Nathan Hoppe über die Kirche in Albanien und die Herausforderungen im lutherisch-orthodoxen Dialog
TIRANA, Albanien/GENF (LWI) – Dr. Nathan Hoppe ist in Kolumbien geboren und aufgewachsen. Seine Eltern waren dort als evangelikale Missionare aus den Vereinigten Staaten von Amerika tätig. Heute ist er Mitglied einer orthodoxen Kirche. Er lebt mit seiner Familie in der albanischen Hauptstadt Tirana, unterrichtet an der Theologischen Akademie „Auferstehung Christi“ und leitet die für die kirchliche Arbeit mit Kindern zuständige Abteilung der Erzdiözese.
Des Weiteren ist er als Vertreter der orthodoxen Kirchen an den internationalen Dialogen mit dem Lutherischen Weltbund (LWB), der Römisch-katholischen Kirche und der Anglikanischen Kirchengemeinschaft beteiligt. Bei einem vor Kurzem stattfindenden Treffen der Dialogkommission mit dem LWB war er einer der vier Referierenden, die sich mit dem Segen als Werk des Heiligen Geistes in dieser schwierigen Zeit auseinandergesetzt haben. „Nathan Hoppe hat in seinem Vortrag über die derzeitigen Herausforderungen bei der Verkörperung in den Sakramenten gesprochen, darüber, was es bedeutet, im Schatten der Pandemie Kirche zu sein“, erklärte Dirk Lange, der Assistierende Generalsekretär des LWB für Ökumenische Beziehungen.
Hoppe erzählt im folgenden Interview seine persönliche Geschichte und formuliert seine Hoffnungen für die Zukunft des lutherisch-orthodoxen Dialogs.
Dr. Nathan Hoppe.
Wie sind Sie zur orthodoxen Kirche gekommen und worauf geht Ihr Interesse für die Ökumene zurück?
Meine Eltern waren als Missionare in Kolumbien tätig. Ich bin dort aufgewachsen und habe die orthodoxe Kirche während meines Theologie-Studiums in den USA für mich entdeckt. Als Kind eines Missionars-Ehepaars habe ich viele verschiedene Seiten der christlichen Glaubenstradition kennengelernt. Auf meinem persönlichen Weg des Glaubens habe ich keine bestimmte Tradition hinter mir gelassen, sondern mich vielmehr mit ganzem Herzen der orthodoxen Kirche zugewandt. Mir lag die Einheit von Christinnen und Christen schon immer sehr am Herzen und ich habe immer versucht, Brücken zu bauen, um die Verbindungen und Beziehungen zu stärken, die die Einheit der Kirche herbeiführen können.
Wann und warum sind Sie nach Albanien gezogen?
Ich bin 1994 in die orthodoxe Kirche in den USA aufgenommen worden und wurde dann ein paar Jahre später hierher entsandt, um unter der Leitung von Erzbischof Anastasios als Missionar zu arbeiten. Ich sollte die Kirche hier unterstützen, die nach der vernichtenden Verfolgung durch das kommunistische Regime, das jegliche Form religiösen Lebens auslöschen wollte, wieder aufgebaut werden sollte. Damals, in den 1990er Jahren, wandten sich sehr viele Menschen wieder der Kirche zu, so dass es spürbares Wachstum gab. Heute befinden wir uns eher in einer Phase der Stabilisierung und des Reifens; das zahlenmäßige Wachstum ist nicht mehr so rasant. Allerdings geht das Wachstum im Inneren, der Ausbau der Infrastruktur und die Ausbildung von Führungspersonen, nach wie vor weiter.
Inwiefern ist die Ökumene in einem Land ein Arbeitsschwerpunkt, in dem die Kirche noch mit den enormen Herausforderungen kämpft, die mit dem Wiederaufbau und der Ausbildung und Zurüstung von Menschen für den kirchlichen Dienst einhergehen?
Erzbischof Anastasios, das Oberhaupt der Autokephalen Orthodoxen Kirche von Albanien, ist sehr bekannt für die Betonung der Aspekte Mission und Verkündigung des Evangeliums, aber auch für sein ökumenisches Engagement. Er war bis 2013 einer der Präsidentinnen und Präsidenten des Ökumenischen Rates der Kirchen, ist Ehrenpräsident der Weltkonferenz von Religions for Peace und bekannt dafür, dass er sich für die Beziehungen mit der römisch-katholischen Kirche, den evangelischen Kirchen und weiteren einsetzt und auf die Einheit der Kirche hinarbeitet.
