Luther für das 21. Jahrhundert kritisch reflektieren

20 März 2019
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Prof. Dr. Ľubomír Batka war einer der beiden Dozenten des 19. Internationalen Seminars für Theologinnen und Theologen, das im LWB-Zentrum Wittenberg stattfand. Foto: LWB/A. Weyermüller

Prof. Dr. Ľubomír Batka war einer der beiden Dozenten des 19. Internationalen Seminars für Theologinnen und Theologen, das im LWB-Zentrum Wittenberg stattfand. Foto: LWB/A. Weyermüller

Interview mit Prof. Dr. Ľubomír Batka

Wittenberg, Deutschland/Genf (LWI) – Prof. Dr. Ľubomír Batka bildete gemeinsam mit der Dr. Hoyce Jacob Lyimo-Mbowe das Dozententeam des 19. Internationalen Seminars für Theologinnen und Theologen, das vom 2. bis 16. März im LWB-Zentrum Wittenberg stattfand.

Batka ist ordinierter Pfarrer der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in der Slowakischen Republik und als Professor an der evangelisch-theologischen Fakultät der Comenius-Universität in Bratislava tätig. Mit den Lutherischen Welt-Informationen (LWI) sprach er über die Bedeutung der Seminare in Wittenberg und der Theologie Luthers für das 21. Jahrhundert sowie über die aktuelle Situation in seiner slowakischen Heimat.

Dies war das zweite Seminar, das Sie als Dozent im LWB-Zentrum Wittenberg mitgestalteten. Was macht diese zweiwöchigen Lehrgänge so besonders?

Die Grundlage für die theologischen Arbeitseinheiten sind Texte, die Martin Luther verfasst hat. Diese Texte am Ort ihres Entstehens zu lesen macht sie interessanter, plastischer und teilweise leichter verständlich. Die Exkursionen zu konkreten Stätten, an denen Luther lebte und wirkte, tragen auch dazu bei. Nach einem Besuch der Wartburg äußerte sich ein Teilnehmer aus Indien einmal ganz ergriffen: „Jetzt verstehe ich endlich, was damit gemeint ist: ‚Ein feste Burg ist unser Gott‘!“ Die internationale Zusammensetzung der Teilnehmenden und des Dozententeams mit ihren jeweils eigenen Perspektiven, Kontexten und Erfahrungen macht den dritten wichtigen Baustein der Seminare aus. Das bekommt man so an keiner theologischen Fakultät der Welt!

Sie nehmen diese Aufgabe also begeistert wahr?

Lutherische Theologie ist global und gleichzeitig kontextuell, und das kommt hier zum Ausdruck – es wird konkret. Was mir aber sehr wichtig ist: wir wollen keine Luther-Wallfahrt veranstalten. Es kommt mir darauf an, seine Arbeit kritisch zu reflektieren, seinen Anliegen und seiner Argumentation auf den Grund zu gehen und deren Bedeutung für unsere theologische Praxis in den jeweiligen Kontexten unserer Zeit zu analysieren. Das bedeutet somit, dass wir nicht alles eins zu eins übernehmen können oder sollen. Das ist der Unterschied zwischen Tradition und Traditionalismus.

Das Thema des Seminars lautete „Ethische und soziale Aspekte in Martin Luthers Theologie“. Haben Sie ein Beispiel, wie Sie es umsetzen?

Anhand von Luthers Schrift „An den christlichen Adel“ und seiner Genesis-Vorlesung haben wir die Zwei-Reiche-Lehre und die Drei-Stände-Ordnung thematisiert. Luther setzt sich intensiv mit dem Verhältnis zwischen Staat und Kirche im ausgehenden Mittelalter auseinander und kritisiert beispielsweise den Anspruch des Papstes auf die Oberherrschaft über die weltlichen Obrigkeiten. Heute leben wir in einer Welt, die vielerorts – besonders auch in Osteuropa – stark säkularisiert ist und in der die Kirchen an Bedeutung verlieren. Gerade hier treten Politiker – nicht etwa Geistliche – auf und propagieren das so genannte „christliche Abendland“. Dieser Form des Populismus und der Abgrenzung nach innen und außen zu begegnen, ist eine große Aufgabe für die Kirchen. Dies vor dem Hintergrund von den beiden Schriften Luthers zu beleuchten, ergibt eine intensive Diskussion.

Ich lebe und arbeite in Bratislava, der Hauptstadt der Slowakei. Im Alltag beobachte ich eine starke Europaskepsis und verhärtete Fronten im politischen Diskurs. Die Angst vor Migranten und Islamisierung wird geschürt. Gesellschaftliche Minderheiten werden ausgegrenzt und an den Pranger gestellt.

Gerade in einer solchen Zeit brauchen wir in der Kirche eine gute und reflektierte theologische Ausbildung, die sich auf solide Grundlagen stützt. Fundamentalistischer Biblizismus trägt nicht zu einer friedlichen Gesellschaft bei.

Wie stellt sich die theologische Ausbildung in der Slowakei dar?

Im Land gibt es sieben theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten, die jeweils einer Konfession zugeordnet sind. In meiner Fakultät liegt der Schwerpunkt auf lutherisch-reformatorischer Theologie. Aktuell haben wir rund 90 Studierende, mehrheitlich Frauen. Sie kommen nicht nur aus der Slowakei; es sind auch Slowaken aus Vojvodina in Serbien sowie Studierende aus Rumänien und Slowenien dabei.

Im aktiven Pfarramt meiner Kirche liegt das Verhältnis zwischen Frauen und Männern bei etwa 50 Prozent. Meine Kirche gehört zu den ersten, die die Frauenordination eingeführt haben – bereits 1949, also vor 70 Jahren.

Der nächsten Generation von Pfarrerinnen und Pfarrer möchte ich auf den Weg geben, dass das theologische Denken an besten gedeiht, wenn es mit einer offenen und demütigen Spiritualität verbunden ist.

 

Vom 2. bis 16. März fand im LWB-Zentrum Wittenberg das 19. Internationale Seminar für Theologinnen und Theologen statt. Das Thema des Seminars lautete "Ethische und soziale Aspekte in Martin Luthers Theologie" und wurde von Prof. Dr. Ľubomír Batka (Slowakei) und Dr. Hoyce Jacob Lyimo-Mbowe (Tansania) geleitet. 20 Pfarrerinnen und Pfarrer von Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes (LWB) aus 17 Ländern nahmen teil.

 

LWF/OCS