Leon Novak, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Slowenien
(LWI) - Wir treffen Bischof Leon Novak in Kyjiw, bei einem Festgottesdienst in der lutherischen Kirche St. Katharina. Er ist gerade 1,439 Kilometer mit einem Kleinlaster gefahren, um Hilfsgüter von den Gemeinden in Slowenien nach Krementschuk in der Ukraine zu bringen, von wo aus sie an die lutherischen Gemeinden verteilt werden.
Im Interview spricht Bischof Novak über seine Kirche, die Innere Mission nach der COVID-Pandemie und die humanitäre Hilfe für die Kirchen in der Ukraine.
Wie würden Sie Ihre Kirche beschreiben?
Die Evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Slowenien ist eine Diasporakirche, ihre Mitglieder machen weniger als ein Prozent der Gesamtbevölkerung Sloweniens aus. Unsere Kirche hatte bisher 14 Kirchengemeinden, aber im September 2023 haben sich uns zwei Pfingstgemeinden angeschlossen, jetzt haben wir 16 Gemeinden und 12 Pfarrerinnen und Pfarrer. Das sind 8.500 bis 9.000 Gemeindeglieder, die Beitrag zahlen, und insgesamt etwa 12.000 Mitglieder.
Wir sind eine traditionelle Volkskirche, und der Reformation sehr verbunden. In Slowenien ist der Reformationstag ein Staatsfeiertag, und an diesem arbeitsfreien Tag findet auch eine staatliche Feier statt, die im nationalen Fernsehen übertragen wird. Bei diesem Festakt sind hohe politische Vertreter wie Bundespräsident, Regierungsmitglieder, Diplomaten und andere Vertreter der Politik und Wirtschaft anwesend. Dies alles verdanken wir dem slowenischen Reformator Primus Truber (slowenisch: Primož Trubar), der durch seine Übersetzung des neuen Testaments die slowenische Amtssprache begründet hat. Zuerst veröffentlichte er 1550 einen Katechismus auf Slowenisch und das ABECEdarium, das erste gedruckte Buch in der slowenischen Sprache, gefolgt vom Neuen Testament. 1584 wurde dann die gesamte Bibel, die von Jurij Dalmatin übersetzt worden war, gedruckt
Der Reformator Truber prägte nicht nur die evangelische Kirche in Slowenien, sondern auch die nationale slowenische Identität. Deshalb wurde 1992, als Slowenien unabhängig wurde, beschlossen, den Reformationstag als Staatsfeiertag einzuführen. Wenn man bedenkt, dass wir weniger als ein Prozent der Bevölkerung ausmachen, ist das wirklich beachtlich.
Wie sind Sie Pfarrer geworden?
Ich bin in einer Pfarrersfamilie aufgewachsen, mein Vater war Senior, also Leiter in der Evangelischen Kirche im damaligen Jugoslawien. Ich habe mich dann entschlossen, auch Pfarrer zu werden, und in Wien Theologie studiert. Dort habe ich auch meine Frau Elisabeth kennengelernt, die aus dem Burgenland in Österreich kommt und ebenfalls unter anderem evangelische Theologie studiert hat. Nach unserer Hochzeit sind wir nach Slowenien gezogen, und ich habe meine erste Pfarrstelle in Murska Sobota, im Nordosten Sloweniens angetreten. Das ist die jüngste slowenische Kirchengemeinde mit 2,200 Mitgliedern. Ich bin heute immer noch dort Pfarrer, und zusätzlich bekleide ich jetzt das Bischofsamt.
Hat sich Ihre Gemeinde nach dem Zerfall Jugoslawiens verändert?
Nein, die Mitgliederzahl ist stabil geblieben. Nach der COVID- Zeit haben wir allerdings festgestellt, dass es sich die Leute in dieser Zeit abgewöhnt haben, in die Kirche zu kommen. Wir müssen den Kirchenbesuch jetzt wieder ein wenig reaktivieren, also gleichsam Innere Mission betreiben, damit die Menschen wieder am Gottesdienst und am Gemeindeleben teilnehmen.
Wie gehen Sie diese Innere Mission an?
