LWB-Mitgliedskirchen aus Europa thematisieren „Klima der Angst“
BALATONSZÁRSZÓ, Ungarn/GENF (LWI) – Die europäischen Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes (LWB) haben einen neuen Prozess initiiert, bei dem es um das aufgrund der derzeit europaweit bestehenden sozialen und politischen Problemstellungen wachsende „Klima der Angst“ im Blick auf die Vielfalt gehen soll.
Mithilfe eines dreiteiligen Ansatzes unter dem Titel „Menschen unterwegs“ sollen die sich rasant ausbreitenden populistischen und nationalistischen Bewegungen, die vielfach religiöse Symbole und Argumente für Angriffe auf Minderheiten missbrauchen, sowie die anhaltende wirtschaftliche Unsicherheit bearbeitet werden.
In einem ersten Workshop zum Thema „Konvivenz schaffen: Leben aus dem Glauben in einem von wachsender Vielfalt geprägten Europa“, der vom 13. bis 16. November in Balatonszárszó (Ungarn) stattfand, setzten sich 13 Fachleute aus diakonischen Einrichtungen von LWB-Mitgliedskirchen in der Region mit den Empfehlungen des Konvivenz-Prozesses auseinander, den der LWB ab 2011 durchführte, und entwickelten Kernthemen für die nun beginnende nächste dreijährige Phase. Die Teilnehmenden planten die in Europa anstehende Arbeit auf der Grundlage der Ergebnisse der Zwölften Vollversammlung.
„Der Umgang mit Populismus, Nationalismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wird ein weiterer entscheidender Aspekt der einzelnen Themen sein, ebenso wie die ökumenische und interreligiöse Arbeit“, erläuterte Pfarrer Tony Addy, Leiter der Bildungsabteilung der in Tschechien angesiedelten Internationalen Akademie für Diakonie und soziales Handeln, Mittel- und Osteuropa (interdiac), die in Partnerschaft mit dem LWB den Konvivenz-Prozess gestaltet.
Im Rahmen des Workshops arbeiteten die Teilnehmenden heraus, dass die Kirchen in Europa mit vielfältigen neuen, dringlichen Fragen im Zusammenhang mit der Vielfalt vor Ort und in den Regionen konfrontiert sind. Zu nennen sind hier etwa Migration und die zunehmenden kulturellen Unterschiede, die wachsende religiöse Vielfalt sowie das Entstehen größerer Minderheiten.
Die Formulierung „Menschen unterwegs“ sei, so die Teilnehmenden, auf vielerlei Situationen auf dem Kontinent anwendbar: die Suche nach Arbeits- und Lebensmöglichkeiten an neuen Orten, die Migration aufgrund von Gewalt, Konflikten oder Umweltkatastrophen sowie eine durch Veränderungen im Blick auf Identität oder Kultur bedingte Mobilität.
Ziel der Diakoniefachleute aus den drei LWB-Regionen Mittel- und Osteuropa, Mittel- und Westeuropa sowie Nordische Länder ist die Erschließung neuer Ansätze für die Analyse und Reflexion des Kircheseins in den genannten Kontexten des 21. Jahrhunderts.
„In diesem sich wandelnden Kontext wird die Gruppe, aufbauend auf dem europäischen Diakonieprozess, die Reflexion weiter vertiefen und kreative neue Maßnahmen vorschlagen im Blick auf die Bestrebungen der Kirchen, die Konvivenz, also die Kunst und Praxis des Zusammenlebens, zu fördern“, führte Addy aus.
Positive Haltung zur Vielfalt, Offenheit
Der Prozess soll die Kirchen in ganz Europa ermutigen, in Zeiten eines wesentlichen gesellschaftlichen und politischen Wandels eine positive Haltung zur Vielfalt einzunehmen, offen zu sein und den Menschen in unterschiedlichen Kontexten helfend zur Seite zu stehen.
Unter der Überschrift „Menschen unterwegs – Brücken oder Mauern?“ soll es darum gehen, wie die Kirchen in Europa zusammenarbeiten können bei der Unterstützung von Flüchtlingen, Binnenvertriebenen und Menschen, die gezwungen sind, auf der Suche nach neuen Arbeits- und Lebenschancen ihre Heimat zu verlassen.
Mit „Menschen unterwegs – Umgang mit wachsender Vielfalt“ ist die Erarbeitung von Herangehensweisen an die zunehmende kulturelle Vielfalt überschrieben, die sich in einem breiteren Umfeld kultureller Veränderungen, auch in den Bereichen Gender und sexuelle Identität, vollzieht.
„Menschen unterwegs – Konzepte für eine konvivente Theologie“ soll die Kirchen in Europa ermutigen, sich sowohl traditionellen wie auch neu entstehenden Minderheiten zuzuwenden, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass auch die Kirche in manchen Kontexten eine Minderheit bildet. In diesem Zusammenhang sollen theologische Entwicklungen im Blick auf Vielfalt und Konvivenz unterstützt werden.
Das Programm soll Schwerpunkte bei den Querschnittsthemen setzen, die nach Einschätzung der Teilnehmenden des Workshops in Balatonszárszó alle behandelten Bereiche betreffen. Genannt wurde hier u. a. die Spiritualität, da sie, so die einhellige Meinung der Teilnehmenden, die Motivation für das Engagement sowohl in der professionellen Diakonie und Seelsorgearbeit als auch im Alltag fördert.
Workshops und Bildungsmaterialien
Als nächster Schritt in dem dreijährigen Programm sollen die einzelnen LWB-Mitgliedskirchen Teilnehmende für eine größere Gruppe benennen. Diese wird dann in Workshops in den einzelnen Regionen die Themen vertiefen und Bildungsmaterialien entwickeln, die an die verschiedenen Kontexte in Europa angepasst werden können.
LWB-Europareferent Pfarrer Dr. Ireneusz Lukas würdigte die starke Identifikation der Kirchen der Region mit dem Konvivenz-Prozess. „Diese neue Phase startet Dank der Konvivenz-Studientage, die von Finnland bis in die Ukraine überall in Europa stattgefunden haben, der Vorstellung des Prozesses bei der Zwölften Vollversammlung und seiner Auswertung, auf deren Grundlage die Kirchen beschlossen haben, ihn fortzusetzen, mit dem Schwerpunkt Vielfalt und Migration.“