Kontextbezogen auf den Spuren Luthers

23 März 2018
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Holiharifetra Rakotondramiadana (l.) ist Theologin der Madagassischen Lutherischen Kirche und Tommi Vuorinen ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche Finnlands, arbeitet aber in Australien. Beide nahmen am 17. Internationalen Theologie-Seminar in Wittenberg teil. LWB/A. Weyermüller

Holiharifetra Rakotondramiadana (l.) ist Theologin der Madagassischen Lutherischen Kirche und Tommi Vuorinen ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche Finnlands, arbeitet aber in Australien. Beide nahmen am 17. Internationalen Theologie-Seminar in Wittenberg teil. LWB/A. Weyermüller

Stimmen von Teilnehmenden am 17. Internationalen Theologie-Seminar in Wittenberg

Wittenberg, Deutschland/Genf (LWI) – Für viele Theologinnen und Theologen aus den Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes (LWB) bieten die Internationalen Theologie-Seminare in Wittenberg (Deutschland) die willkommene Gelegenheit, zwei Wochen lang gemeinsam mit anderen Lutheranerinnen und Lutheranern aus verschiedenen Regionen der Welt zu verbringen und gemeinsam die Bibel und die Schriften Luthers zu studieren und zu erkunden, welche Bedeutung diese für die Theologie im 21. Jahrhundert haben.

Die Lutherische Weltinformation hat mit zwei Teilnehmenden am diesjährigen 17. Internationalen Theologie-Seminar gesprochen, das vom 3. bis 17. März stattgefunden hat. Holiharifetra Rakotondramiadana (43 Jahre) ist eine Theologin der Madagassischen Lutherischen Kirche und Tommi Vuorinen (47 Jahre) ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche Finnlands, arbeitet aber in Australien.

Erzählen Sie uns doch bitte etwas über den Kontext, in dem Sie leben und arbeiten.

Holiharifetra Rakotondramiadana: Ich habe zehn Jahre lang Theologie studiert – in Madagaskar und in Norwegen. Meine Kirche ordiniert aber keine Frauen, auch wenn Frauen schon seit 1974 Theologie studieren können. Deshalb bin ich keine Pfarrerin, sondern Theologin. Ich arbeite als Koordinatorin unserer Auslandsmissionen in der Hauptverwaltung meiner Kirche in Antananarivo. Mit Hilfe unserer Partner entsenden wir Missionare von Madagaskar nach Papua-Neuguinea, Bangladesch und in andere Länder.

Die Madagassische Lutherische Kirche wächst. Mit ihren vier Millionen Mitgliedern ist sie die drittgrößte lutherische Kirche in Afrika. Ein Großteil dieses Erfolgs ist auf das Engagement der Erweckungsbewegung auf Gemeindeebene zurückzuführen. Menschen in jedem Alter unternehmen große Anstrengungen, um an den vier Kirchenfreizeiten in großen christlichen Camps, den so genannten „Tobilehibe“, teilzunehmen.

Das Austreiben von Dämonen ist gängige Praxis bei der Konvertierung zum Christentum. Viele Menschen hängen nämlich ihren traditionellen Religionen an, die unter anderem auch den Ahnenkult und andere Formen der Magie umfassen.

Tommi Vuorinen: Nachdem ich in Finnland Theologie studiert hatte, habe ich drei Jahre in Schweden gelebt und gearbeitet. Und nun bin ich seit zehn Jahren Pfarrer einer finnischsprachigen Gemeinde der Lutherischen Kirche Australiens. Sie ist aus einer Gemeinschaft von finnischen Migrantinnen und Migranten entstanden, die vornehmlich zwischen 1950 und 1970 nach Australien gekommen sind.

Heute haben wir hauptsächlich ältere Gemeindemitglieder, da ihre Kinder voll in die australische Gesellschaft integriert oder nach Europa zurückgekehrt sind. Und das bedeutet natürlich auch, dass unsere Gemeinde immer kleiner wird. Trotzdem ist es für diese Menschen wichtig, dass es einen Pfarrer gibt, der ihre Muttersprache spricht, insbesondere dann, wenn sie nicht mehr sehr mobil sind oder nicht mehr so aktiv durch ihre Arbeit oder ein soziales Engagement an der Gesellschaft teilhaben können.

Was hat Sie motiviert oder angespornt, an dem Internationalen Theologie-Seminar in Wittenberg teilzunehmen?

Tommi Vuorinen: Ich fand das Thema vor dem Hintergrund meines Werdegangs einfach interessant: „Mit Luther heute die Bibel lesen – kontextuelle Hermeneutik in lutherischer Perspektive“. Und ich wollte schon immer einmal Wittenberg und die Wirkungsstätten Luthers besuchen. Und Besuche, zum Beispiel im Lutherhaus oder Ausflüge nach Erfurt und zur Wartburg, haben bei diesem Seminar großen Stellenwert und sind ein wichtiger Teil des Programms. Und natürlich wollte ich gerne andere lutherische Theologinnen und Theologen aus aller Welt kennenlernen.