Es stimmt, dass unsere Gemeinden sich noch von der Verfolgung erholen und im Wiederaufbau begriffen sind. Wir sind also tatsächlich bis zu einem gewissen Grad mit internen Angelegenheiten beschäftigt. Aber weil Christinnen und Christen in Albanien eine Minderheit sind, herrscht allgemein das Gefühl, dass es keinem von uns guttun würde, wenn wir nicht miteinander auskämen. Insbesondere auf der Leitungsebene, aber wo möglich auch an der Basis bemüht man sich also bewusst darum, die Beziehungen zu pflegen.
Welche Auswirkungen hatte die COVID-19-Pandemie auf Ihre Arbeit?
Es war alles gar nicht so einfach, insbesondere in der Fastenzeit im vergangenen Jahr. Die Fastenzeit ist für uns eine sehr intensive und besondere Zeit, in der wir viele zusätzliche Gottesdienste feiern. Im letzten Jahr wurden plötzlich die strenge Quarantäne und Ausgangssperren verhängt. Wir haben also auf Online-Gottesdienste umgestellt, aber für eine Kirche der Sakramente ist das sehr schwierig, weil man das Abendmahl online nicht empfangen kann.
Allerdings haben wir neue Fähigkeiten und Möglichkeiten aufgetan: Im Kinder- und Jugendbüro der Kirche haben wir Kindergottesdienste und Sonntagsschule zum Beispiel online organisiert. Für die Karwoche haben wir Aktionspakete an die Kinder verschickt mit Material, das in den Gottesdiensten zum Einsatz kam. Die Sommerlager, die wir normalerweise veranstalten, haben natürlich nicht stattgefunden, aber wir haben eine wöchentliche Online-Gruppe ins Leben gerufen, bei der albanische Kinder, die in Europa oder den USA leben, mit Kindern hier in Albanien in Kontakt kommen konnten. Auf die Idee wäre vor der Pandemie niemand gekommen.
Unser Ostergottesdienst findet normalerweise mitten in der Nacht statt, aber es gilt ja derzeit noch eine nächtliche Ausgangssperre. Also mussten wir unseren Ostergottesdienst in diesem Jahr am Sonntagmorgen feiern. Aber abgesehen davon sind die Kirchen wieder geöffnet, die Impfkampagnen laufen und die Fallzahlen und Todesfälle sind relativ gering, so dass wir langsam zu einem etwas normaleren Leen zurückkehren können, auch wenn das Abstandsgebot weiterhin gilt und wir weiterhin Masken tragen müssen.
Die Arbeit der Gemeinsamen Internationalen Kommission für den Theologischen Dialog der orthodoxen Kirche und des LWB war durch die Pandemie aber auch behindert, nicht wahr?
Ja! Ich gehöre der Kommission seit 2004 an. Neben der rein theologischen Arbeit war es immer sehr wichtig, ein Netzwerk von Menschen aufzubauen, das sich regelmäßig trifft, damit das gegenseitige Vertrauen und die Freundschaft untereinander wachsen können. Das schwierigste an der COVID-19-Pandemie für uns war deshalb, dass wir uns nicht mehr persönlich treffen konnten, uns nicht mehr für Gespräche oder ein gemeinsames Essen an einen Tisch setzen konnten.
Wir haben im Laufe der letzten zehn Jahre hervorragende theologische Arbeit zu verschiedenen Aspekten des Kirche-Seins geleistet, zum Beispiel zu den Themen Heilige Schrift, Sakramente und ordiniertes Amt. Aber am wichtigsten ist vielleicht, dass wir versuchen, einander besser zu verstehen. Wenn wir uns die Zeit nehmen, einander wirklich zuzuhören, erkennen wir, dass die Bedeutungen dessen, was wir sagen, oftmals sehr viel näher beieinander liegen, als die Worte, die wir verwenden, um es zu beschreiben.
Ein solcher ausgedehnter Austausch ist im virtuellen Raum deutlich schwieriger. Aber ich glaube, dass die liturgische Praxis der lutherischen Kirchen in einigen Aspekten durch unseren Dialog beeinflusst wurde und zum Beispiel die Realpräsenz Christi in der Abendmahlsfeier mehr betont wird. Für orthodoxe Theologie-Fachleute war es wichtig, das Leben der lutherischen Kirchen zu sehen und zu verstehen, wie ein Leben in Christus in Modellen gelebt werden, die uns nicht sehr vertraut sind.
