Frauenrechte und Engagement für Religions- und Weltanschauungsfreiheit
Oslo, Norwegen/Genf (LWI) – Auf einer leeren Bühne kniet eine Frau im Gebet, ihr Kopf ist verschleiert. Von rechts und links nähern sich ihr zwei Personen – eine engagiert sich für Religionsfreiheit, die andere für Gendergerechtigkeit. Beide greifen nach der Frau und versuchen, sie in ihre jeweilige Richtung zu zerren.
Dieser kurze Sketch bot den Einstieg für einen Workshop, der am 24. und 25. Mai in Oslo stattfand und sich der Frage widmete, wie die Beziehungen zwischen Menschen, die sich für Religions- und Weltanschauungsfreiheit engagieren, und jenen, die mehr Gendergerechtigkeit erreichen wollen, verbessert werden können. Organisiert hatten den Workshop im Auftrag der dänischen und norwegische Regierung das Danish Institute for Human Rights und die Stefanusalliansen in Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern aus dem System der Vereinten Nationen (UN).
Gemeinsam mit etwa 30 im Bereich der Religionen beheimateten Organisationen (sog. faith-based organizations, FBOs) nahm der Lutherische Weltbund (LWB) vor dem Hintergrund der von den UN für den Zeitraum bis 2030 vorgegebenen Ziele für nachhaltige Entwicklung die Schnittstelle von Religionsfreiheit und Frauenrechten in den Blick. Dabei ging es in erster Linie darum, wirksame Ansätze für die praktische Arbeit zu sammeln und konkrete Maßnahmen vorzuschlagen, um im Bereich Bildung (Nachhaltigkeitsziel 4) sowie bei Konfliktprävention und Zugang zur Justiz (Ziel 16) weiter voranzukommen und dabei die Gendergerechtigkeit in den Mittelpunkt der Bemühungen zu stellen.
Im Namen des LWB illustrierte María Cristina Rendón Beispiele eines auf die Aktivierung religiöser Überzeugungen ausgerichteten Kapazitätsaufbaus zur Förderung der Menschenrechte von Frauen in Mitgliedskirchen und Länderprogrammen sowie bei Partnern des LWB. Ziel dieser Bemühungen ist die Verwirklichung einer gendersensibleren Arbeitsweise. Rendón verwies außerdem auf die „Waking the Giant“-Initiative, mit der der LWB zur Umsetzung der Agenda 2030 beitragen will. Die Initiative befähigt im FBO-Bereich Aktive dazu, entscheidend daran mitzuwirken, dass „niemand zurückgelassen“ wird.
Ahmed Shaheed, UN-Sonderberichterstatter über Religions- und Weltanschauungsfreiheit, betonte, alle Akteurinnen und Akteure auf der Führungsebene wie an der Basis müssten eingebunden werden, und bekräftigte, dass den FBOs eine zentrale Rolle zukomme in den Bereichen Advocacy, Kapazitätsaufbau und Forschung. Wo sich das Engagement für Religionsfreiheit nicht auf einen rechtebasierten Ansatz stütze, laufe es Gefahr, den Wert und die Würde von Frauen und Mädchen rückschrittlichen religiösen Zielsetzungen unterzuordnen.
Als weitere UN-Vertreterin nahm Azza Karam, Leitende Beraterin beim Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) und Vorsitzende der Interinstitutionellen Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen zu Religion und Entwicklung, an dem Workshop teil. Sie stellte fest: „Genderfragen sind die Kerndimension, an der sich das Engagement für die Menschenrechte messen lassen muss. Hier finden sich die meisten Diskrepanzen.“
Teilnehmende aus vielen Ländern und Glaubenstraditionen führten Beispiele an, wie Religion auf schädliche Weise instrumentalisiert wird, um Diskriminierung und Gewalt zu rechtfertigen, so etwa im Blick auf gesetzliche Regelungen zu Familienleben, Scheidung, Erb- und Sorgerecht oder auch hinsichtlich schädlicher Praktiken wie Frühehen und der weiblichen Genitalverstümmelung. Sie stellten fest, wo solche Gegebenheiten hinterfragt würden, werde dies oft als „westliche Einmischung“ in traditionelle Kultur und Überzeugungen gesehen.
Die indische Hochschullehrerin Saumya Uma von der Ambedkar University in Neu-Delhi berichtete von den Bemühungen zur Überwindung der explosiven Mischung aus Patriarchat, religiösem Fundamentalismus und Kastensystem in ihrem Land, die Frauen an der Ausübung ihrer Rechte hindere und ihnen ihre Würde abspreche. Als zusätzliches Hindernis, das Frauen den Zugang zum indischen Justizsystem erschwert, nannte Uma wirtschaftliche Faktoren.
Die Theologin Nayla Tabbara von der Adyan Foundation im Libanon erläuterte die je unterschiedlichen familien- und frauenrechtlichen Gegebenheiten in unterschiedlichen muslimischen und christlichen Bevölkerungsgruppen ihres Landes. Sie verwies auf die Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien und im Heiligen Land als Beispiel für eine Glaubensgemeinschaft, die zur Verwirklichung des Zugangs zur Justiz gemäß Nachhaltigkeitsziel 16 beiträgt. Zu diesem Zweck habe die Kirche ihr Familienrecht reformiert, mit dem Ziel, sämtliche Regelungen zu korrigieren, die Frauen diskriminieren, und sie arbeite an der Umsetzung des „Grundsatzpapiers: Gendergerechtigkeit im LWB“.
Als weiteres positives Beispiel wurde DIPAZ vorgestellt. Im Rahmen dieser vom LWB unterstützten ökumenischen Plattform in Kolumbien bearbeiten verschiedene Konfessionen und Gruppen gemeinsam schwierige Fragen aus dem Bereich Gerechtigkeit und Menschenrechte, einschließlich der Gendergerechtigkeit. Vor dem Hintergrund der aktuell zunehmenden politischen Polarisierung im Zusammenhang mit den Nachverhandlungen zum Friedensabkommen bietet DIPAZ einen höchst wichtigen Raum, wo weiterhin über Religionsfreiheit und Frauenrechte gesprochen werden kann.
Als nächster Schritt im Konsultationsprozess soll ein Überblick über die erarbeiteten empfehlenswerten Ansätze für die praktische Arbeit erstellt werden. In der zweiten Jahreshälfte findet ein weiterer Workshop statt, der aus der Perspektive der Gendergerechtigkeit die Nachhaltigkeitsziele 3 – gesundes Leben und Wohlergehen –, sowie 13 – Bekämpfung des Klimawandels – in den Blick nehmen und entsprechende Maßnahmen vorschlagen soll. Der Prozess schließt 2020 mit Empfehlungen an die verschiedenen Akteure und der Vorlage des Berichts zur Gendergerechtigkeit durch den UN-Sonderberichterstatter über Religions- und Weltanschauungsfreiheit.