Kampf gegen Ungerechtigkeit und Ungleichheit

19 Aug. 2019
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Amrita Rai arbeitet als ehrenamtliche Helferin im Flüchtlingslager Sanischare. Foto: LWB Nepal

Amrita Rai arbeitet als ehrenamtliche Helferin im Flüchtlingslager Sanischare. Foto: LWB Nepal

Eine ehrenamtliche Helferin aus Nepal erzählt am Welttag der humanitären Hilfe ihre Geschichte

Kathmandu, Nepal/Genf (LWI) – Als Amrita Rai gerade neun Jahre alt war, musste sie aus ihrer Heimat Bhutan nach Nepal fliehen, wo sie inmitten von Menschen und dem alltäglichen Kampf um Unterkunft, Nahrungsmittel und sauberes Wasser aufwuchs. 

Obwohl sie noch so jung war, traf sie die Entscheidung, ihr Leben in den Dienst verletzlicher und schutz- und sicherheitsbedürftiger Menschen zu stellen, sobald sie alt genug dafür sein würde.

Heute, mit 36 Jahren, setzt sich Rai als ehrenamtliche Helferin unermüdlich in Nepals Flüchtlingslager Sanischare und in der gesamten Gastgebergemeinschaft für Frauen, Kinder und ältere Menschen ein und hilft ihnen, ihre Lebensverhältnisse zu verbessern.

Der Direktor des Länderprogramms des Lutherischen Weltbundes (LWB) für Nepal, Dr. Prabin Manandhar, formuliert es so: „Amrita Rai ein Vorbild. Wir brauchen viele Amritas in unserer Gesellschaft, um gegen Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu kämpfen.“

Der LWB Nepal sorgt mit Unterstützung des UNHCR seit 1991 dafür, dass Flüchtlinge aus Bhutan Asyl erhalten und dass langfristige Lösungen gefunden werden, damit diese Menschen durch existenzsichernde Maßnahmen autark werden und gleichzeitig geschützt werden.

Etwas im Leben der Menschen bewirken

Seit Beendigung des Neuansiedlungsprogramms im Dezember 2018 leben etwa 6.500 Flüchtlinge aus Bhutan in den Flüchtlingslagern Sanischare und Beldangi. Frauen haben in den Camps einen Anteil von ca. 35 Prozent. Viele von ihnen werden sowohl als Frauen als auch als Flüchtlinge diskriminiert.

Im Alter von 23 Jahren hat sich Rai der Federation of Women Entrepreneurs Association of Nepal (FWEAN) angeschlossen, die Aufklärungsarbeit zum Thema Mangelernährung von Kindern leistet, sich für die Selbstbestimmung und Selbstversorgung der Frauen einsetzt und sie in der Herstellung von Bambus-Kunsthandwerk ausbildet und ihnen Kenntnisse für die Zucht von Speisepilzen und die Juteherstellung vermittelt.

Neun Jahre lang hat Rai für das Reclamation Gardening Program gearbeitet, das den biologischen Anbau von Gemüse fördert, Gemeinschaftsgruppen organisiert und über die Gefahren des übermässigen Einsatzes von Pestiziden informiert.

Die Gemeinschaftsaktivisten und -aktivistinnen verteilten nicht nur Setzlinge und beaufsichtigten den ordnungsgemäßen Anbau, sondern hatten auch ein offenes Ohr für die Nöte und Sorgen der Frauen und konnten so ihr Leben verbessern. 2017 kündigte Rai diese bezahlte Arbeit und schloss sich dem Bhutanese Women‘s Forum (BRWF) als ehrenamtliche Helferin an.

Anwaltschaft für Flüchtlinge

Nach kurzer Zeit wurde sie Sekretärin des BRWF, übernahm Beratungsaufgaben für Frauen, motivierte sie dazu, sich finanziell unabhängig zu machen, und stellte gegebenenfalls die dazu erforderliche Unterstützung zur Verfügung. 2018 wurde Rai zur Ansprechperson in Fällen sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt (SGBV) ernannt und übernahm damit die Aufgabe, solche Fälle zu verfolgen und zu melden.

