„Verschiedene Blickwinkel ermöglichen unterschiedliche Zugänge zur Bibel“

19 März 2018
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Pfarrer Dr. Sivin Kit (l.) und Prof. Karl-Wilhelm Niebuhr waren die beiden Referenten des 17. Internationalen Theologie-Seminars vom LWB-Zentrum in Wittenberg. Foto: LWB/A. Weyermüller

Pfarrer Dr. Sivin Kit (l.) und Prof. Karl-Wilhelm Niebuhr waren die beiden Referenten des 17. Internationalen Theologie-Seminars vom LWB-Zentrum in Wittenberg. Foto: LWB/A. Weyermüller

17. Internationales Theologie-Seminar im LWB-Zentrum Wittenberg

Wittenberg (Deutschland)/Genf (LWI) – „Martin Luthers Zugang zur Bibel folgt einer langen Tradition unter Wissenschaftlern, ist aber gleichzeitig einzigartig für seine Zeit“, ist Prof. Dr. Karl-Wilhelm Niebuhr überzeugt. In seiner „Vorrede zum Neuen Testament” nehme sich Luther die Freiheit, verschiedene Bücher des Neuen Testaments zu kritisieren, ändere deren Reihenfolge und bringe deutlich zum Ausdruck, dass er das Johannesevangelium den anderen drei Evangelien vorzieht.

Er erklärt in der „Vorrede“ dann aber auch seine Gründe dafür. Und: „auch die Bibel selbst bietet aufgrund der Tatsache, dass es vier Evangelien gibt, die Möglichkeit, Jesus aus verschiedenen Blickwinkel zu betrachten“, führt Prof. Niebuhr aus. „Diese verschiedenen Blickwinkel, die in den Evangelien eingenommen werden, ermöglichen es Menschen in ganz unterschiedlichen Kontexten und persönlichen Lebensumständen, ganz unterschiedliche Zugänge zur Bibel zu finden.“

Internationales Dozententeam für international Teilnehmende

Gemeinsam mit Pfarrer Dr. Sivin Kit, der sich eingehender mit verschiedenen Kontexten im 21. Jahrhundert auseinandersetzt, dozierte Niebuhr beim 17. Internationalen Theologie-Seminar am LWB-Zentrum in Wittenberg, das vom 3. bis 17. März und unter der Überschrift „Mit Luther heute die Bibel lesen – kontextuelle Hermeneutik in lutherischer Perspektive“ stattfand.

Niebuhr ist Inhaber des Lehrstuhls für Neues Testament an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Deutschland) und Kit Direktor des Zentrums für Religion und Gesellschaft  in Seremban in Malaysia, einem mehrheitlich muslimischen Land. Die 20 Teilnehmenden des Seminars stammen aus allen sieben Regionen des Lutherischen Weltbundes (LWB). Die Stadt Wittenberg bietet die historische Kulisse vieler Orte, an denen Martin Luther lebte und wirkte.

Gemeinsamkeiten und vielfältige Herausforderungen

„Ich ermutige die Teilnehmenden, sich tiefergehende Gedanken darüber zu machen, was ‚Kontext‘ eigentlich bedeutet“, erläutert Kit seinen Ansatz. „So hat ein Kontext viele verschiedene Komponenten, zum Beispiel das jeweils Erlebte, die gesellschaftliche Verortung, den gesellschaftlichen Wandel und die Kultur.“ Die Interaktion und der Austausch unter den Teilnehmenden mit ihren sehr unterschiedlichen Werdegängen und ihrer jeweiligen Herkunft schaffe Bewusstsein für diese Kontexte und verändere deren Wahrnehmung. „Diese Erfahrungen kann man nicht machen, indem man ein Buch liest“, sagt Kit und hebt damit einen der entscheidenden Vorteile des Seminars hervor. „Wir wollen bekräftigen, dass jede und jeder – auch Menschen aus nicht-westlichen Kulturen – einen Beitrag zum Verständnis der Bibel und beim Nachdenken über Luther leisten kann.“

Niebuhr hebt die Tatsache, dass alle Teilnehmenden lutherische Theologinnen und Theologen seien, als gemeinsamen Ausgangspunkt hervor. „Es gibt gemeinsame Vorstellungen und Konzepte wie die Rechtfertigung aus Gnade, die eine Diskussion und einen Austausch auf globaler Ebene sehr viel einfacher machen“, fasst er die Auswertung der bisherigen drei Seminare zusammen, bei denen er dozierte. Niebuhr kennt den LWB durch seine Mitarbeit in verschiedenen Arbeitsgruppen wie zum Beispiel der Arbeitsgruppe, die für die Veröffentlichung von „Das Lied des Herrn in der Fremde singen – Psalmen in zeitgenössischer lutherischer Interpretation“ verantwortlich war, sehr gut.

Seit 2009 bietet das LWB-Zentrum in Wittenberg jedes Jahr zwei Seminare für Pfarrerinnen und Pfarrer aus den LWB-Mitgliedskirchen weltweit an. Sie werden für zwei Wochen nach Wittenberg eingeladen, um zusammen mit Professorinnen und Professoren von deutschen und internationalen Universitäten an Themen lutherischer Theologie zu arbeiten. Ziele dabei sind die Kernaussagen von Texten Martin Luthers zu verstehen, die Umstände und Zusammenhänge zu verstehen, in denen Luther lebte, und die Einsichten Luthers in einer konstruktiven Weise zu den Lebensverhältnissen der Teilnehmenden in Beziehung zu setzen. Das nächste Seminar wird im November dieses Jahres stattfinden.

 

LWF/OCS