Kamerun: Lücken in der theologischen Ausbildung und Führungsverantwortung beseitigen

26 Sep 2022

Bischof Jean Baïguelé aus Kamerun spricht über seine Vision einer "theologischen Ausbildung, die den Bedürfnissen der Kirche entspricht", über Jugend und Frauen in Führungspositionen und darüber, wie sich die Unsicherheit auf die Kirchen auswirkt

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Bishop Jean Baïguelé

Der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Kameruns, Jean Baïguelé. Foto: LWB/Erick Adolph

Interview mit Landesbischof Jean Baïguelé

(LWI) – Im Interview spricht Kameruns Bischof Jean Baïguelé über seine Vision einer „theologischen Ausbildung, die an die Bedürfnisse der Kirche angepasst ist“, über Jugendliche und Frauen in leitenden Ämtern und wie Unsicherheiten die Kirchen beeinträchtigen.

Erzählen Sie uns etwas über Ihre Herkunft, Ihre Kindheit und Jugend und Ihre Schulzeit.

Ich wuchs als viertes Kind in einer achtköpfigen christlichen Familie im Süden von Adamawa im Norden Kameruns auf. Die Region war relativ ruhig und die Kirche ein zentraler Punkt in meinem Leben. Meine ersten Schuljahre verbrachte ich an der Grundschule der Evangelisch-Lutherischen Kirche Kameruns (EELC). Danach ging ich auf eine protestantische Fachhochschule dieser Kirche.

Ich studierte Theologie am Lutherisch-Theologischen Institut in Meiganga und an der Protestantischen Universität von Zentralafrika (PUCA) in Yaoundé, die ich mit dem Bachelor abschloss. Dann nahm ich mir eine Auszeit von der Theologie und schrieb mich am Panafrikanischen Institut für Entwicklung in Douala ein, wo ich ein Diplom in Organisationsmanagement erwarb. Anschließend schrieb ich mich an der Fakultät für Theologie am PUCA ein und schloss mit einem Master in Theologie ab. Zum Schluss promovierte ich 2019 am Universitätsinstitut für internationale Entwicklung in Yaoundé mit einem Doktor in neutestamentlichen Studien.

Ich wurde 1998 ordiniert und war bis 2002 als Seelsorgender an den Schulen der Kirche tätig. Daher könnte man meinen Beruf am besten als Lehrer und Pastor bezeichnen.

Das heißt, Sie unterrichten noch immer Theologie in kirchlichen Einrichtungen?

Ja und nein. Lassen Sie mich das erklären. Ich habe vier Jahre als Seelsorgender gearbeitet, danach unterrichtete ich an der EELC-Bibelschule, dieses Mal im Norden. Danach ging ich zurück in die Pfarrgemeinde, wo ich meine seelsorgerliche Arbeit fortsetzte, bevor ich zum Regionalbischof für die Kirchenbezirke im Zentrum und Süden des Landes gewählt wurde. Diese Position hatte ich vier Jahre lang inne, bevor ich an das theologische Institut in Meiganga zurückging, um Vorlesungen über das Neue Testament zu halten. Schließlich wurde ich am 21. Juli 2021 zum Landesbischof gewählt und am 28. November in einem feierlichen Gottesdienst unter der Leitung von Panti Filibus Musa, dem Präsidenten des Lutherischen Weltbunds (LWB), ins Amt eingeführt.

Welche Erkenntnisse bringen Sie aus der Lehrtätigkeit mit in die Kirchenleitung?

Zunächst einmal ist die Lehrtätigkeit eine Aufgabe, die ich liebe. Denn als Pastor in einer Pfarrgemeinde unterrichtet man ja auch, wenn man ein Team von Kirchenmitarbeitenden ausbildet oder wenn man das Evangelium verbreitet. Unterrichten wird zu einem wesentlichen Bestandteil der Pfarrtätigkeit. Wir teilen das Wissen und die Erfahrung, die wir als Lehrkräfte haben, und wir empfangen auch viel durchs Lesen, durch die Fragen von den Studierenden und indem wir von ihnen lernen. Nebenbei decken wir auch unsere Defizite auf, wodurch wir uns korrigieren und verbessern können.