Was steht für die nächste Plenarsitzung der Kommission auf der Tagesordnung?
Wir werden uns mit dem Wirken des Heiligen Geistes im Leben unserer Kirchen und – breiter gefasst – in der Welt beschäftigen und uns in diesem Kontext mit den Themen Umwelt und Gerechtigkeit befassen. Das könnte einer der Bereiche sein, in denen wir als orthodoxe Gläubige von unseren lutherischen Partnern etwas darüber hören und lernen werden, auf welche Arten und Weisen der Heilige Geist möglicherweise wirkt, die uns noch nicht in den Sinn gekommen sind. Wir haben einen ausgeprägten Sinn für alles Sakramentale, aber ich freue mich darauf, mich bereichern zu lassen und mein Verständnis zu erweitern, wie der Heilige Geist in unserem Leben insgesamt wirkt.
Normalerweise wechseln sich bei uns Plenarsitzungen mit vorbereitenden Sitzungen ab; unsere letzte Plenarsitzung war 2017 in Helsinki, und die letzte Tagung mit persönlicher Anwesenheit 2019 in Tirana. Wir sollten eigentlich letztes Jahr bzw. dieses Jahr tagen, aber beide Termine wurden verschoben. Wir hoffen, dass die nächste Plenarsitzung nächstes Jahr stattfinden kann. Im März dieses Jahres hatten wir eine gute Online-Tagung, auf der wir über das Wirken des Heiligen Geistes in dieser schwierigen Zeit gesprochen und einem unserer Mitglieder, Archimandrit Alexi vom Patriarchat von Antiochien, gedacht haben, der an COVID-19 gestorben ist. Wir haben darüber gesprochen, wie wichtig es ist, Menschen zu begleiten, die leiden, und Raum für Gebet und Trauer zu bieten.
Ist es schwierig für Sie, in der Kommission die vierzehn verschiedenen orthodoxen Kirchen zu vertreten, die untereinander nicht immer einer Meinung sind?
Im Kern unserer theologischen Identität fühlen wir uns als eine orthodoxe Kirche, aber außerhalb dieses Kerns hat jede Kirche ihr ganz eigenes Wesen und ihre eigene Sprache. Es ist tatsächlich so, dass es sehr unterschiedliche Ausdrucksweisen oder Meinungen zu einem Thema geben kann, die erst auffallen, wenn wir mit Dritten sprechen, wie zum Beispiel den lutherischen Kirchen. Ein sehr wichtiger und wertvoller Teil der bilateralen Dialoge ist, dass sie einer der wenigen Momente sind, bei denen wir als orthodoxe Kirchen zusammenkommen, um ins Gespräch zu kommen. Diese Dialoge sind also Gelegenheiten, die Kommunikation und Einheit unter den orthodoxen Kirchen zu fördern.
Als Gruppe von Expertinnen und Experten diskutieren Sie über komplexe theologische Themen. Hat das Auswirkungen für das Leben der Menschen in Ihren Kirchen und wenn ja, welche?
Wir müssen das von uns Erarbeitete natürlich immer auf die Ebene des realen Lebens bringen. Die Erfahrungen, die ich in diesen Dialoggesprächen mache, beeinflussen alles, was ich als leitender Priester in meiner Kirche und als Lehrender am theologischen Seminar tue. In einem der Kurse, die ich unterrichte, geht es um das Thema Ökumene. Dort spreche ich nicht nur über die Geschichte der Ökumene, sondern kann auch von meinen persönlichen Erfahrungen und Begegnungen mit Menschen anderer christlicher Traditionen erzählen.
Von LWB/P. Hitchen. Deutsche Übersetzung: Andrea Hellfritz, Redaktion: LWB/A. Weyermüller
Ökumenische Perspektiven: Der Lutherischen Weltbund (LWB) engagiert sich in bilateralen, trilateralen und multilateralen Dialogen und praktischer Zusammenarbeit mit vielen anderen christlichen Kirchen und Weltgemeinschaften. In dieser Serie stellen wir einige dieser ökumenischen Partnerschaften vor und beleuchten die bisherigen Fortschritte und aktuellen Herausforderungen auf dem Weg zur vollen christlichen Einheit.
Weitere Beiträge zur Serie „Ökumenische Perspektiven“.