Vorreiter in der Krebsbehandlung für Palästinenser

10 März 2022
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Dr. Fadi Atrash, stellvertretender Geschäftsführer des Auguste-Viktoria-Krankenhauses in Jerusalem. Foto: LWB/A. Danielsson

Dr. Fadi Atrash, stellvertretender Geschäftsführer des Auguste-Viktoria-Krankenhauses in Jerusalem. Foto: LWB/A. Danielsson

Im Gespräch mit Dr. Fadi Atrash vom Auguste-Viktoria-Krankenhaus in Ost-Jerusalem

OST-JERUSALEM, Palästina/GENF (LWB) – Schon als kleiner Junge im Westjordanland wollte Fadi Atrash Arzt werden. Überall um ihn herum waren die Auswirkungen einer anhaltenden Krise in der Gesundheitsversorgung in seinem Land aufgrund des arabisch-israelischen Kriegs 1948 sichtbar. Zu Hause lernte er, dass man Menschen unterstützt, die weniger Glück haben. Sein Lieblingsonkel, der früh starb, hatte Medizin studiert, und der junge Fadi war fest entschlossen, in seine Fußstapfen zu treten.

Nachdem er die Schule beendet hatte, ging er nach Tunesien, um Medizin zu studieren. 2005 kehrte er in sein Heimatland zurück. Im darauffolgenden Jahr begann er seine Ausbildung am Auguste-Viktoria-Krankenhaus in Jerusalem. Es ist ein führendes palästinensisches Krankenhaus, das dem Lutherischen Weltbund (LWB) gehört und von ihm verwaltet wird. Das Krankenhaus wurde nach dem Krieg 1948 in Partnerschaft mit dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) als medizinisches Zentrum für die Tausenden palästinensischen Flüchtlinge eingerichtet. Inzwischen hat es sich zu einem hochspezialisierten medizinischen Spitzeninstitut entwickelt.

„Die Ausbildung zum Arzt dauert sehr lange“, sagt Atrash mit einem Lächeln, „doch ich habe diese Entscheidung nie bereut.“ Er ging in die nordisraelische Hafenstadt Haifa, um sich auf Strahlentherapie und klinische Onkologie zu spezialisieren, und kehrte 2013 zurück, um die Bestrahlungsabteilung des Auguste-Viktoria-Krankenhauses zu leiten. „In den fünf Jahren, in denen ich aus Jerusalem weg war, gab es riesige Veränderungen im Krankenhaus“, erinnert er sich. „Diese Veränderungen wurden unter der Leitung von hochspezialisierten Mitarbeitenden und der Direktion umgesetzt.“

Umfassende Behandlung und aufsuchende Arbeit

Vor der Einrichtung des Strahlentherapieprogramms im Auguste-Viktoria-Krankenhaus im Jahr 2005, so Atrash weiter, mussten die über fünf Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen zur Krebsbehandlung in andere Länder wie Ägypten und Jordanien reisen. „Heute ist das Krankenhaus ein Vorreiter auf dem Gebiet und versucht, die Vision des LWB umzusetzen, allen Menschen Behandlungen zu ermöglichen und sie würdevoll zu behandeln, egal woher sie kommen oder welcher Ethnie sie angehören.“

Einzigartig beim Auguste-Viktoria-Krankenhaus sei „die Einführung eines Konzepts der umfassenden Krebsbehandlung. Darin wird nicht nur auf medizinische Aspekte eingegangen, sondern es werden auch die sozialen, wirtschaftlichen und psychologischen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten berücksichtigt.“ Ein weiterer bahnbrechender Aspekt der Arbeit „ist unser Schwerpunkt auf Geschlechtergerechtigkeit und Stärkung der Frauen, „insbesondere durch unsere aufsuchende Arbeit auch in abgelegene Gebiete in der West Bank. Wir betreiben seit den 1950er-Jahren mobile Kliniken, die hochwertige Dienstleistungen anbieten und Gesundheitsbildung, Vorsorgeuntersuchungen und die Früherkennung von Krankheiten fördern.“ Durch die aufsuchende Arbeit konnte das Auguste-Viktoria-Krankenhaus die Prognose für Frauen mit diagnostiziertem Brustkrebs in Palästina sehr stark verbessern. 

Trotz großer finanzieller und organisatorischer Herausforderungen bleibt das Auguste-Viktoria-Krankenhaus ein medizinisches Spitzenzentrum in Ost-Jerusalem, das Strahlentherapien und pädiatrische Nierendialysen anbietet, die anderswo nicht verfügbar sind. Zusätzlich laufen im Moment Arbeiten, um ein Palliativzentrum und ein Zentrum für ältere Menschen einzurichten. Das Krankenhaus auf der Nordseite des Ölbergs ist eines von sechs spezialisierten medizinischen Zentren in Ostjerusalem.

„Unsere Mitarbeitenden engagieren sich für unsere Vision der ganzheitlichen Pflege und der Menschenwürde“, sagte Atrash. „Natürlich sind ihnen Löhne und die Arbeitsplatzsicherheit wichtig. Doch das Krankenhaus ist mehr als das – es ist ihr Zuhause. Auf besondere Art konnten wir das während der COVID-Krise spüren.“ Das Krankenhaus reagierte rasch auf die Pandemie, stellte dem Personal persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung und passte die Arbeitsabläufe an, sodass sie den Patienten weiterhin lebensrettende Behandlungen zukommen lassen konnten.

 LWF/A. Danielsson

Im Jahr 2021 wurde Atrash zum stellvertretenden Geschäftsführer des Krankenhauses ernannt. In der letzten Februarwoche 2022 reiste er zusammen mit der LWB-Vertreterin in Jerusalem, Sieglinde Weinbrenner, und anderen Teammitgliedern nach Genf, um die aktuellen Herausforderungen zu erörtern und über seine Hoffnung auf die Entwicklung von Programmen zu sprechen, die das Leben Tausender palästinensischer Familien verbessern.

„Es sind die Kleinigkeiten, die im Auguste-Viktoria-Krankenhaus den Unterschied ausmachen“, sagt Atrash und fügt hinzu, dass das Krankenhaus vor Ort als „Vorbild“ gilt und oft gebeten wird, Fachwissen für Schulungen und Kapazitätsaufbau an andere Einrichtungen weiterzugeben. Die Rückmeldungen der Patienten sind „der schönste Teil meiner Arbeit“, sagt er, „ob sie nun betonen, wie sauber unsere Einrichtungen sind, wie fürsorglich unser Personal ist oder wie wirksam ihre Behandlungen waren. Daraus schöpfe ich Energie und den Impuls, meine Arbeit weiterzuführen.“

Von LWB/A. Danielsson, P. Hitchen. Deutsche Übersetzung: Tonello-Netzwerk, Redaktion:LWB/A. Weyermüller