Bolivianische Kirche bietet sozial schwachen Familien alternative Existenzgrundlagen
Sonntage haben für Saturnina Flores und ihre Töchter eine neue Bedeutung. Zunächst nehmen sie an der Morgenandacht teil. Nachmittags spielt die 27-jährige zweifache Mutter Fussball. Ihr Leben hat sich geändert.
Das Fussballspielen erinnert sie an ihr Leben als Jugendliche in La Paz, der Verwaltungshauptstadt Boliviens. Vor vielen Jahren spielte Flores am Sonntagnachmittag mit ihrem Team „Nuevo Amanecer“ („Neue Morgendämmerung“) Fussball. In einem örtlichen Turnier gewannen sie den zweiten Platz und erhielten eine Kuh als Preis.
Es war ein langer Weg von „Nuevo Amanecer“ bis in die Lutherische Kirchengemeinde „Glaube und Hoffnung“ der Bolivianische Evangelisch-Lutherische Kirche (IELB), die sich in den Slums der grössten Stadt des Landes in Santa Cruz befindet.
Flores arbeitete als Näherin. Bis zu 300 Paar Jeans nähte sie pro Woche. Als sie diese Stelle 2011 verlor, fand sie Arbeit und Unterstützung in der IELB-Gemeinde. Jetzt arbeitet sie als Haushälterin und Hausmeisterin an der lutherischen Schule, um ihr monatliches Einkommen von 90 USD in einem kleinen Restaurant etwas aufzustocken.
Armut, Not und Gewalt
Flores, Mutter der zehnjährigen Reina und des sechsjährigen Michel, wurde im Berggebiet des Illimani geboren. Sie war die einzige Tochter in einem armen Haushalt mit sieben Kindern. Im Alter von fünf Jahren wurde sie bei einer wohlhabenden Familie in Pflege gegeben, doch dort wurde sie noch als Kind zur Hilfsarbeiterin. Sie fütterte Rinder und musste schwere Schläge und andere Formen des Missbrauchs durch ihre Pflegeeltern über sich ergehen lassen. Als ihre Eltern von ihrem Schicksal erfuhren, holten diese sie zurück nach Hause, schickten die damals Neunjährige dann aber nach La Paz, um dort ihr Essen zu verdienen.
In der Stadt freundete sich Flores im Alter von 16 Jahren mit Ivan an. Als dieser später erfuhr, dass sie von ihm schwanger war, verliess er sie. Ihre Eltern, die enttäuscht waren, dass ihre Tochter im Teenager-Alter und unverheiratet Mutter geworden war, verheirateten sie daraufhin mit einem 20 Jahre älteren Mann. In den zehn Jahren ihrer Ehe übte dieser körperliche und emotionale Gewalt über sie aus. In dieser Zeit erlitt sie drei Fehlgeburten, bekam aber auch ihre zweite Tochter. Aufgrund der Misshandlungen durch ihre Schwiegermutter spitzte sich ihre Situation noch mehr zu. Es wurde immer schlimmer. Als ihr Mann versuchte, sie umzubringen, floh Flores nach Santa Cruz, wo sie schliesslich die Stelle als Näherin bekam.
Unterstützung für Familien mit sozialen Schwierigkeiten
„Die Kirche ist für meine Töchter und mich ein Segen“, sagt Flores. „Dank der Arbeit als Hausmeisterin kann ich die Miete für mein Haus bezahlen. Nur Gott weiss, was mit meinem Leben geschieht, und ich bin guter Hoffnung für die Zukunft.“
Die IELB-Gemeinde „Glaube und Hoffnung“ hat etwa 200 Mitglieder, die sich gegenseitig in schwierigen sozialen Situationen unterstützen. In den letzten Jahren zogen zahlreiche Familien auf der Suche nach einer besseren Existenzgrundlage in einen anderen Teil der Stadt, und viele von ihnen können aufgrund der Entfernung nicht mehr in die Gemeinde kommen.
Zu der Gemeinde gehören hauptsächlich alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern. Die Mitglieder werden hier ausgebildet, um ihr eigenes Geld verdienen zu können, zum Beispiel durch den Verkauf von Produkten wie Schmuck aus wiederverwertbaren Materialien. Ausserdem gibt es eine lutherische Grundschule und einen Kindergarten.
Die IELB-Gemeinde in Santa Cruz begrüsste im September letzten Jahres Vertreter der Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes (LWB) in Lateinamerika und der Karibik zu einer Regionaltagung, um zu besprechen, wie man die Kirchen am besten für ihre jeweiligen Aufgaben ausstatten könne.
Juan Carlos Chuyma, Pfarrer der Lutherischen Kirche „Glaube und Hoffnung“, dankte dem LWB dafür, in Santa Cruz anwesend zu sein. „Das Veranstalten der Regionaltagung hat für uns eine grosse Bedeutung. Es gibt uns die Gelegenheit, unseren Brüdern und Schwestern unseren Dienst hier näherzubringen. Wir unterstützen immer mehr Familien und möchten die Bildungsangebote durch Informatikunterricht, Bäckerei-Ausbildungen und Kurse im Rechnungswesen erweitern.“
Die IELB hat 22.000 Mitglieder in 105 Gemeinden, die von 26 ordinierten PfarrerInnen betreut werden. Die Kirche unterstützt Gemeindemitglieder wie beispielsweise Frauenrechtsgruppen durch Projekte zur Existenzsicherung mittels Bildung, Wasserversorgung und Ernährungssicherheit.
(Von Edwin Mendivelso, Journalist in Bogotá, Kolumbien)
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