Praktiken werden in der Publikation vorgestellt?
Calma: Die Publikation enthält vier Fallstudien, aus denen Interessierte mehr über gute Praktiken in Myanmar, Angola, Kolumbien & Venezuela und Nepal lernen können. Interessant an diesen Fallstudien ist, dass sie gute Praktiken aus Beziehungen beschreiben, die schon in den 1980er Jahren entstanden sind, aber auch relativ neue aus dem Jahre 2019. Die Geschichten werden aus der Perspektive derjenigen erzählt, die an vorderster Front im Einsatz sind, und berichten von Erfolgen multilateraler und gemeinsamer Aktionen sowie grenzüberschreitender Interventionen. Der Hintergrund dieser Fallstudien erstreckt sich von einem christlichen bis hin zu einem multireligiösen Kontext. Die Geschichten werden aufrichtig erzählt und scheuen sich auch nicht, über besondere Herausforderungen und erlebte Risiken zu berichten. Eine wichtige Erkenntnis, die man aus diesen Fallstudien ziehen kann, ist die, dass die Zusammenarbeit ein beidseitiger Prozess ist und der Aufbau von Vertrauen Zeit und Engagement von beiden Seiten erfordert. Alles fängt aber mit einem einfachen, kleinen Schritt an – manchmal ist es einfach nur eine Tasse Tee, die man zusammen trinkt.
Welche praktischen Ratschläge werden einer Mitgliedskirche und dem Weltdienstprogramm gegeben, die zum ersten Mal an einer Zusammenarbeit interessiert sind oder darüber nachdenken, ihre bisherige Zusammenarbeit auf den Prüfstand zu stellen?
Dölker: Wie Allan bereits erwähnt hat, fängt eine Zusammenarbeit mit herzlichen Beziehungen an. Eine Gruppe von Führungspersonen aus der Kirche oder dem Weltdienstprogramm zu einem gemeinsamen Treffen, Mittag- oder Abendessen einzuladen, um ins Gespräch zu kommen und etwas über die Arbeit zu erzählen, ist ein guter Ausgangspunkt, um Gemeinsamkeiten zu entdecken. Es gibt vielleicht einige wichtige Ereignisse oder Festivitäten, zu der Kirche oder Delegierte des Weltdienstes eingeladen werden können und auf denen sie über ihre Arbeit und Zukunftspläne erzählen können. Diese Art von Einladungen sind ein guter Ausgangspunkt für die weitere und zu vertiefende Zusammenarbeit. Ein nächster Schritt könnte darin bestehen, die Möglichkeit für gemeinsame Seminare oder sogar ein kleines gemeinsames Projekt zu erkunden, denn dies könnte eine großartige Gelegenheit für einen beiderseitigen Lernprozess ergeben, an dem auch Personal unterhalb der Führungsebene beteiligt sein kann. Beispiele zeigen, dass es wichtig ist, sich in einem ehrlichen Gespräch über die gegenseitigen Erwartungen, Rollen und Verantwortlichkeiten und auch über mögliche Grenzen klar zu werden, bevor ein gemeinsames Projekt gestartet wird. Die gemeinsame Ausarbeitung einer Absichtserklärung kann zur Klärung dieser Fragen beitragen und die Beziehungen formalisieren.
Der Umschlag zeigt zwei Hände, was symbolisieren sie?
Dölker: Diese beiden Hände sind ein Sinnbild für den Weg des gemeinsamen Engagements und der Zusammenarbeit – ein Weg, der durch Geben und Nehmen gekennzeichnet ist. Manchmal nehmen wir, manchmal geben wir. Die Kirchen können viel von den Weltdienstprogrammen lernen, und umgekehrt können die Weltdienstprogramme von den Kirchen lernen. In dem Leitfaden geht es darum, uns für diese Art des gemeinsamen voneinander Lernens zu öffnen.
Calma: Wie man sich vorstellen kann, hat dieses Cover bereits zu einigen interessanten Gesprächen zwischen Kollegen und Kolleginnen geführt und kann auf unterschiedliche Weise interpretiert werden. Zum Beispiel lässt das auf Rechten basierende Ermächtigungs-Modell der Arbeit des Weltdienstes das Konzept des bloßen Gebens und Nehmens hinter sich. Wir gehen jedoch davon aus, dass der Umschlag und die Wahrnehmung, wie dieses Bild der Hände für die Wirklichkeiten in ihren jeweiligen Kontexten steht, ein guter Einstieg in die Diskussionen auf den geplanten regionalen Konsultationen sein könnte.
Wie wird diese Schrift publik gemacht?
Calma: Der erste Schritt besteht darin, den Leitfaden zu drucken und an das Personal im Gemeinschaftsbüro, an die Nothilfe- und Länderprogramme des Weltdienstes und an die Mitgliedskirchen zu verteilen. Danach werden wir regionale Workshops zur Unterstützung der weiteren Veröffentlichung durchführen; dort können sich LWB-Personal und Kirchenvertretungen treffen und gemeinsam darüber reden, wie sie dieses Material einsetzen wollen.
Dölker: Wir wollen auch jeden motivieren, gezielter auf Fortschritte mit unserem Engagement und bei der Sammlung von Beispiel guter Praxis hinzuweisen, die wir weitergeben können. Abschließend und als praktischer Schritt gedacht empfehlen wir die Verwendung dieses Leitfadens bei der Einführung neuen Personals des Weltdienstes und neu gewählter Kirchenleitender.
Von LWB/P. Mumia. Deutsche Übersetzung: Detlef Höffken, Redaktion: LWB/A. Weyermüller