Holiharifetra Rakotondramiadana: Auch ich fand die historischen Orte, an denen Luther lebte und wirkte, sehr spannend. Und ich freute mich darauf, mal wieder etwas Zeit mit dem Studium zu verbringen – zwei Wochen holen einen wirklich aus dem Alltagsgeschäft heraus. Und ich empfinde es als sehr bereichernd, die Bibel für unseren heutigen Lebensalltag auszulegen, insbesondere wenn ich mich dazu mit anderen austauschen kann.

Was bedeutet es in Ihrem jeweiligen Kontext, lutherische Christin, lutherischer Christ zu sein? Vor welchen Herausforderungen steht Ihre Kirche?

Holiharifetra Rakotondramiadana: Auf Gemeindeebene bedeutet lutherisch sein, in bestimmten Traditionen und Bräuchen verwurzelt zu sein und diese fortzuführen. Und es bedeutet, Dinge auf eine bestimmte Art und Weise zu tun. So konnten wir bisher zum Beispiel keine neuen Lieder zu unserem Gesangbuch hinzufügen. Das wurde einfach nicht akzeptiert. Die Mitglieder der Kirchen würden es als ein Infragestellen unserer lutherischen Identität sehen.

Dieser konservative Ansatz hat natürlich große Auswirkungen für Frauen in der Kirche, da viele Kirchenmitglieder – sowohl Männer als auch Frauen – immer noch denken, dass nur Männer das „kirchliche Amt“ ausüben könnten; auch wenn uns seit 150 Jahren das Priestertum aller Gläubigen gepredigt und gelehrt wird. Ich finde es erschreckend zu sehen, dass auch Frauen bei der Wahl von Mitgliedern für Ausschüsse nicht für andere Frauen stimmen. Logischerweise ist daher auch die Frauenordination in unserer Kirche bis heute nicht akzeptiert und eingeführt.

Auf diese Einstellung hatte bisher auch die Erweckungsbewegung in meiner Kirche keinen Einfluss. Trotzdem bedeutet lutherisch zu sein auch, sich an die unverfälschte lutherische Glaubenslehre zu halten und diese zu predigen, und nach den Vorgaben der Heiligen Schrift zu leben.

Tommi Vuorinen: Auch in Australien bedeutet lutherisch zu sein ein gewisses Maß an konservativer Einstellung und ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, eine Bekenntniskirche zu sein.

Ich bin Mitglied der Kommission für Theologie und zwischenkirchliche Beziehungen und wir arbeiten gerade an einem Papier für unsere Synodentagung im Oktober, auf der wir das Thema der Ordination nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen diskutieren wollen. Im australischen Kontext ist das keine einfache Aufgabe.

Zudem ist die Lutherische Kirche Australiens bisher nur assoziiertes Mitglied des Lutherischen Weltbundes. Das sehe ich als weitere Herausforderung, die wir angehen müssen.

Was war ein theologisch inspirierender Moment oder eine theologisch inspirierende Begegnung für Sie während der Zeit in Wittenberg jetzt?

Tommi Vuorinen: Wenn ich nur eine Sache nennen darf, waren es wahrscheinlich die Begegnungen mit den Pfarrerinnen und Pfarrern und Theologinnen und Theologen aus so vielen verschiedenen Kontexten und mit so unterschiedlichen Werdegängen. Die persönlichen Geschichten und Berichte zu hören, hat mich sehr bewegt und war sehr beeindruckend und inspirierend.

Holiharifetra Rakotondramiadana: Für mich war sehr beflügelnd und erbaulich, für mehrere Tage in Wittenberg zu sein, um die Bibel und Luthers Schriften zu lesen und sie in Bezug zu setzen zu unseren heutigen Kontexten.

Ich möchte dafür gerne zwei Beispiele nennen: Zum einen ist die Bibel nicht nur ein historisches Buch oder eine Erzählung, sondern das lebendige Wort Gottes, das zu jedem Zeitpunkt zu den Menschen sprechen kann, völlig unabhängig von dem konkreten Kontext, in dem sie leben. Zum anderen entstammen Luthers Schriften zwar den Erfahrungen aus seiner Zeit. Trotzdem können sie für die Menschen heute und entsprechend ihrer Lebensrealitäten und -erfahrungen in jeder Region der Welt ausgelegt und interpretiert werden.

Zwei biblische Texte, mit denen wir uns beschäftigt haben – Johannes 4 über Jesus und die Samariterin und Jesaja 55, wo es um das kostenlose Wasser für alle Durstigen geht –, können demnach auf eine Art und Weise gelesen und über sie kann auf eine Art und Weise gepredigt werden, die hervorhebt, dass auch Frauen eine wichtige Rolle bei gesellschaftlichen Entwicklungen spielen können. Die wichtige Rolle, die Frauen im Alltag spielen, ist in der Heiligen Schrift bezeugt. Dies kann als Hilfsmittel verstanden werden, das alle Menschen ermutigt und einlädt, die Gabe der Erlösung zu empfangen.

 

LWF/OCS