Schweigen über sexuelle Gewalt brechen

04 Dez. 2019
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Überlebende von sexueller Gewalt im Kontext von Konflikten nehmen an einem dreitägigen Trainingsworkshop in Genf teil und rufen zu einem Ende von Straffreiheit, Stigmatisierungen und dem Schweigen über diese Art von Verbrechen auf. Foto: LWB/L. Gillabert

Überlebende von sexueller Gewalt im Kontext von Konflikten nehmen an einem dreitägigen Trainingsworkshop in Genf teil und rufen zu einem Ende von Straffreiheit, Stigmatisierungen und dem Schweigen über diese Art von Verbrechen auf. Foto: LWB/L. Gillabert

Überlebende sexueller Gewalt engagieren sich für Prävention

Genf (LWI) – SEMA ist Kisuaheli und bedeutet so viel wie „die Stimme erheben“. SEMA ist aber auch der Name einer internationalen Bewegung von Überlebenden von Vergewaltigung und sexueller Gewalt im Kontext von Konflikten, deren Mitglieder Gerechtigkeit und ein Ende der Stigmatisierungen fordern, denen die Opfer derartiger Gräueltaten anschließend ausgesetzt sind.

Am 28. November hat eine Gruppe von Frauen als Vertreterinnen der nationalen SEMA-Netzwerke in der Demokratischen Republik Kongo (DRK), dem Südsudan, Uganda, Burundi und Kolumbien bei einer öffentlichen Veranstaltung an der Universität Genf über ihre persönlichen Erfahrungen berichtet. Dort wurde zuerst ein Film gezeigt, dessen Drehbuch aus der Feder von Frauen und Männern stammte, die im östlichen Teil der kriegsgebeutelten DRK selbst Vergewaltigungen überlebt hatten, und dessen Schauspieler und Regisseure ebenfalls Opfer von Vergewaltigungen geworden waren. Im Anschluss nahmen die Frauen an einer Podiumsdiskussion teil.

Die Veranstaltung war Teil eines dreitägigen Trainingsworkshops für SEMA-Mitglieder und war vom Lutherischen Weltbund (LWB) und der von Friedensnobelpreisträger Dr. Dennis Mukwege gegründeten Mukwege Foundation unterstützt worden. Der Film erzählt, wie sehr und auf wie viele Arten und Weisen die Opfer von Vergewaltigungen und sexueller Gewalt auch langfristig noch unter den Folgen der furchtbaren körperlichen Verletzungen und der seelischen und emotionalen Traumata wie dem Verlust der Existenzgrundlage und der Ablehnung und Zurückweisung in der eigenen Familie und dem eigenen Gemeinwesen leiden.

LWB und Mukwege Foundation unterstützen Überlebende

Tatiana, die aus einem kleinen Dorf im Osten der Demokratischen Republik Kongo stammt, ist Koordinatorin des Überlebenden-Netzwerks in ihrem Land und Mitautorin des Filmmanuskripts. Zudem spielt sie zusammen mit einem ihrer vier Kinder, einem kleinen Jungen, der bei einer Vergewaltigung gezeugt wurde, in dem Film mit. Und obwohl sie so eng in die drei Wochen dauernde Produktion des Films eingebunden war, fließen jedes Mal die Tränen, wenn sie und ihre Schwestern den Film anschauen.

„Den Film zu machen, war ein erster Schritt in dem Bemühen, das Schweigen zu brechen und die Stigmatisierung zu überwinden“, berichtet Tatiana. „An der Produktion haben viele Frauen, aber auch einige Männer mitgewirkt, denn auch Männern werden im Kongo Opfer von sexueller Gewalt“, erzählt sie. „Sie zu unterstützen, ist sehr wichtig, denn die Stigmatisierungen, unter denen die männlichen Opfer leiden, sind noch viel größer, und sie verstecken ihre Wut und ihren Schmerz und das zerstört unsere Gemeinschaften.“

Das Netzwerk in der DRK wurde vor zwei Jahren gegründet und hat heute bereits 3.300 Mitglieder, die in fünf der am stärksten betroffenen Provinzen aktiv sind. Das Ziel des Netzwerks ist es, allen Überlebenden zu helfen, Zugang zu der dringend benötigten Hilfe im Bereich der körperlichen und seelischen Gesundheitsfürsorge zu bekommen, damit sie den schweren Prozess des Verarbeitens und Heilens beginnen können. Einige wenige finden auch die Kraft, die Täter oder Täterinnen anzuzeigen, allerdings sind Straffreiheit und Korruption ein weitverbreitetes Problem.

