Bibelarbeit auf KEK-Vollversammlung über Gerechtigkeit und die Verantwortung der Kirche
NOVI SAD, Serbien/GENF (LWI) „Unser Bibeltext ruft uns dazu auf, Verantwortung wahrzunehmen und nicht dazu, Schuldgefühle, Scham oder Apathie zu erzeugen – Gefühle, die weder konstruktiv noch verwandelnd sind“, erklärte Pfarrerin Dr. Elaine Neuenfeldt, Studiensekretärin für Frauen in Kirche und Gesellschaft des Lutherischen Weltbundes während ihrer Bibelarbeit bei der Vollversammlung der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), de vom 31. März bis 6. Juni 2018 in Novi Sad (Serbien) stattfindet.
Indem sie den Text über Nabots Weinberg (1. Könige 21) mit dem Tagesthema „Gerechtigkeit“ in Bezug setzte, wies sie darauf hin, dass die Herausforderung darin bestehe, einen Text oder eine Situation mit dem Ziel wahrzunehmen, das unterschwellige Thema hinter dem offensichtlichen zu erkennen.
„Nach den Grundursachen zu forschen bedeutet, sich Fragen zu stellen: ‚Wer profitiert? Wer hat Zugang? Wer kontrolliert den Zugang? Wie sieht Gerechtigkeit aus?‘ statt einfach den Gesetzen und Regelungen einer Religion oder Gesellschaft zu folgen“, führte sie aus.
Neuenfeldt regte an, dass die Bibelarbeit neues Licht auf die öffentliche Verantwortung der Kirche als prophetische Gemeinschaft legen könne. Sie habe in dieser Rolle eine ethische Verantwortung, Zeugnis abzulegen für Hoffnung in einer unübersichtlichen und gespaltenen Gesellschaft. “Glaubensgemeinschaften und religiöse Führungspersönlichkeiten haben eine ethische Verantwortung, Dinge zu benennen und die Rahmenbedingungen kritisch zu hinterfragen,” sagte sie.
„Nach den Grundursachen zu forschen bedeutet, sich Fragen zu stellen: ‚Wer profitiert? Wer hat Zugang? Wer kontrolliert den Zugang? Wie sieht Gerechtigkeit aus?‘ statt einfach den Gesetzen und Regelungen einer Religion oder Gesellschaft zu folgen. (...) Glaubensgemeinschaften und religiöse Führungspersönlichkeiten haben eine ethische Verantwortung, Dinge zu benennen und die Rahmenbedingungen kritisch zu hinterfragen.” – Pfn Dr Elaine Neuenfeldt
Ökonomische Gerechtigkeit diskutieren
Sie lud die Delegierten ein, einige Details des Textes zu betrachten, um Gerechtigkeit im Zusammenhang mit Landnutzung, Produktionsmodellen und Konsumverantwortung zu diskutieren. Dies sei eine Alternative zu der Interpretation des Textes als Auseinandersetzung zweier religiöser Systeme und Gottheiten – eine gut und eine böse.
Die Personen im Text verdeutlichten dies. König Ahab beispielsweise hätte das Recht, sich jedwedes Land anzueignen (1. Samuel 8). Dennoch fühlt er sich dazu gedrängt, zusammen mit seiner Frau und Königinmutter Isebel einen heimtückischen Plan zu entwickeln. „Nicht immer ist das gerecht, was mit dem Gesetz und durch das Gesetz umgesetzt wird“, so Neuenfeldt.
Nabot, dem das Land gehört, mag auf den ersten Blick dickköpfig erscheinen. Aber er widersteht Ahabs Angebot und gibt seinem Geburtsrecht und Erbe den Vorrang, womit er auch verhindert, dass das Land zur Ware gemacht wird. Mit ihrem Plan führen Ahab und Isebel faktisch durch die Hintertür ein neues Wirtschaftssystem ein. Nicht unmittelbar sichtbar im Text, aber dennoch betroffen von den Konsequenzen des Landraubs von Ahab, sind Nabots Frau und Kinder. „Sie werden der wirtschaftlichen Grundlagen beraubt, die ihnen den Status als Subjekte in ihrer Gesellschaft gewährleisten.“
Ungerechtigkeit in Europa heute
Probleme und Ungerechtigkeiten gibt es auch im Europa von heute. Neuenfeldt nannte das Untergraben von Mindestlöhnen für Wanderarbeiter, die in spanischen Gewächshäusern schuften, um Gemüse für Europa zu produzieren. Oder den Landraub, vornehmlich in osteuropäischen Regionen, der „einen tiefen Graben reißt in das europäische Modell der landwirtschaftlichen Familienbetriebe und in das strukturelle Ziel eines diversifizierten und multifunktionellen Agrarsektors“.
Kritisch zu bewerten sei auch die Umwidmung fruchtbaren Ackerlandes für andere Zwecke, einschließlich der so genannten umwelterhaltenden Maßnahmen oder der Gewinnung von erneuerbaren Energien, auch „Green Grabs“ genannt.
Angesichts dieser Herausforderungen rief Neuenfeldt zu einem Perspektivwechsel auf: „Der grundlegende Konflikt liegt im zugrunde gelegten Entwicklungsmodell, und der Art, wie dieses Modell Menschen und Land behandelt. Es geht nicht um den Besitz von Land – es geht um die Nutzung des Landes. Es geht darum Leben und Würde, Nahrung und Wohlergehen zu gewährleisten.“