„Interesse am Anderen, Nächstenliebe und der aufrechte Gang“

15 Juni 2016
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Foto: LWB/Felix Kalbe

Foto: LWB/Felix Kalbe

Eröffnungsgottesdienst zur Ratstagung des LWB in der Stadtkirche zu Wittenberg

Mit einem festlichen Gottesdienst, an dem auch der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, Joachim Gauck, teilnahm, wurde am heutigen 15. Juni die Tagung des Rates des Lutherischen Weltbundes (LWB) in der Stadtkirche zu Wittenberg eröffnet. Die Predigt hielt Landesbischof Gerhard Ulrich, Vorsitzender des Deutschen Nationalkomitees des LWB.

Ulrich griff „das Wunder einer friedlichen Revolution“ im Jahre 1989 auf, die dann zur deutschen Einheit führte: „Die schärfste ‚Waffe‘, das ist eine, die keine ist: Das Interesse am Anderen, Nächstenliebe und der aufrechte Gang. Menschen begannen, sich zu erheben. Holten sich Würde zurück. Aber sie ermächtigten sich nicht selbst. Kraft und Orientierung ließen sich die Demonstranten in Gottesdiensten zusprechen.“

Diese Ereignisse und „die vielen anderen Neuanfänge, die Wunder der Menschlichkeit, von denen wir in unseren Kirchen berichten können“ legten Zeugnis ab von einem Glauben, „der geerdet ist in Gottes Liebe und darum schon jetzt etwas erfasst von Gottes großem Ziel für die Welt“, sagte Ulrich und nahm damit Bezug auf das Thema der Ratstagung: „Verwurzelt in Gottes Liebe – ausgerichtet auf Gottes Zukunft.“

„Dieser Glaube gibt sich nicht zufrieden mit dem, was unsere Augen sehen und mit dem, was wir scheinbar nicht ändern können,“ so Ulrich weiter. Er halte nicht still angesichts der Millionen Flüchtlinge auf dieser Welt; er „schweige nicht zu der Verfolgung und Bombardierung von Christen und vieler anderer Menschen, die um ihres Glaubens willen verfolgt werden“. Er lasse sich nicht beschwichtigen angesichts vieler Nöte. „Es hilft nur: weg mit den Gründen, die Menschen in die Flucht treiben. Schluss mit Landbesetzungen, Landraub, Ausbeutung, Waffenexporten. Anfangen, aufzuhören, wie er tat, der Sohn Gottes“, forderte der Landesbischof.

Die Kirchengemeinschaft des LWB erinnerte Ulrich daran, dass Gottes Gnade sie nicht nur „von“ etwas, sondern auch „für“ etwas befreit habe. Sie sei befreit ihren Reichtum zu teilen, um Menschen helfen zu können. Auch sei Europa frei seinen Reichtum nicht auf der Armut in anderen Regionen dieser Welt aufzubauen. „Als Freigesprochene Gottes erfahren wir einander als Bereicherung und als Aufgabe zugleich. Das ist noch mehr als Wahlfreiheit.“

Christen seien berufen, in Freiheit gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. „Wir sind aber ebenso befreit, unser Leben selbstbestimmt zu führen“, so Ulrich weiter. „Weil sie dieses in Anspruch nahmen, sind am vergangenen Sonntag in Orlando viele Menschen brutal getötet und verletzt worden. Wurden Opfer einer Ideologie, die kein Anderssein erträgt. Dagegen stehen wir auf mit der Botschaft Jesu: Die Liebe ist stärker als der Hass.“

Zum Abschluss des Gottesdienstes begrüßte Bundespräsident Joachim Gauck die Delegierten des LWB „in einem freien Land und in ökumenischer Verbundenheit“.

„Deutschland wäre ohne die Reformation ein anderes Land, ja, es gäbe Deutschland ohne die Reformation so nicht“, erläuterte er die „Nachhaltigkeit und Wirkungskraft“ der Impulse von Martin Luther. Beispielhaft sei dafür die Sprache. Die Sprachkraft in Luthers Bibelübersetzung habe „es auf einzigartige poetische wie volkstümliche Weise geschafft, dass sich die Deutschen gegenseitig im wortwörtlichen Sinne verstanden“. Der erste deutsche Gottesdienst, den er in der Wittenberger Stadtkirche feierte, seien der erste Schritt gewesen zum „Priestertum aller Gläubigen“.

Ihm persönlich bedeute das von Luther neu entdeckte Freiheitsversprechen Gottes besonders viel, so Gauck. „Gott hat die Menschen bedingungslos angenommen. Und das macht den Menschen frei, nicht um sich selbst zu kreisen oder sich abhängig zu machen von kirchlicher Autorität oder irgendeiner weltlichen Macht, sondern frei zu sein, eigenständig zu denken, zu glauben und auch verantwortlich zu handeln.“

Der Bundespräsident dankte dem LWB für „praktische und geistliche Nothilfe“ – aktuell an 2,3 Millionen Flüchtlingen weltweit. Außerdem hob er hervor, dass der LWB „der Einheit der Kirche“ verpflichtet geblieben sei: „Er führt den Dialog mit der Katholischen und der Orthodoxen Kirche ebenso wie mit den Anglikanern, den Reformierten und anderen Christen. Und er betrachtet die Ökumene ebenso als Auftrag wie den interreligiösen Dialog.“

Die Ratstagung des LWB findet vom 15. bis 21. Juni in Wittenberg, Deutschland, statt. Sie ist die erste Veranstaltung in einem Dreischritt zum 500. Reformationsgedenken: beginnend mit der Ratstagung im historischen Wittenberg, wo Martin Luther wirkte und von wo die Reformation ausging, weiter mit einem gemeinsamen lutherisch-katholischen Reformationsgedenken am 31. Oktober 2016 in Lund, Schweden, wo der LWB vor 70 Jahren gegründet wurde, hin zur Vollversammlung in Windhoek, Namibia, die die weltumspannende Dimension der „Reformation als Weltbürgerin“ unterstreicht. Das Leitthema dieser Veranstaltungen lautet „Befreit durch Gottes Gnade“ und wird in den Unterthemen „Erlösung – für Geld nicht zu haben“, „Menschen – für Geld nicht zu haben“, und Schöpfung – für Geld nicht zu haben“ ausgeführt.

Der Rat tagt in der Regel einmal jährlich. Er besteht aus 49 Delegierten aus den LWB-Mitgliedskirchen. Er umfasst sowohl Ordinierte als auch Laien und setzt sich aus 40 Prozent Frauen, 40 Prozent Männern und 20 Prozent jungen Erwachsenen zusammen. Außerdem nehmen Mitarbeitende des Büros der LWB-Kirchengemeinschaft und geladene Gäste an der Tagung teil.

 

LWF/OCS