Straffreiheit, Korruption, Angst

Ein weiteres Problem sei, so erklärt Tatiana, dass einigen Opfern eine „gütliche Lösung“ angeboten werde – zum Beispiel ein paar Ziegen, um sie davon abzuhalten, die Tat anzuzeigen. „Manchmal gehen die Familien darauf ein, weil sie kein Vertrauen in die Justiz haben und sie Angst vor den Konsequenzen haben“, führt sie aus.

Angela aus Kolumbien, die das Netzwerk in ihrem Heimatland leitet, versucht, das Bewusstsein der Menschen zu stärken und den Frauen ihre Würde zurückzugeben, indem sie sie dabei unterstützt, Führungskompetenzen zu entwickeln. Straffreiheit sei auch in ihrem Land eines der größten Probleme, erzählt sie. Vergewaltigungen würde oftmals mit „unvorstellbarem Zynismus“ begegnet und es bestehe eine gewissen Komplizenschaft zwischen Tätern und der Justiz.

Die SEMA-Bewegung hat derzeit Mitglieder in 21 Ländern und damit aus ganz unterschiedlichen kulturellen Kontexten, die viele verschiedene Sprachen sprechen und religiösen Traditionen angehören. „Aber wir alle haben die gleiche Erfahrung gemacht und müssen in unserem täglichen Leben damit fertig werden, es körperlich und seelisch ertragen und in unseren Gemeinwesen damit umgehen“, erzählt Angela. „Wir müssen die Stigmatisierung überwinden und wir brauchen jede Art von Hilfe und Unterstützung – und auch körperliche, emotionale und wirtschaftliche Wiedergutmachungen. Wir müssen von allen hören, dass wir nicht verantwortlich sind für das, was wir erlebt haben.“

Andere Überlebende wollten nicht so offen über ihre Arbeit und das Erlebte sprechen, berichteten aber, dass Familienangehörige bedroht, schikaniert und sogar ermordet wurden, um die Frauen davon abzuhalten, über das Erlebte zu sprechen. In einigen Ländern werden Vergewaltigungen auch heute noch nicht als Straftat oder Kriegswaffe angesehen. „Aber Frieden und Versöhnung wird es nicht geben, wenn wir nicht darüber sprechen können, was in unseren Ländern geschieht“, betont eines der Opfer.

Auch die generationenübergreifenden Auswirkungen dieser Plage, die die sexuelle Gewalt darstellt, sind ein wichtiges Anliegen der Mitglieder von SEMA. Sie wollen nicht nur für sich selbst Heilung erreichen, Gerechtigkeit erfahren und Wiedergutmachungen erhalten, sondern auch den Teufelskreis der Gewalt durchbrechen, indem sie den Kindern beibringen, dass „Gewalt nicht hinnehmbar und falsch ist“ und die Kinder dies auch wirklich verinnerlichen. Sie rufen die Menschen in allen Ländern und Lebenssituationen auf, Teil dieser Präventionskampagne zu werden und die Botschaft von SEMA in ihren lokalen Kontext zu tragen und die Arbeit des Netzwerks zu unterstützen.

Neben der Darstellung der vielfältigen Herausforderungen, vor denen die Opfer von Vergewaltigungen und sexueller Gewalt im täglichen Leben stehen, will der Film am Ende aber auch etwas Hoffnung machen: Ein kleiner Junge verspricht seiner Mutter, dass er, wenn er einmal groß ist, zu ihr und allen anderen Frauen lieb sein und sie unterstützen werde. Anstatt sich auf das in der Vergangenheit erlebte zu konzentrieren, wollen die Frauen, die für sich selbst eine gewissen Resilienz erworben haben und sehr entschlossen in ihrem Engagement sind, eine Botschaft vermitteln, die Vorbeugung betont und so künftige Generationen vor den schrecklichen Erfahrungen schützt, die sie selbst durchgemacht haben.

SEMA ist ein globales Netzwerk von Opfern und Überlebenden, die sich für ein Ende von Vergewaltigungen und sexueller Gewalt im Kontext kriegerischer Auseinandersetzungen einsetzen. Die Mitglieder kommen derzeit aus verschiedenen Ländern in Afrika, Lateinamerika, Europa und dem Nahen Osten.

LWF/OCS