Zum einen durch Themengottesdienste. Die Gottesdienste haben zur Hälfte klassische alte Kirchenlieder, und zur anderen moderne Lobpreis-Lieder. Wir haben auch zwei Musikgruppen mit SängerInnen. Zeitgleich zu den Gottesdiensten findet die Sonntagsschule statt, damit die Kinder ein altersgerechtes Programm bekommen. Wir versuchen außerdem, die Jugendarbeit nach der Konfirmation zu intensivieren. An hohen Feiertagen machen wir besondere Gottesdienste, wir haben zum Beispiel traditionell ein Pfingstpicknick, weil das ja der Geburtstag der Kirche ist, und wir versuchen, auch Kirchenferne zu diesem Gottesdienst mit Picknick einzuladen. Der Erlös geht dann immer in ein bestimmtes diakonisches Projekt.
Unsere Gemeinde hat einen Pfarrer (mich), eine Pfarrerin (zu 40%) und einen ehrenamtlichen Prediger. Wir wechseln uns beim Predigen ab, was eine Vielfalt an Gedanken, des Verkündigungsstils und eine besondere Dynamik der Gottesdienste ermöglicht.
Während der COVID-Zeit hatten wir für die ältere Generation und die Kranken, die selbst nicht mehr kommen können, Gottesdienstübertragungen im Regionalfernsehen. Wir haben deshalb das Regionalfernsehen ausgewählt, weil das den Sehgewohnheiten dieser Zielgruppe entspricht und diese mit der Bedienung des Fernsehers vertraut ist. Wir haben die Gottesdienstübertragungen nämlich auch mit YouTube probiert, aber das funktioniert bei dieser Zielgruppe nicht.
Sie haben den jugoslawischen Kommunismus erlebt, dann die jugoslawischen Zerfallskriege, und jetzt den Krieg in der Ukraine. Wie hat Sie diese wechselvolle Geschichte geprägt?
Wenn man so etwas selbst erfahren hat, dann kann man die Situation in einem anderen Land viel besser verstehen. Man hat selbst erfahren, wie hilflos man dem Krieg ausgeliefert ist und wie wertvoll es ist Freunde, Brüder und Schwestern zu haben, die einen in der Not nicht vergessen oder im Stich lassen. Ich habe durch die Unterstützung unserer Kirchengemeinden und unserer sehr kleinen Diakonie in Slowenien (wir haben nur drei Mitarbeiter) die Möglichkeit, Hilfslieferungen in die Ukraine zu bringen. Ich bin jetzt zum fünften Mal da.
Wie machen Sie das praktisch?
Diese Hilfslieferungen organisieren wir immer in Absprache mit der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine (DELKU), das heißt, wir sammeln Artikel, die auch wirklich gebraucht werden: Generatoren, im Herbst Winterkleidung, Rollstühle und Krücken, mit denen wir dann ein Krankenhaus beliefert haben, oder Krankenbetten für die häusliche Pflege von alten und gebrechlichen Personen.
Wir sammeln in den Gemeinden, und wir bekommen auch oft Hilfe vom Gustav-Adolf-Werk und anderen Organisationen aus dem Ausland. Ich sammle dann alles und bringe die Hilfslieferungen in einem Lieferwagen der Marke Mercedes Sprinter in die Ukraine. Mit diesem Fahrzeug kann ich nämlich den Zoll noch als PKW passieren. Mit einem größeren Auto müsste ich am Zoll in der LKW-Schlange anstehen, das dauert 6-8 Stunden oder länger. So komme ich schnell durch, und bringe die Lieferung in eine Gemeinde, die sie braucht, sei es nun Odesa oder Charkiw oder anderswo.
Haben Sie keine Angst?
Bis jetzt habe ich keine Angst gehabt. Einmal war ich in Charkiw, es gab Raketenangriffe, wodurch die Elektroinfrastruktur zerstört wurde und es einen allgemeinen Stromausfall gab. Ich bin dann von dort bei Tageslicht nach Odesa weitergefahren. Allerdings fahre ich immer selbst, denn diese Transporte sind doch mit einem gewissen Risiko verbunden. Ich möchte nicht, dass der Eindruck entsteht, dass der Bischof sicher in seinem Büro sitzt und andere in ein Kriegsgebiet fahren lässt.
Wie gibt man Menschen Hoffnung, in so einer Situation?
Indem man ihnen zeigt, dass man sie nicht vergessen hat. Wenn man persönlich kommt und ihnen zeigt und sagt: „Uns liegt etwas an euch, deshalb bin ich da!“, dann entstehen Beziehungen und Vertrauen, und das ist in einer Notsituation das Wichtigste.
Ich möchte nicht, dass der Eindruck entsteht, dass der Bischof sicher in seinem Büro sitzt und andere in ein Kriegsgebiet fahren lässt.
Leon NOVAK