Als die Vergewaltigung eines 14 Jahre alten Kindes bekannt wurde, legte sie der örtlichen Polizei einen Bericht über den Fall vor. Die Behörde reagierte jedoch nicht. Daraufhin machte sie diesen Fall auf einer Sitzung der Child Protection Working Group (CPWG) zum Thema und veranstaltete gemeinsam mit dem UNHCR und dem LWB ein Treffen mit dem stellvertretenden Bürgermeister und der örtlichen Polizei, damit Fälle, in denen Flüchtlinge Opfer sind, ernst genommen werden.

Inzwischen wendet sich die Bezirkspolizei an sie, wenn es Probleme im Flüchtlingslager gibt. Im Juli wurde ein Kind entführt, und Rai konnte den Jungen mit Hilfe der örtlichen Gemeinschaft und der Polizei in Ilam finden und schnell eine erfolgreich Rettungsaktion durchführen lassen. Danach überlegte sie gemeinsam mit dem Jungen, wie er in Zukunft sicher leben könnte.

2018 sprach Rai eine Einladung an die International Home Care (IHC) aus, damit sich die Organisation selbst ein Bild von der schwierigen Lage älterer Menschen in den Flüchtlingslagern machen könne. IHC errichtete daraufhin als Betreuungseinrichtung das Elderly Recreational Centre, das jeden Monat von ca. 80 älteren Menschen besucht wird, die sich dort treffen, ihre Sorgen vergessen und eine gute Zeit miteinander haben.

Rai konnte bei der Kommunalbehörde ebenfalls kostenfreie Gesundheitschecks und eine kostenlose Versorgung mit Medikamenten durchsetzen.

„Darüber bin ich wirklich froh, und es macht mich stolz, dass ich so viel für das Leben so vieler schutzbedürftiger älterer Menschen bewirken konnte“, sagt Rai.

Freiwilliger Einsatz nach dem Erdbeben 2015

Ihr großes persönliches Engagement für humanitäre Hilfe beschränkt sich aber nicht nur auf das Flüchtlingslager Sanischare. Als es in der Gastgebergemeinschaft eine Spendenaktion für die Überlebenden des Erdbebens in Nepal 2015 gab, sammelte sie Hilfsgüter und sandte sie nach Sindhupalchwok, eines der am schlimmsten betroffenen Gebiete. Sie spendete ebenfalls Rationen, mit denen die Opfer des Erdbebens einen Monat überleben konnten.

Obwohl sie so viel für ihre Gemeinschaft leistet, wird Rai manchmal kritisiert, weil sie ihre bezahlte Arbeit für eine ehrenamtliche Tätigkeit aufgegeben hat. Trotzdem lässt sie diese Kritik nicht verzagen.

Rai ist Mutter von drei Kindern, davon ist eins ein Pflegekind, das schon früh von seinen Eltern getrennt wurde. Sie hofft, dass ihre Kinder später einmal noch mehr als sie selbst in der humanitären Hilfe erreichen werden. Sie betreut ebenfalls ein Kind, das wegen Verhaltensauffälligkeiten der Schule verwiesen wurde.

„Wenn ich sehe, dass Menschen anderen Menschen helfen, fühle ich Glück in meinem Herzen und habe Hoffnung für die Menschheit. Ich weiss aus eigener Erfahrung, was eine schwierige Lebenssituation ist, und ich weiss, wie viel selbst die geringfügigste Unterstützung bewirken kann. Das wünsche ich mir für mein Leben, und das werde ich immer tun“, sagt sie abschließend.

Ein Beitrag des LWB Nepal, übersetzt und redigiert vom Kommunikationsbüro des LWB.

 

LWF/OCS