Kenia: Frühehen verhindern

13 Febr. 2020
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Mädchen in der Grundschule im Flüchtlingslager Kakuma, Kenia. Der LWB arbeitet daran, ihr Recht auf Bildung und eine gewaltfreie Kindheit zu schützen. Foto: LWB/C. Kästner

Mädchen in der Grundschule im Flüchtlingslager Kakuma, Kenia. Der LWB arbeitet daran, ihr Recht auf Bildung und eine gewaltfreie Kindheit zu schützen. Foto: LWB/C. Kästner

Netzwerk bewahrt Mädchen vor Zwangsverheiratungen

KAKUMA, Kenia/GENF (LWI) – Zawadi (Name geändert) war 16, als ihr Vater mit dem Bau eines neuen Hauses in ihrem Hof im Flüchtlingslager Kakuma in Kenia begann. Ihr wurde gesagt, dass es für einen Cousin ihres Vaters bestimmt sei, der bald heiraten werde. Erst als ihre Familie sie mitnahm, um ihre Ausweispapiere fälschen zu lassen und sie älter zu machen, begriff sie, dass sie selbst die Braut für weitaus älteren Mann sein sollte.

Der Lutherische Weltbund (LWB), der die Schulen und die Kinderschutzprogramme in Kakuma leitet, konnte Zawadi vor der Zwangsehe bewahren und dafür sorgen, dass sie ein selbstbestimmteres Leben führen kann.

 LWF/ Y. Baraza

Gefälschte Papiere, Entführungen, Geheimnisse

Zawadi und ihre Familie sind Flüchtlinge aus dem benachbarten Somalia, die im Flüchtlingslager Kakuma eine provisorische neue Heimat gefunden haben. Zawadi war eine fleißige Schülerin in der siebten Klasse, als ihre Familie versuchte, sie gegen ihren Willen zu verheiraten. Kein ungewöhnlicher Vorgang, so Kapis Okeya, LWB-Schutzbeauftragter in Kakuma. „Der LWB hatte bisher mit 50 Fällen dieser Art zu tun, aber wir gehen davon aus, dass die Zahl in Wirklichkeit zehnmal höher ist.“

Das Gesetz in Kenia schreibt als Mindestheiratsalter eindeutig 18 Jahre vor. Tatsächlich sind Kinderehen innerhalb der Gemeinschaften jedoch nicht selten. Staatliche Gesetze gelten wenig, und die Mitgift wird als eine dringend gebrauchte Aufstockung des Familieneinkommens angesehen.

 LWF/ C. Kästner

Das mit diesen Problemen befasste LWB-Personal kennt Fälle, in denen Mädchen frühmorgens entführt wurden und in privaten Transportern zurück in ihre Heimatländer gefahren wurden, um sie dort zu verheiraten. Vertrauenslehrkräfte im Lager kennen minderjährige Mädchen, die von der Schule genommen wurden und Männer im Alter ihrer Väter heiraten sollten.

„In den ersten Grundschulklassen gibt es eine etwa gleich hohe Zahl von eingeschulten Mädchen und Jungen, aber in den mittleren und höheren Klassen verlassen immer mehr Mädchen aufgrund von Zwangsehen, frühen Schwangerschaften und früher Mutterschaft bereits im Teenager-Alter die Schule“, berichtet Okeya. „Das hat zur Folge, dass nur wenige Mädchen den Wechsel zu weiterführenden Schulen schaffen und damit geringere Chancen auf eine berufliche Karriere haben.“ In der letzten Grundschulklasse und auch in den weiterführenden Schulen kommt auf drei Jungen nur noch ein Mädchen. 

Netzwerk von Vertrauenslehrkräften

Der LWB leitet die Schulen in Kakuma seit dem Bau des Lagers im Jahre 1992. Kinderschutz ist ein fester Bestandteil dieser Arbeit. Ein Netz von Vertrauenslehrkräften ist besonders für den Schutz der Kinder zuständig, führt bei Schülerinnen und Eltern Aufklärungsaktionen durch, macht Hausbesuche, leistet psychosoziale Ersthilfe bei Kindern, die missbraucht wurden, und überweist Schülerinnen an Beratungsstellen. 

