Die Martin Luther High School in Namibia
OKOMBAHE, Namibia/GENF (LWI) – Für den Lutherischen Weltbund (LWB) ist es ein wichtiges Anliegen, sich für die Bildung von jungen Menschen einzusetzen, um ihnen eine Zukunftsperspektive zu eröffnen. Aktuell engagiert sich der LWB beispielsweise in Bildungsprojekten in Kenia, Myanmar und Kolumbien – meist für Menschen am Rande ihrer Gesellschaften. Auch in den UN Zielen für nachhaltige Entwicklung, die auf der Zwölften Vollversammlung in Windhoek, Namibia, thematisiert werden sollen, ist Bildung eines der siebzehn Ziele.
Was solche Projekte bewirken können, zeigt ein Blick in die Geschichte Namibias. Das Engagement des LWB in diesem Land fand in der Martin Luther High School einen konkreten Ausdruck. Die Schule, 1962 gegründet, war zu der Zeit eine der wenigen höheren Schulen für Schwarze. Der LWB beteiligte sich vor allem am Unterhalt der Schule. Noch heute, 27 Jahre nach der Unabhängigkeit Namibias, ist die Schule in kirchlicher Trägerschaft und leistet einen nachhaltigen Beitrag zur Bildung junger Menschen in Namibia.
Das Schulgebäude und der Schulhof der Martin-Luther-Schule in Okombahe, Namibia. Fotos: Gottfried Tötemeyer
Zu den ehemaligen Schülern der Martin Luther High School zählen einige namhafte Personen. Am prominentesten ist der derzeitige Minister für Armutsbekämpfung und soziale Wohlfahrt und ehemalige Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Republik Namibia (ELKRN), Dr. Zephania Kameeta. Daniel Tjongarero, ein überzeugter und aktiver Christ, war in den Siebziger Jahren stellvertretender Vorsitzender der SWAPO (South West African People’s Organization) in Namibia. Nach der Unabhängigkeit wurde er zunächst Staatssekretär der Namibischen Regierung und dann Intendant des Namibischen Rundfunks. Jefta Tjozongoro war von 1976 – 1986 der erste schwarze Schulleiter der Martin-Luther-Schule.
LWI sprach mit Gottfried Tötemeyer, der von 1963 – 1975 an der Martin-Luther-Schule tätig war, über deren Anfänge und historische Entwicklungen. Von 1968 – 1975 war der gebürtige Namibier und Missionarssohn selbst der Leiter der Schule.
Constance Kangueehi, eine ehemalige Schülerin der Martin-Luther-Schule unterrichtet die nächste Generation von Schülerinnen und Schülern.
Gründung
Die junge Evangelisch-Lutherische Kirche (Rheinische Missionskirche) – kurz ELK, die 1957 selbstständig geworden war, beauftragte den deutschen Missionar Emil Kerstan aus Karibib im Westen Namibias mit dem Aufbau eines kirchlichen Gymnasiums. In bescheidenen und teilweise baufälligen Räumen öffnete die Martin-Luther-Schule 1962 ihre Türen für rund 40 schwarze Schülerinnen und Schüler. Das Kollegium bestand in den Anfangsjahren aus drei Lehrkräften: Schulleiter Ortwin Jung aus Deutschland, Josua Hoebeb, einem schwarzen Namibier, und Gottfried Tötemeyer.
Nach einigen Jahren war klar, dass die Schule neue Räumlichkeiten benötigte. Wegen der geltenden Apartheitspolitik war der neue Standort das Ergebnis schwieriger Verhandlungen zwischen der Kirchenleitung der ELK und dem südafrikanischen Minister für Bantu Administration. Die Schule wurde 1970 in Okombahe – etwa 120 Kilometer nordwestlich des alten Standortes in Karibib – auf einer relativ abgelegenen Farm errichtet, die an das Damara-Homeland, einem abgegrenzten Wohngebiet für die Bevölkerungsgruppe der Damara, angrenzte.
Errichtet wurden eine Schule für 120 Schülerinnen und Schüler, ein Jungen- und ein Mädcheninternat, ein Wirtschaftsgebäude mit Küche, Speisesaal, Waschküche, ein kleines Kraftwerk und die Häuser für die Lehrkräfte und den Techniker. Aufgrund der Abgeschiedenheit verfügte die ganze Einrichtung über eine eigene Wasser- und Stromversorgung. An der Finanzierung dieses Projektes beteiligten sich hauptsächlich deutsche kirchliche Partner, insbesondere die Evangelische Kirche im Rheinland und Brot für die Welt. Die Gelder für den Unterhalt kamen ebenfalls aus dem Ausland, hauptsächlich vom LWB, denn die einheimische Kirche konnte die notwendigen Mittel nicht aufbringen.