Doch ich muss auch sagen, dass ich als Lehrer einen Aspekt der Seelsorge schätzen gelernt habe, der mich sehr beschäftigt: junge Menschen. In unseren afrikanischen Kirchen sagen wir häufig etwas, von dem ich überzeugt bin, dass es falsch ist. Nämlich: Jugendliche bzw. die Kinder sind die Kirche von morgen. Das stimmt nicht. Sobald sie getauft sind, sind sie die Kirche von heute. Und wir müssen lernen, mit ihnen umzugehen und ihnen einen Raum zu geben, in dem sie sich selbst auf ihre eigene Weise ausdrücken können. Das ermöglicht es ihnen dann auch, sich in der Kirche zu engagieren und diese besser zu verstehen. Und später, wenn sie Leitung übernehmen, können sie einen Mehrwert zum Wachstum, zur Entwicklung und zu den daraus resultierenden Veränderungen der Kirche beitragen.

Welche Perspektiven sehen Sie in der Theologie-Ausbildung auf dem afrikanischen Kontinent allgemein?

Eines der Themen, mit denen wir als afrikanische Kirchen zu kämpfen haben, ist eine an die tatsächlichen Bedürfnisse der Kirchen, ihrer Mitglieder und Gemeinden angepasste Theologie-Ausbildung. Der Großteil der Theologie, die gelehrt wird, basiert auf westlichen Modellen. Deshalb müssen wir den Theologie-Unterricht überdenken und eine Terminologie im Unterricht einführen, mit der die afrikanischen Realitäten berücksichtigt werden. Auch wenn das Wort Gottes inhaltlich dasselbe ist, muss die Art, wie das Evangelium gelehrt und verkündet wird, unsere tatsächlichen Gegebenheiten widerspiegeln.

Wie lehren wir zum Beispiel in unseren Kirchen die Katechese? Könnte das einer der Gründe dafür sein, warum viele unserer jungen Menschen unsere traditionsgebundenen Kirchen verlassen und von einem Ort der Anbetung zum nächsten ziehen, weil sie keine Befriedigung finden? Und wie erfüllen wir diese Erwartungen? Ich glaube, dass das über den Unterricht im Glauben kommen muss. Außerdem sollten unsere theologischen Bildungseinrichtungen Räume zur Reflexion und zum Erfahrungsaustausch bieten, denn wir haben unterschiedliche Kontexte. Indem wir als Kirchen in Afrika zusammenarbeiten, können wir diese Bedürfnisse ansprechen, denn was wir zunehmend auf unserem Kontinent sehen, ist eine Ausbreitung von Kulten, die unter dem Deckmantel des Evangeliums operieren.

Haben Kirchen die fachlichen und menschlichen Ressourcen, um diesen Leerraum anzugehen?

Auch wenn wir nicht genug fachliche und finanzielle Ressourcen haben, um diese Herausforderung effektiv anzupacken, sollten wir irgendwo anfangen. Wir können uns zum Beispiel vernachlässigte Gebieten wie Genderthemen und die Beteiligung von Frauen vornehmen. In Afrika ist die Frau die Hüterin der Bildung: sie ist es, die in Wirklichkeit die Familie zusammenhält. Das heißt nicht zwangsläufig, dass der Mann keine wichtige Rolle spielt. Aber bei der Erziehung der Kinder, im Familienalltag und beim Unterrichten stehen Frauen im Mittelpunkt. Trotzdem bieten wir unseren Frauen in vielen unserer kirchlichen Einrichtungen keine Möglichkeit, sich theologisch zu bilden.

Mal angenommen, unsere Jugendlichen wachsen in Umfeldern auf, in denen die theologische Bildung von Frauen gefördert wird. In dem Fall hätten wahrscheinlich mehr gut ausgebildete Frauen einen Einfluss auf sie, und dadurch kommt neuer Schwung in unsere Kirchen, der eine Weiterentwicklung nach sich zieht. Bis wir die theologische Bildung von Frauen jedoch ernsthaft in Betracht ziehen, geht unseren Kirchen sehr viel verloren, was sehr bedauerlich ist.

Sehen Sie hier Potential zur Veränderung?

Ja, aber dazu muss noch viel mehr getan werden. Nehmen Sie zum Beispiel die Kirche, der ich als Bischof vorstehe. Nach der historischen Entscheidung der EELC-Synode 2009 über das ordinierte Amt von Frauen wurden 2012 die ersten drei Frauen ordiniert. Doch wie hoch ist der Prozentsatz an Frauen, die heutzutage Zugang zur Theologie-Ausbildung oder überhaupt zu höheren Bildungsmaßnahmen haben? Sehr gering. Unter den 12 ordinierten Geistlichen in der Kirche mit einem Doktortitel gibt es nur eine Frau – die LWB-Vizepräsidentin für Afrika Jeanette Ada Maina. Und erst zu Beginn dieses Jahres wurde eine Frau als Lehrerin an das theologische Institut berufen. Das ist ein ziemlicher Verzug. Und darum begrüße ich die Bemühungen des LWB, dass er mit der Einrichtung der Hélène-Ralivao-Stiftung die theologische Schulung und Führungsverantwortung von Frauen in Afrika voranbringen will.