Vor allem sind die Vertrauenslehrkräfte darin ausgebildet, schnell zu handeln, sobald sie von einem Fall erfahren. Zawadi fehlte in der Schule, als sie mit ihren Eltern neue Papiere besorgen sollte. Als ihr Lehrer am nächsten Tag nach dem Grund ihres Fehlens fragte, erzählte sie ihm über ihr bevorstehendes Schicksal. „Sie weinte und sagte, sie sei zu jung, und der Mann sei zu alt“, erzählt der Lehrer. „Sie bestand darauf, ihre Schulausbildung zu beenden. Sie hatte Angst und wollte auf keinen Fall heiraten.“

Sicherheit und der Arm des Gesetzes

Zawadi hatte die Möglichkeit, in einer geschützten Einrichtung für Mädchen und Frauen unterzukommen. Der Fall wurde bei der Polizeiwache in Kakuma gemeldet, und Zawadis Vater, der Cousin und der Mann, der an der Fälschung ihres Ausweises beteiligt war, wurden festgenommen.

Das Mädchen erhielt eine ausführliche Beratung und konnte auf ein Internat wechseln, wo es seine Ausbildung in einer sicheren Umgebung fortsetzen konnte. „Es geht ihr gut, und sie kommt im Unterricht mit“, sagt Okeya.

 LWF/ C. Kästner

Ein Mädchen muss schon sehr viel Mut aufbringen, um sich diesem Netzwerk außerhalb der Familienstrukturen anzuvertrauen. „Das war nicht leicht.  Meine Familienmitglieder haben mir zugesetzt und wollten mir einreden, dass es ein Fehler gewesen sei, diese Sache der Schule zu melden. Aber ich wusste, dass diese Entscheidung richtig war“, sagt Zawadi. „Niemand sollte dazu gezwungen werden, eine andere Person gegen den eigenen Willen zu heiraten und schon gar nicht, wenn man noch ein Kind ist. Ich freue mich darauf, wieder zur Schule zu gehen und mein Leben wieder in die Hand zu nehmen.“

Mehr Unterstützung erforderlich

Since the beginning of the year, the 42 protection focal teachers have received a series of trainings to better be able to detect and respond to violence against children.

Zawadis Fall ging gut für sie aus, aber das LWB-Team sieht auch die vielen jungen Flüchtlinge, denen nicht rechtzeitig geholfen werden kann. Kinderschutz und Kindersicherheit im Kontext länger anhaltender Notsituationen erfordern besondere Fähigkeiten, für die Lehrkräfte ausgebildet werden müssen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es in einer Schule mit etwa 3.000 Schülern und Schülerinnen dafür nur zwei Vertrauenslehrkräfte, und das ist bei weitem nicht genug. Mehr ausgebildetes Lehrpersonal und mehr Aufklärungskampagnen über sexualisierte und genderspezifische Gewalt werden benötigt. Sexualisierte Gewalt kann sich auch gegen Jungen richten, die in Gefahr stehen, zu ausbeuterischen Arbeiten gezwungen zu werden.

Die Vertrauenslehrkräfte sind auch deshalb so wichtig, weil ein Fall nicht mit einer Anzeige bei der Polizei oder dem Umzug in eine geschützte Unterkunft abgeschlossen ist. Nachdem der eigentliche Schutzauftrag beendet wurde, kommt den Lehrkräften die Aufgabe zu, das soziale Gefüge wieder zu heilen. „Wir treffen die Familienmitglieder und hören ihnen zu“, sagt Okeya. „Je nachdem, wie der Fall gelagert ist, kümmern wir uns um eine alternative Konfliktlösung oder rufen ein Schiedsgericht an.“

In Zawadis Fall war eine Versöhnung möglich. „Der Vater des Kindes hat eingesehen, dass er sich falsch verhalten hat, und er hat seine Tochter um Verzeihung gebeten“, sagt Okeya.  Obwohl Zawadi ab jetzt auf ein Internat geht, hat sie doch noch eine Familie, zu der sie zurückkehren kann. „Das Mädchen wird bald wieder mit ihrer Familie vereinigt sein.“

 

Der LWB ist der wichtigste operationelle Partner des UNHCR für Bildung und Kinderschutz in den Flüchtlingslagern Kakuma und Dadaab in Kenia. Mehr als 20.000 junge Menschen besuchen die vom LWB geleiteten Grundschulen und weiterführenden Schulen sowie das Angelina Jolie-Internat für schutzbedürftige Mädchen.

 

LWF/OCS