Das Lehrerzimmer der Martin-Luther-Schule mit einem Teil des Kollegiums.
Namensgebung
Vor allem in den siebziger Jahren prägten zwei Strömungen die Bestrebungen für eine Veränderung der politischen und sozialen Verhältnisse in Namibia: die Black Consciousness-Bewegung und die Black Theology, die sich für Freiheit und Gleichberechtigung der Schwarzen einsetzte. Diese bezog sich im Kontext der Unterdrückung unter anderem auf Martin Luthers Ansatz „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Die schwarze Bevölkerung litt unter der Last der Unfreiheit, der Diskriminierung, der Missachtung der Menschenrechte und der Fremdherrschaft. Sie verlangte nach politischer Freiheit und forderte die Unabhängigkeit des Landes. Die Martin Luther High School stellte sich mit ihrem Namen in diese Tradition.
Ausrichtung auf die Zukunft
1970 – mit dem Umzug der Schule nach Okombahe – erhöhte sich die Zahl der Lehrkräfte auf 13 Personen. Schulleiter Gottfried Tötemeyer verfolgte die Politik „die weißen Mitarbeitenden überflüssig zu machen, um den weißen Machthabern zu demonstrieren, dass Schwarze sehr wohl in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen.“ So wurden die Stellen von Lehrkräften aus Deutschland, deren Verträge ausliefen, nach und nach mit qualifizierten schwarzen Namibiern besetzt.
Das Mädcheninternat der Martin-Luther-Schule.
Im Winter fand der Unterricht gelegentlich in der wärmenden Sonne statt, da es in den Klassenzimmern sehr kalt sein konnte.
Ein weiteres selbstbewusstes Zeichen gegen die Apartheid setzte die Martin-Luther-Schule 1976, als sie sich vom Bantu-Unterrichtssystem verabschiedete, das Afrikaans – eine Sprache, die den südafrikanischen Unterdrückern zugeordnet wurde – als einzige Unterrichtssprache vorsah. Mit der Unterstützung der Kirchenleitung wurden für die Jahrgangsstufen 8 bis 10 die englischsprachigen Lehrpläne von Botswana, Swasiland und Lesotho eingeführt, während sich die Stufen 11 und 12 auf das international anerkannte Cambridge Examen vorbereiteten.
Politisches Engagement von Schüler- und Lehrerschaft
Die pädagogische Arbeit und die Vermittlung von Wissen der Martin-Luther-Schule war eingebettet in einen „Geist des Evangeliums nach dem Verständnis der Black Theology als eine ganzheitliche kontextuelle Theologie“, so Tötemeyer. Dieser mündete in den aktiven Einsatz für die Freiheitsbewegung. Es ging um „radikale Veränderungen der politischen und sozialen Verhältnisse im Sinne eines Christseins, das sich an der Gottesebenbildlichkeit aller Menschen orientierte.“
Schülerinnen und Schüler entwarfen Szenarien wie die Zukunft aussehen könnte, wenn das Ziel der Freiheit und Unabhängigkeit Namibias erreicht worden sei. Lehrer fuhren an Wochenenden in die Städte, um bei Versammlungen in den Wohngebieten der Schwarzen für die Freiheit und Unabhängigkeit einzutreten.
Das Engagement für Freiheit und Unabhängigkeit blieb der südafrikanischen Sicherheitspolizei nicht verborgen. Lehrkräfte der Martin-Luther-Schule, die Versammlungen in den Townships abhielten wurden zeitweilig inhaftiert, die Telefone der Schule wurden überwacht oder Briefe geöffnet. Durch die Verbindungen ins Ausland wurden die Partnerkirchen und -organisationen sowie der LWB immer wieder über diese Missstände informiert.
„Wichtig ist es, zu erwähnen, dass die Veränderung der bestehenden Verhältnisse auf friedlichem Wege erreicht werden sollte“, unterstreicht Tötemeyer. Dieser Weg war lang und steinig. Schlussendlich fanden aber 1989 im Rahmen der Durchführung der UNO-Resolution 435 die ersten freien Wahlen in Namibia statt. Am 21. März 1990 erlangte das Land nach einem friedlichen Übergang seine Unabhängigkeit von Südafrika.
Der Bericht basiert auf einem Beitrag von Gottfried Tötemeyer in „Perspektiven 2017 – 500 Jahre Reformation – Auf den Spuren Martin Luthers in Namibia“, die von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia (DELK) herausgegeben werden. ISBN-Nr. 978-99916-868-5-1