Sie erwähnten, Sie seien in einer „relativ ruhigen“ Region Kameruns aufgewachsen. Was hat sich verändert?

Zu den Spannungen über die ungleiche Verteilung von inländischen Rohstoffen im Land und der Regierungsgewalt zwischen dem Norden und dem Süden kamen noch weitere Faktoren, unter anderem die Spannungen zwischen Christen und Moslems. Außerdem sorgte der Zustrom von Flüchtlingen nach den Boko-Haram-Aufständen in Kameruns westlichem Nachbarland Nigeria und die zeitweiligen Kämpfe in der Zentralafrikanischen Republik im Osten durch zunehmende Erpressungen, Verschleppungen und sogar Ermordungen in den Gemeinden zusätzlich für Angst. Von den 500 EELC-Kirchengemeinden sind 200 von den unsicheren Zuständen betroffen und werden von anderen christlichen Kirchen beeinflusst. So befinden sich in der westlichen Region, wo wir 90 Kirchengemeinden haben, mindestens 45 in sehr unsicheren Gebieten. Das heißt, die Pfarrpersonen können keine Menschen christlichen Glaubens mehr beherbergen oder besuchen, um ihnen das Evangelium zu verkünden, denn sie laufen Gefahr, entführt, verhaftet oder getötet zu werden. Vor kurzem wurde ein junger Katechet erschossen, der in einem Dorf einen Gottesdienst feiern wollte. Solche Angriffe verursachen bei den Gemeindemitgliedern sehr viel Angst.

Wenn Bäuerinnen und Bauern gezwungen werden, aus ihren Dörfern zu fliehen und Zuflucht in städtischen Gebieten suchen, lassen sie ihre Ernteerträge, die Anpflanzungen auf dem Feld und ihr Vieh zurück, was zu einem Defizit auf wirtschaftlicher Ebene und beim Ernährungsstand führt. Zudem kann es an die zwei Jahre dauern, bis vertriebene Kinder wieder zur Schule gehen können. All das erzeugt körperliches und psychosoziales Leid in den Familien, die nicht mehr aktiv am Leben der Kirchen teilnehmen und sich an dessen Entwicklung beteiligen können. Insgesamt wird die Arbeit der Kirche durch die unsicheren Zustände gebremst.

Gibt es Maßnahmen von religiösen Führungspersonen, um die Spannungen möglichst gering zu halten?

Manchmal nimmt der Konflikt politische Dimensionen an, und dann kann die Regierung sehr langsam sein, wenn sie auf die Angriffe auf Dörfer reagieren soll. Allerdings haben wir als leitende Personen des Glaubens das Gefühl, dass die Bereitschaft da ist, uns beim gemeinsamen Finden einer Lösung zu unterstützen. Deshalb haben wir 2019 eine kleine Organisation namens ACADiR (Kamerunische Gesellschaft für den Dialog zwischen den Religionen) gegründet, die katholische, protestantische und muslimische Führungspersonen zu Friedensgesprächen zusammenbringt. Wir treffen uns alle zwei Monate.

Was bedeutet die Zugehörigkeit zur LWB-Gemeinschaft für Sie und Ihre Kirche?

Ich erinnere mich, dass der LWB eine Gruppe von der EELC unterstützt hat, als diese 2021 die Lutherische Kirche Christi in Nigeria besuchte, um sich über Erfahrungen in unseren geistlichen Ämtern auszutauschen. Wir hatten viel gemeinsam. Bei dem Besuch lernten wir eine Menge über unsere Schwächen und Stärken und wir merkten, in welchen Bereichen wir beispielsweise zusammenarbeiten oder Personal austauschen könnten.

Was den LWB angeht, haben meine Kirche und ich nicht das Gefühl, dass wir einer Institution angehören, sondern einer Familie. Mitglied der LWB-Gemeinschaft zu sein, heißt zu verstehen, dass wir alle ähnliche Anliegen haben. Wir haben eine gemeinsame Vision, und wir können uns beim Vorankommen auf die Beiträge der jeweils anderen verlassen und darauf, dass wir füreinander beten.

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.

LWB/P. Mumia. Deutsche Übersetzung: Tonello-Netzwerk, Redaktion: LWB/A. Weyermüller