Mit einer ökumenischen Zeremonie auf Deutschlands höchstem Berggipfel haben die Kirchen auf die Auswirkungen des Klimawandels aufmerksam gemacht. Das Requiem für einen sterbenden Gletscher machte auf das rasche Verschwinden der Eiskappen der Alpen aufmerksam.
„Die Zugspitze ist nur ein kleines Indiz für die globale Katastrophe“
Die Zugspitze ist mit 2.962 Metern der höchste Gipfel Deutschlands. Hier befinden sich zwei der insgesamt noch vier deutschen Gletscher. Um auf die Folgen des rasant voranschreitenden Klimawandels und die Bedeutung des Erhalts der Schöpfung aufmerksam zu machen, veranstalteten Geistliche der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und der Erzdiözese München und Freising ein ökumenisches Requiem für den Nördlichen Schneeferner.
Mit einem „Gebet für den schwindenden Schneeferner, die gesamte Natur und die Zukunft von Lebensräumen“ wollten Pfarrerin Uli Wilhelm und Pastoralreferent Florian Hammerl am 25. Juli in dem beliebten Touristengebiet der Alpen ein Zeichen setzen. Unter dem Leitwort aus Psalm 121 „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?“ hatten Information und Trauer über den „sterbenden“ Gletscher einen Platz, aber auch der Aufruf, den Klimawandel gemeinsam anzupacken.
Der Nördliche Schneeferner wird Wissenschaftlern zufolge wohl ab 2030 den Status als Gletscher verlieren. Von 2014 bis 2022 verlor er fast ein Drittel an Dicke. Damals hatte das Eis an der dicksten Stelle noch 39 Meter, im vergangenen Jahr waren es 27 Meter. Auch in den schweizer Aplen hat ist laut Weltorganisation für Meteorologie zwischen 2001 und 2022 ein Drittel des Gletschervolumens verschwunden.
Klimakrise wird seelsorgerliches Problem
„Ich sehe, wie der Gletscher hier immer weniger wird“, so Pfarrerin Wilhelm. “Und ich sehe die Erschütterung der Menschen: Leute, die vor 20 oder 30 Jahren hier waren und nun wiederkommen, sind oft zutiefst betroffen.” Sie führe viele Gespräche und merke, “dass diese Klimaveränderungen zunehmend ein seelsorgerliches Problem werden – sie rühren tiefe Ängste auf.”
Auch viele Menschen am Fuße der Zugspitze seien schockiert, dass auf „ihrem“ Berg nur noch Geröll statt Schnee und Eis zu finden sei. Damals, in der Schule habe sie gelernt: „Der Gletscher auf der Zugspitze ist ewiges Eis!“, sagte Barbara aus dem Talort Grainau, die mit ihrer Schwester Ingrid extra zur Trauerfeier für den Gletscher gekommen ist. Dass das „ewige Eis“ schon bald verloren sei, mache sie betroffen, berichtet die Seniorin.
Für die Aussegnung des sterbenden Gletschers hat Kirchenmusikdirektor Wilko Ossoba-Lochner eine „Elegie auf das Ende des Ewigen Eises“ komponiert, die zum Requiem uraufgeführt wurde. Langsam und getragen klang eine Bombo-Trommel; „Wenn doch mein Volk gehorsam wäre!", sangen drei Sängerinnen eine dissonante Klage aus Psalm 81.
Trotz aller Sorge und Endgültigkeit wollen die Seelsorgenden bei dem ungewöhnlichen Requiem auch Hoffnung wecken. Der Pastoralreferent Hammerl rief dazu auf, den Klimawandel gemeinsam anzupacken. „Hier oben wird Sand aus der Sahara angeweht, die Asche vom brennenden Urwald in Brasilien, Ruß und Staub aus den Städten, kurz: der Dreck der ganzen Welt.“ Der Gletscher, die Menschen, das Klima, Pflanzen, Tiere – „wir gehören und hängen alle zusammen“, so Hammerl.
Wissenschaftler begrüßt die kirchliche Initiative
„Jede Gelegenheit ist gut, um den Menschen das Thema Klimawandel näher zu bringen und zu zeigen: Da verändert sich definitiv was!“, kommentiert der Geophysiker Dr. Till Rehm, der die Wissenschaftsthemen in der Forschungsstation an der Zugspitze koordiniert, die Idee eines Requiems für einen sterbenden Gletscher. „Vielleicht erreicht man manche eher, wenn man ihnen die Folgen der Erderwärmung bei so einem Termin plastisch vor Augen führt. Und vielleicht werden konservative Leute besonders vom kirchlichen Aspekt gepackt.“
„Dass der Gletscher hier oben verschwindet, ist im weitesten Sinne egal. Vielleicht haben die Touristikbranche und das Skigebiet damit ein Problem, weil sie das Prädikat ‚Gletscher‘ verlieren. Aber für den Wasserhaushalt im Tal und die Stabilität des Bergs ist das einerlei, denn dafür ist der Gletscher schon lange viel zu klein“, erläuterte Rehm. „Die wirklichen Dramen beim Thema Gletscherschmelze spielen sich anderswo auf der Welt ab, in Südamerika, im Himalaya. Dort wird Landwirtschaft mangels Wasser unmöglich, dort werden die Leute verdursten, weil kein Wasser mehr aus den Bergen kommt. Was hier bei uns auf der Zugspitze passiert, sind nur kleine Indizien für die Katastrophen, die anderswo auf die Menschen zukommen.“