Schulung: Glaubensbasierte Advocacy-Arbeit für Gendergerechtigkeit

20 Sep 2021
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Zu den Teilnehmenden der Online-Schulung gehörten Lillian W. Kantai vom LWB-Programm Kenia-Somalia (links) und Sabrina Senger von der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien. Fotos: privat

Zu den Teilnehmenden der Online-Schulung gehörten Lillian W. Kantai vom LWB-Programm Kenia-Somalia (links) und Sabrina Senger von der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien. Fotos: privat

Frauenrechte und Gendergerechtigkeit stärken, auf Erfahrung aufbauen

GENF, Schweiz (LWI) - Vor drei Jahren gründete die Augustinische Lutherische Kirche von Guatemala (ILAG) ein Internat für junge Ureinwohnerinnen, von denen etliche verheiratet worden sind. Ziel war es, ihnen sowohl eine Schulbildung als auch handwerkliche Alltagsfähigkeiten zu vermitteln. „Jedes Jahr werden wir nach Erfolgsgeschichten gefragt, aber es fällt schwer, von Erfolgen aus einem einzigen Jahr zu berichten, wenn es um kulturelle Veränderungen, um einen Wandel von einer Generation zur nächsten geht. Wie können wir die Resultate davon darstellen?“  

In dieser Frage der ILAG-Präsidentin Pfarrerin Karen Castillo Echeverría schwingen die Ziele einer jährlich von glaubensbasierten Organisationen ausgerichteten Schulung zum Engagement für die Menschenrechte für Frauen mit. Im sechsten Jahr verlagert sich der Ansatz der internationalen Versammlung auf eine mehr regional ausgerichtete Vorgehensweise, bei der die Kenntnisse der teilnehmenden Frauen und Männer zum Einsatz kommen. So brachte der vom 7. bis 9. September abgehaltene Onlinekurs 60 Teilnehmende aus allen Regionen der Welt zusammen. Ein Moderationsteam führte die Fachleute für Geschlechterfragen und Menschenrechte durch praxisbezogene Aspekte wie Überwachung und Messung von Veränderungen in unterschiedlichen Umfeldern, Anwendung der allgemein gebräuchlichen Instrumente und Informationsmaterialien der Vereinten Nationen zum Thema Menschenrechte sowie Einbindung politischer Entscheidungsträger in den jeweiligen Ländern.

Der Lutherische Weltbund (LWB) veranstaltet diese Schulung seit 2015 gemeinsam mit ACT Alliance, der schwedischen Kirche Act Svenska Kyrkan, der Finnischen Kirchenhilfe, Mission 21, der Norwegischen Kirchenhilfe und dem Ökumenischen Rat der Kirchen. 

Isaiah Toroitich, Leiter für globale Advocacy-Arbeit des LWB, wandte sich an Castillo und alle, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen. „Wichtig ist, dass Sie während der Planungsphase bzw. vor der Umsetzung eine Ausgangslinie haben, damit Sie feststellen können, welche Veränderungen eingetreten sind. Einige Veränderungen lassen sich leichter messen, beispielsweise in der Politik oder in der Gesetzgebung; bei anderen ist es schwieriger, zum Beispiel wenn sich eine Grundeinstellung ändert, was ja in mehreren Schritten geschieht“, sagte er. Allerdings könne eine veränderte Grundeinstellung zu einer Veränderung in der Politik führen.

Netzwerkarbeit, Peer Learning

Die Schulungsteilnehmenden nutzten die Veranstaltung auch, um Wissen und Erfahrungen auszutauschen und Netzwerkarbeit zu betreiben. Eva Eklund, Leiterin für Politik und stellvertretende internationale Direktorin von Act Svenska Kyrkan verwies auf die Bedeutsamkeit dieses Austausches. „Es ist notwendig, sich mit den Lebenserfahrungen von Frauen und Mädchen aus unterschiedlichen Teilen der Welt zu befassen. Gleichzeitig müssen die Bemühungen der Fürsprachearbeit auf den lokalen Ebenen anerkannt werden. Denn dann können einige dieser Erfahrungen sowie bewährte Vorgehensweisen zum Peer Learning genutzt werden.“

Die am Star-Mountain-Rehabilitationszentrum für Erwachsene und Kinder mit geistigen Behinderungen in Ramallah, Palästina, tätige Ranya Karam erkundigte sich nach geschlechtersensiblen Familiengesetzen in den verschiedenen christlichen Kirchen in ihrer Region. Sie erfuhr von der Kirchengerichtsverfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land, die bei Familienangelegenheiten, einschließlich Erbschaftssachen, eine Gleichstellung der Geschlechter vorsieht.

Sprache, Sicherheit und Schutz 

Bei der diesjährigen Schulung für Schulungsleitende gab es auch Module, in denen es darum ging, wie Sprache und bestimmte Wörter die Fürsprachearbeit, die Sicherheit und den Schutz beeinträchtigen, wenn Gender- und Menschenrechtsfürsprechende die auftretenden Widerstände und Herausforderungen angehen. „In vielen Gesellschaften verkörpern sich die vorherrschenden Ideologien in der Sprache, was zur Verfestigung von benachteiligenden sozialen Normen beitragen kann. Umgekehrt ermöglicht es uns eine Sprache, die die Lebensweisheit, das Wissen und die beruflichen Fähigkeiten von Frauen positiv darstellt, neue Frauenbilder zu schaffen“, sagte Marcia Blasi, LWB-Programmreferentin für Gendergerechtigkeit und Frauenförderung. Sie hielt einen gemeinsamen Vortrag mit Rachel Tavernor, der globalen Advocacy-Referentin des ACT Alliance Gendergerechtigkeitsprogramms. 

Blasi und Tavernor stellten fest, dass sich heutzutage in vielen Ländern religiöse Fundamentalistengruppen und konservative politische Kräfte zusammengetan haben und dort die Menschenrechte kippen, und dass dabei vor allem verstärkt das Vorankommen der Frauenrechte vereitelt wird. 

Glaubensbasierte Akteure müssen daher die von den Rechtegegnern angewendeten Taktiken erkennen und den Widerständen gemeinsam entgegenwirken. „Als Akteure im Glauben sind wir dazu berufen, als unerschrockenes und prophetisches Sprachrohr zu fungieren“, sagten sie und forderten die Teilnehmenden auf, sich die Berichterstattung über Geschlechtergerechtigkeit zurückzuholen. „Wir können uns bewusst machen, wie uns gelehrt wird, über Gott, über Männer und Frauen, über Obrigkeit und Dienstbarkeit zu sprechen, und wie das eine Machtdynamik in der Kirche und der Gesellschaft schafft.“

Frauen und Männer engagieren sich für Menschenrechte

Die brasilianische feministische Theologin Sabrina Senger sagte, es sei äußerst ermutigend, Lehren aus den vielfältigen Erfahrungen anderer Frauen und ihrem Engagement für Geschlechtergerechtigkeit aus einer Glaubensperspektive heraus zu ziehen.

„Ich bin begeistert vom kreativen und zielgerichteten Widerstand der Frauen und Männer, die sich für Menschenrechte und die Überwindung patriarchaler und neoliberaler Modelle einsetzen“, bemerkte die Co-Verantwortliche für das Geschlechter- und Religionsprogramm an der Faculdades EST, dem theologischen Institut der Evangelischen Kirche lutherischen Bekenntnisses in Brasilien. 

Die Schulung, fügte sie hinzu, habe sie in ihrer Überzeugung bestätigt, dass es notwendig sei, ein Auge auf die sexistische Aufteilung von Macht in der Gesellschaft zu haben. „Es ist unmöglich, die verschiedenen Formen von Gewalt und Ungerechtigkeit, denen wir täglich im politischen, wirtschaftlichen, religiösen und schulischen Bereich ausgesetzt sind, „ungesehen“ zu machen, wenn unsere Augen und Körper sie einmal wahrgenommen haben.“ 

Kontextualisierung ist unverzichtbar 

Lillian W. Kantai, technische Beraterin für Advocacy-Arbeit und Menschenrechte beim LWB Kenia-Somalia-Programm, fasste ihre Erfahrungen zusammen und sagte, die diesjährige Schulung habe sie „zur Kontextualisierung herausgefordert“. Sie hob die Verbindung zwischen Glauben und Fürsprache für Genderrechte sowie Sprache als Hilfsmittel in der Fürsprachearbeit hervor und erläuterte, wie man die Einschränkungen umschifft, die Glaubensräume für die Frauenrechte darstellen können.

Kantai setzt sich leidenschaftlich dafür ein, dass eine bedeutungsvolle Beteiligung von Frauen, insbesondere in der Konfliktlösung und der Friedensstiftung, weiterhin gefördert wird. „Sie [Frauen] stellen die Mehrzahl der Opfer dar und erfahren unverhältnismäßig viel Leid, vor allem durch sexuelle Gewalt, die als Kriegsmittel eingesetzt wird.“

Zusammen mit anderen Mitwirkenden aus Afrika nahm Kantai auch an einer Veranstaltung teil, mit der Schulungsleitende auf die erste regionale Pilotschulung über Frauenrechte vorbereitet werden, die vom 11. bis 18. Oktober in der Region stattfindet.

Von LWB/P. Mumia. Deutsche Übersetzung: Tonello-Netzwerk, Redaktion: LWB/A. Weyermüller

Gendergerechtigkeit und Frauenförderung sind übergreifende Themen in der gesamten LWB-Fürsprachearbeit. Bei der Fürsprache für Gendergerechtigkeit liegt der Schwerpunkt auf dem Schutz und der Förderung der Menschenrechte und der Menschenwürde insbesondere von Frauen und Mädchen. Daneben geht es bei der Fürsprachearbeit innerhalb der Gemeinschaft und der breiteren Weltöffentlichkeit um die vollständige Beteiligung von Frauen an Kirche und Gesellschaft.

LWF/OCS